"Nur knapp über einem Käfer auf dem Boden."

Journalismus WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich sprach gestern Abend zum Thema "Wozu nach Journalismus?". Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gehörten.

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“Ich möchte die Gelegenheit gleich mal nutzen, um Werbung zu machen” – Mit diesen Worten begann die WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich gestern Abend ihren Vortrag “Wozu noch Journalismus” in der Alten Druckerei Herne. Was folgte waren Hintergrundgespräch und Diskussion anlässlich ihres einjährigen Dienstjubliäums in dieser verantwortungsvollen Position. Sonia Mikich soviel wurde schnell klar, blüht für ihren Job, für ihre Branche und sie stolz auf ihre Kollegen, wenn diese beispielsweise eine Dokumentation wie diese präsentieren: “Heute Abend läuft um 22 Uhr 15 eine Dokumentation im Ersten, an der wir sehr lange und unter schwersten Bedingungen gearbeitet haben. Einer unserer Redakteure wurde sogar in Katar verhaftet – Sie können sich vorstellen, dass das nicht besonders angenehm ist. Aber durch unsere harte Arbeit war es uns möglich, aufzuzeigen, dass die FIFA korrupt ist.” Gemeint war die WDR-Dokumentation “Das gekaufte Spiel”, die gestern Abend Premiere feierte. Wie groß die Quote wohl seien werde? “Wenn wir Glück haben schauen das zwei Millionen Menschen”, antwortete die langjährige Monitor-Moderatorin. Was ein Unterhaltsredakteur zu solch einer Quote sagen würde? Vermutlich wäre er nicht begeistert, entgegnete Mikich, aber die Zuschauer hätten ein Recht darauf, abends im Fernsehen unterhalten zu werden, aber: “Sie können davon ausgehen, dass wenn ich Königin der ARD wäre, mehr Dokumentationen um 20 Uhr 15 laufen würden.”

Ähnlich deutlich, mit einer gewissen Prise Selbstironie, beantwortete die ehemalige Russland-Korrospondentin den ganzen Abend über die Fragen aus dem Publikum. Sie machte klar: “Ein Journalist der sich nicht als Anwalt der Zivilgesellschaft sieht, ist nicht viel wert”, “ich glaube an die vierte Gewalt” und “es gibt keinen objektiven Journalismus”. Auf die Frage, wie weit man als Anwalt der Zivilgesellschaft denn gehen könne, um ob es auch erlaubt sei, demokratisch legitimierte Personen bewusst aus dem Amt zu schreiben entgegnete die “Verfechterin der Demokratie”: “Wir haben mal mit Monitor aufgedeckt, dass es lange Jahre bezahlte Lobby-Büros in Ministerien gab, die auch direkt an Gesetzten beteiligt waren. Wenn wir solch eine Korruption aufdecken und deswegen Jemand zurücktreten muss, finde ich das gut.” Mikich räumte in diesem Zusammenhang aber auch Fehler ein: “Im Fall Wulff sind, da sind wir uns glaube ich einig, die Pferde mit uns durchgegangen, da habe auch ich mich vergaloppiert”, wobei: “Es hat, finde ich, nicht den falschen getroffen.”

Dennoch dürfe sich der Journist nicht “als Teil einer politischen Elite sehen”. Negativ Beispiel: Bettina Schausten im Wulff-Interview. Wobei sie schon den Eindruck habe, der Journalist stehe in der gesellschaftlichen Wahrnehmung “knapp über einem Käfer auf dem Boden”. Im Zuge des Germanwings-Absturzes Ende März müsse man sich fragen, ob man durch die teilweise stundenlangen Sondersendungen, wirklich noch einen Mehrwert für den Zuschauer geschaffen oder “irgendwann nur noch unterhalten” habe. Einen Mehrwert schaffen – Das sei die Aufgabe eines Beitrags, gerne crossmedial (gut so!), aber bitte nicht so beschleunigt: “Wenn ich schon 30 Minuten, nachdem ich von etwas höre, berichte, muss ich mich fragen, ob es überhaupt möglich ist, in so kurzer Zeit, alle Fakten richtig auszuwerten und das gehörte zu überprüfen.” Sie wünsche sich manchmal eine Rückkehr zur Wochenzeitung, doch das sei “unrealistisch”, auch weil sich “die jungen Kollegen” dann “zu Tode langweilen” würden.

Die WDR-Chefredakteurin gab sich den ganzen Abend über sehr professionell, wich Fragen geschickt aus, verdrehte Aussagen aus dem Publikum, um für sie besser darauf antworten zu können. In meinem persönlichen Gespräch mit ihr verfestigte sich dieser Eindruck. Angesprochen auf einen fehlerhaften Monitor-Bericht aus der letzten Woche entgegnete sie: “Ich würde Ihnen jetzt gerne sagen, dass die Fehler nicht gemacht wurden, aber das kann ich nicht, ich stecke da nicht mehr so tief drin, schreiben Sie doch dem Sendungsleiter, der kann Ihnen da besser helfen.” Ob Zuschauer-Kritik da ankäme? “Jein.” Immerhin, ehrlich. “Sie können Ihre Fragen ja aber auch bei Facebook posten, das kann Ihnen keiner nehmen.” Danke.

Sonia Mikich ist – aus meiner Sicht – eine Frau, die für den Journalismus lebt und die gewissenhaft arbeiten möchte. Aber Sonia Mikich steht in manchen Punkten auch im Widerspruch zu ihrem Selbstbild: Sie hält aber auch viel von sich, zweifelt ihre eigenen Ansichten nicht an und überschreitet mit ihrem Selbstbild gewiss die Kompetenzen des Journalismus’. Meiner Meinung nach dient Journalismus dazu a) zu berichten und b) aufzuklären, ich glaube schon, dass dies objektiv möglich ist. Und schnell gehen kann. Die heutige Zeit ist einfach schnelllebiger als es früher war, man mailt, statt Briefe zu schreiben, via Twitter geht ein Bild in Sekunden um die Welt, welches früher Tage unterwegs gewesen wäre. Eine erste Meldung muss ja nicht vollständig sein, sie muss nur die Fakten verbreiten.

Und darum schaue ich mit gemischten Gefühlen auf den gestrigen Abend zurück, bin aber dankbar dafür, dass es öffentlich-rechtlichen Journalismus in Deutschland gibt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Bühlbecker

Jan Bühlbecker. Slam Poet, Jungsozialist & Sozialdemokrat. Liebt Queer-Feminismus, Fußball, das Existenzrecht Israels & Hashtags.

Jan Bühlbecker

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