Kritiker haben es nicht einfach

Konsumkritik: Kritik ist zunächst einmal eine Aufforderung an den Gegenpart, Ideen, Meinungen usw. zu überprüfen. Verachten Kritiker die Freiheit?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Dass Personen wegen ihrer Äusserungen kritisiert oder sogar angegriffen werden, gehört zum Alltag und ist nicht einmal verwerflich. Aber nur dann, wenn sich Kritiker oder Angreifer nicht im Tonfall vergreifen.

Kapitalismus – eine Neurose?

Der Kapitalismus sei die Neurose der Menschheit, so verspricht der Titel des «Spiegel»-Interviews mit der slowenischen Philosophin und Soziologin Renata Salecl. Tatsächlich geht es im Interview um die «Tyrannei der Wahl», die laut Salecl als eine Ideologie des postindustriellen Kapitalismus entstanden sei.

Im Interview erfolgt dann ein Platzregen der speziellen Art, d. h. eine Mischung aus Kapitalismuskritik, Zustandsbeschreibung menschlichen Verhaltens, Illusionen und ein bisschen Psychologie. Allerdings ist Renata Salecl nicht sehr differenziert, was Klagelieder, die einem Rundumschlag gleichen, so an sich haben.

Um nicht Salecl Unrecht zu tun: Manches, was sie sagt, hat einen gewissen Wirklichkeitsgehalt, ist ein Spiegelbild eines Teils unserer Gesellschaft. Dennoch tönen ihre Ausführungen sehr absolut. Schade ist, dass Salecl eine echte Argumentation versäumt und mehr auf Gefühlsregungen setzt. Eine Hinterfragung ist im Interview nicht in Sicht. Soweit einmal zum erwähnten Interview, das der Leser besser selber lesen sollte, statt mit meiner Interpretation vorlieb zu nehmen.

Kritik muss nicht unbedingt Alternativen enthalten

Szenenwechsel zu «Cicero», denn dort schreibt Alexander Marguier eine Replik auf dieses Interview. Dort schreibt er, bedrückend dämlich wirke Konsumkritik von Renata Salecl aus einem Grund, weil sie keinen Gedanken verschwende, wie eine Alternative aussehen könne. Darauf möchte ich nur eine mögliche Antwort geben: Wo steht ehern festgeschrieben, dass eine Kritik immer Gegenentwürfe oder Alternativen enthalten muss? Kritik, so meine ich, ist zunächst einmal eine Aufforderung an den Gegenpart, Ideen, Meinungen usw. zu überprüfen. Leider erleben wir aber immer wieder, wie Kritiken zerschlagen werden, wenn Alternativen fehlen. Und schon sind wertvolle Debatten zur Hölle befördert.

Alexander Marguier macht es sich zu einfach, indem er am Endes seiner Replik schreibt: «Die Larmoyanz wohlstandsverwöhnter Konsumkritiker ist nicht nur deshalb so hässlich, weil sie die eigene Befindlichkeit für allgemeinverbindlich erklärt. Sondern wegen ihrer flagranten Freiheitsverachtung, die sich im Zweifelsfall ziemlich sicher nicht nur auf die bunte Warenwelt bezieht».

Das ist ein Vorlage, denn Marguier scheint selber ziemlich larmoyant zu sein. Nicht nur, weil er den Konsumkritikern vorwirft, sie würden ihre Befindlichkeit für allgemein verbindlich erklären. Marguier verallgemeinert selber, nämlich dass alle wohlstandsverwöhnten Konsumkritiker verallgemeinern würden. Der Autor geht noch einen Schritt weiter, indem er unverblümt erklärt, verwöhnte Konsumkritiker seien Freiheitsverachter. Das ist so ziemlich der Hammer und sehr kurz gedacht! Sind sie das wirklich, nur weil sie Konsumkritik üben?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden