Nicht der erste Dammbruch

CDU, FDP, AfD Die CDU Sachsen-Anhalt will, angestachelt von FDP und AfD, den Rundfunkstaatsvertrag ablehnen und ihr so zu noch mehr bundesweiter Geltung verhelfen

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Nach dem Dammbruch: Bodo Ramlow spricht im thüringischen Landtag nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im zweiten Wahlgang
Nach dem Dammbruch: Bodo Ramlow spricht im thüringischen Landtag nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im zweiten Wahlgang

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Im vergangenen September wählte der Freistaat Thüringen einen neuen Landtag. Das Ergebnis war einzigartig in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte: Weder die bisherige rot-rot-grüne Landesregierung aus Die Linke, SPD und Grünen noch eine gemeinsame Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP hätten eine Mehrheit gehabt. Nur Die Linke als stärkste politische Kraft hätte gemeinsam mit der CDU eine Regierung bilden können. Doch das wollte die CDU nicht. Also einigte man sich auf eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, die sich wechselnde Mehrheiten mit CDU und FDP sichern wollte. Doch bekanntlich kam es anders: Statt sich zu enthalten oder einen eigenen Kandidaten aufzustellen, wählten die CDU-Abgeordneten im Thüringer Landtag gemeinsam mit AfD und FDP den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Ein schwarz-gelb-blaues Bündnis, der offene Pakt mit der Fraktion um den Neonazi Björn Höcke: Im Moment der Verkündung dieses Wahlergebnisses hielt das politische Deutschland seinen Atem an. Einzige Ausnahmen: der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Hirte. Die FDP-Politiker Christian Lindner – der später, als das berühmte Kind jedoch schon längst im berüchtigten Brunnen ertrunken war, immerhin Kemmerich zu dessen Rücktritt bewegte – und Wolfgang Kubicki, immerhin Bundestagsvizepräsident, gratulierten Kemmerich. Neben den Coup, der Höcke mit dem Vorführen von CDU und FDP gelungen war, war das für mich das eigentlich besorgniserregende: Wie wenig Distanz Konservative und Liberale zu ihren Fehler herstellen konnten, wie wenig sie nach dem Dammbruch einen glaubwürdigen Bruch mit den Faschisten herstellen konnten.

Man könnte jetzt die historische Keule schwingen und daran erinnern, dass schon Hitlers Ermächtigungsgesetz nur seine Mehrheit im Reichstag fand, weil die konservative Zentrumspartei und die liberale Deutsche Staatspartei diesem nach einigem Zögern letztlich geschlossen zustimmten (nur die Abgeordneten der SPD stimmten damals gegen die faktische Abschaffung der Demokratie, die Abgeordneten der KPD konnten wegen Verfolgung, Inhaftierung oder Ermordung bereits nicht mehr an der Abstimmung teilnehmen). Doch es braucht den historischen Vergleich gar nicht um aufzuzeigen, dass konservative wie neoliberale Kräfte auch heute massive Probleme mit ihrer Abgrenzung nach rechtaußen haben und das, was in Thüringen geschehen ist, ohne Frage ein Dammbruch war, aber keinesfalls das einzige Beispiel für offenes Zusammenarbeiten von CDU und FDP mit der AfD. Es reicht ein Blick nach Sachsen-Anhalt, wo die AfD vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet wird.

Anstand und Haltung

Zur Einordnung: Im Medienausschuss des Landtages von Sachsen-Anhalt wird heute über eine Beschlussempfehlung zur Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages abgestimmt. Nachdem der Rundfunkbeitrag zuletzt vor zehn Jahren erhöht und 2015 sogar abgesenkt wurde, soll er ab dem kommenden Jahr um 86 Cent steigen. Dieser Vorschlag, der auf Grundlage der Empfehlung einer unabhängigen Kommission entwickelt wurde, geht auf eine Einigung aller Landesregierungen zurück. Zugestimmt hat auch der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU. Haseloff – diese Info ist wichtig, um einschätzen zu können, dass der Politiker in seiner Partei durchaus verwurzelt ist – soll seine CDU auch in die Landtagswahl im kommenden Jahr führen. Er führt aktuell seit der Landtagswahl 2016 eine sogenannte Kenia-Koaltion aus CDU, SPD und den Grünen – eine Vernunftsregierung, darauf basierend, dass das Wahlergebnis im LSA keine andere Mehrheiten zugelassen hatte. Wichtig ist außerdem, dass alle Landtage der Staatsvertrags-Novellierung zustimmen müssen. In den meisten Landtagen ist dies auch bereits passiert und überall stimmten neben den Landesregierungen dabei auch alle demokratischen Oppositionsparteien für die Erhöhung.

Die CDU-Landtagsfraktion will der Beitragsanhebung nicht zustimmen. Sie liebäugelt seit Wochen offen damit, gegen die eigene Landesregierung, den eigenen Ministerpräsidenten, Spitzenkandidaten und vor allem zusammen mit der AfD zu stimmen. Das Pikante: CDU und AfD haben eine gemeinsame Mehrheit im Landtag. Folgt die CDU in der Ablehnung der AfD, scheitert also der gesamte Rundfunkstaatsvertrag – und die AfD hätte damit bundespolitischen Einfluss gewonnen. Die CDU hat also eine Verantwortung über die einzelne Abstimmung hinaus. Egal, wie sie zur Beitragserhöhung steht, unabhängig davon, ob ihr das MDR-Nachmittagsprogramm gefällt, sollte einer staatstragenden Partei immer klar sein, dass man nichts tun darf, was Faschist*innen an Macht gewinnen lässt.

Das Land der Frühaufsteher rechtsaußen-CDU

Am Morgen des 2. Dezember teilte die SPD-Fraktionsvorsitzende und sozialdemokratische Spitzenkandidatin Katja Pähle mit, dass es für die Ausschusssitzung eine Einigung innerhalb der Koalition gebe. Gleichzeitig sagte sie jedoch auch, dass CDU, SPD und Grüne Zeit bräuchten, um sich auf eine gemeinsame Linie für die Landtagssitzung zu einigen. Heißt: Ein neuer Knall kann vermutlich abgewendet werden, doch um die Gefahr endgültig abzuwehren müssen die standhaften Demokrat*innen noch ganz schön auf die Union einwirken. Warum das auch erforderlich ist, zeigen noch weitere rechte Dammbrüche in der CDU Sachsen-Anhalt. Einige Beispiele:

Die stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Lars-Jörg Zimmer und Ulrich Thomas verfassten eine gemeinsame Denkschrift darüber, dass man „das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“ müsse – klassischer NPD-Sprech. In ihrem Papier fordern die beiden einflussreichen Politiker auch eine neue Offenheit der Union für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Die Ablehnung, die einem entgegenschlage, wenn man dafür Position beziehe, kritisierte insbesondere Zimmer deutlich: Gegen die innerparteiliche Kritik, die er erfahre, so sagte er es beim Politischen Aschermittwoch Anfang des Jahres, sei „die Taliban ein Gesangsverein“.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion strebt eine CDU-Alleinregierung an, die sich unter anderem von der AfD tolerieren lassen könnte. Schon 2018 – als also noch André Poggenburg Chef der AfD in Sachsen-Anhalt war – kommunizierte er dies in einem Interview mit der größten Regionalzeitung. Parteiinterne Sanktionierungen? Fehlanzeige.

Auf einem CDU-Landesparteitag im vergangenen Jahr wollte die CDU Sachsen-Anhalt zudem ihre Abgrenzung gegenüber der AfD und der Linken bestätigen. Und als wäre diese Gleichsetzung nicht schon geschichtsvergessen und politisch unhaltbar genug, wurde die entsprechende Beschlussvorlage des Landesvorstandes von den Delegierten aus den Kreisverbänden krass aufgeweicht: Per Beschluss schließt die CDU Sachsen-Anhalt jetzt einerseits jede Zusammenarbeit mit Linkspartei aus, hält aber eine von der AfD-tolerierte CDU-Minderheitsregierung nach der nächsten Landtagswahl ausdrücklich für möglich. Damit wir uns nicht missverstehen: Ja, hier will ein Landesverband der Partei von Adenauer, Kohl und Merkel Neonazis in Regierungsverantwortung bringen.

Im Dezember vergangenen Jahres wurde zudem bekannt, dass ein CDU-Kreisvorstandsmitglied aus Anhalt-Bitterfeld Mitglied der paramilitärischen, rechtsterroristischen Vereinigung Uniter als Vereinsmitglied angehört und sich bekannte Nazi-Symbole auf sichtbare Stellen am Oberarm tätowiert hatte. Das kann den übrigen Kreisvorstandsmitgliedern ebenso wenig verborgen geblieben sein wie dem CDU-Landesverband. Dessen Vorsitzender, Landesinnenminister Holger Stahlknecht, weigerte sich jedoch tagelang das betreffende Mitglied zum Austritt aus der CDU aufzufordern oder ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten. Aus der CDU trat die entsprechende Person, die sich übrigens ebenfalls für die Zusammenarbeit mit der AfD aussprach, dennoch aus. Wir müssen festhalten, dass die CDU nur wenige Wochen nach dem antisemitischen, rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle, rechtsterroristische Zusammenschlüsse in Person ihres Landesvorsitzenden verharmloste. Und nochmal: Holger Stahlknecht ist auch Innenminister. Was sagt es also bitte über die CDU in Sachsen-Anhalt aus, dass man allen Ernstes glaubt, so jemand könnte Verfassung und Bürger*innen schützen und für Sicherheit sorgen?

Liberales Abgrenzungsversagen

Schauen wir noch ein bisschen weiter in den Norden, nach Mecklenburg-Vorpommern. Dort finden wir den inzwischen zurückgetretenen Innenmister Lorenz Caffier, ebenfalls CDU. Sein Rücktrittsgrund: Er hatte für den privaten Gebrauch – Caffier ist Hobby-Jäger – eine Waffe beim mutmaßlichen Kopf der ebenfalls als rechtsterroristisch eingestuften Hannibal-Gruppe erworben und war Schirmherr eines Schießtrainings, bei dem eben jene Gruppe mutmaßlich die seitdem bei den Sicherheitsbehörden vermisste Munition stahl. Seinen Rücktritt begründete Caffier übrigens nicht mit seinem offensichtlichen Fehlverhalten, sondern damit, dass die Medien seine Fehler kritisiert hatten. Kein Witz. Es ist diese mangelnde Reflexionsfähigkeit, kombiniert mit der Diskursverschiebung nach rechts, die Caffier selbst noch mit seiner Rücktrittserklärung betrieben hat, die einen wirklich über die Wehrhaftigkeit und Standhaftigkeit der Konservativen besorgen kann. Auch nach Berlin lohnt ein Blick: Dort verweigert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) immerhin seit Monaten eine Studie über institutionalisierten Rassismus innerhalb der Polizei.

Und was machen die Liberalen? In Sachsen-Anhalt sind sie seit 2016 nicht mehr im Landtag vertreten. Zur aktuellen Diskussion über die Annahme der Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages äußern sie sich dennoch, und schlagen sich eindeutig auf die Seite der AfD: „Wir fordern die Fraktionen im Landtag von Sachsen-Anhalt auf, diesen Staatsvertrag nicht zu ratifizieren“, heißt es in einem Beschluss des Landesvorstandes. Damit fordert dieser die CDU sogar dazu auf, mit der faschistoiden AfD eine gemeinsame Mehrheit gegen die demokratischen Fraktionen zu bilden. Aus Kemmerich nichts gelernt? SPD und Grüne haben währenddessen angekündigt, die Kenia-Koalition zu beenden, sollte die Beitragserhöhung scheitern. Es ist der richtige Schritt: Dammbrüche müssen entschieden beantwortet werden.

Um die Demokratie muss man (wahl)kämpfen!

Wir müssen dabei feststellen, dass die Union und die Freien Demokraten unterm Strich keine verlässlichen Partner*innen im Kampf gegen rechts sind. Und das, obwohl sich viele leidenschaftliche Demokrat*innen in diesen Parteien engagieren und man mit beiden Parteien natürlich gut zusammenarbeiten und unsere demokratische Gesellschaft gestalten kann. Was also tun? Um eine Demokratie muss man kämpfen. Und Antifa ist bekanntlich Hand-in-Hand-Arbeit. Das heißt: Wir müssen die demokratischen Kräfte, die klar gegen den Faschismus einstehen, die nachgewiesen haben, dass sie nicht mit rechtsradikalen Parteien paktieren oder rechtsterroristische Vereinigungen relativieren, stärken. Im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt werde ich deswegen vor Ort sein und die Direktkandidierenden Katharina Zacharias (Haldensleben) und Igor Matviyets (Halle) in ihrem Wahlkampf mit vielfältigen Formaten und in zahlreichen Gesprächen auf der Straße unterstützen. Ich freue mich schon sehr darauf und bin bis in die Haarspitzen motiviert, denn wir müssen gewinnen.

Und wir werden gewinnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Bühlbecker

Jan Bühlbecker. Slam Poet, Jungsozialist & Sozialdemokrat. Liebt Queer-Feminismus, Fußball, das Existenzrecht Israels & Hashtags.

Jan Bühlbecker

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