Anders privatisieren

Genossenschaftsmodell Wohnungsverkauf muss nicht immer weh tun

Der Mietwohnungsmarkt in Deutschland ist seit etwa vier Jahren in Bewegung: Branchenfremde internationale Finanzinvestoren kaufen im großen Stil Wohnungsbestände. Ihren Geldgebern versprechen sie Renditen in Höhe von bis zu 15 Prozent mit der Begründung, im europäischen Vergleich seien die Mieten in Deutschland niedrig. Auffällig ist, dass das angeblich niedrige Mietenniveau nicht zu Investitionen anreizt, sondern zum Kauf kompletter Wohnungsbestände von Gewerkschaften oder Kommunen. Diese Eigentümer hielten bisher die Mieten für ihre Wohnungen auf einem eher niedrigen Niveau.

Auch die Stadt Freiburg im Breisgau unter dem Grünen-Oberbürgermeister Dieter Salomon sah den Verkauf von 7.900 ihrer 8.900 oftmals im sozialen Wohnungsbau erstellten Mietwohnungen als Lösung ihres Schuldenproblems. Doch ein Bürgerentscheid stoppte das Vorhaben vergangenes Wochenende. Es war von einem möglichen erzielbaren Erlös zwischen 370 und 510 Millionen Euro die Rede. Nun darf drei Jahre lang keine einzige Wohnung verkauft werden.

Dabei gibt es einen sozialverträglichen Weg des Verkaufs. In der heftig geführten Debatte um den anvisierten Wohnungsverkauf wurden auch Genossenschaftsmodelle als Alternative diskutiert. Reinhard Disch, Vorstand des Bauvereins Breisgau, der größten Wohnungsgenossenschaft in Freiburg, schlug gemeinsam mit dem Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen (VWB) die Gründung einer neuen Wohnungsgenossenschaft vor. "Ein solches Genossenschaftsmodell bietet den Mietern erheblich mehr Selbstverantwortung und Eigenverantwortlichkeit - Wohnen im genossenschaftlichen Eigentum", warb Disch vom Bauverein für diesen Ansatz. Die bisherigen Mieter können zu günstigen Bedingungen Mitglied dieser Genossenschaft werden. Insbesondere die Mietkautionen in Höhe von etwa sechs Millionen Euro, die bisher im Unternehmen der Freiburger Stadtbau (FSB) angelegt sind, ließen sich mit Zustimmung der Mieter in Geschäftsanteile umwandeln. Die Mieter erhalten als Teileigentümer "ihrer" Genossenschaft neben Einflussrechten auch eine Dividende auf ihre Anteile. Hinzu käme ein satzungsmäßiges Dauernutzungsrecht für ihre Wohnung, was faktisch auf eine Unkündbarkeit hinausläuft.

Das vorgeschlagene Genossenschaftsmodell hätte auch die Vorgaben der "Freiburger Sozialcharta" hinsichtlich der Mieter und Mitarbeiter der bisherigen Stadtbau erfüllt. Reinhard Disch: "Das genossenschaftliche Modell erfüllt am ehesten die bisher von der Stadtbau wahrgenommenen wohnungspolitischen Aufgaben und würde einen Beitrag zum sozialen Frieden in der Stadt leisten. Nachhaltigkeit steht einem kurzfristigen Engagement von Finanzinvestoren gegenüber."

Die Vorschläge der Freiburger Genossenschaften erinnern an den "Flensburger Weg" der Privatisierung. Ein "Jahrhundertereignis" nannte es Rainer Heinz, damals zweiter Bürgermeister in Flensburg, als die Aufsichtsräte der städtischen Tochtergesellschaft Flensburger Wohnungsbau (WoBau) und des genossenschaftlichen Selbsthilfe-Bauvereins (SBV) der Verschmelzung beider Unternehmen zustimmten. Für einen Kaufpreis von rund 115 Millionen Euro übernahm die Genossenschaft den Wohnungsbestand der WoBau. Darin waren etwa 70 Millionen Euro Schulden der WoBau enthalten. Fünf Millionen bekam die Sparkasse als Miteigentümerin (zehn Prozent). Der Verwaltungshaushalt der Stadt Flensburg wurde nachhaltig entlastet.

Den Mietern entstanden aus dem Verkauf keine Nachteile oder Risiken. Im Gegenteil: Für alle Beteiligten war die Privatisierung ein Gewinn. Bei Mieterhöhungen dürfen maximal 50 Prozent der gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, außer bei umfangreichen Sanierungen. Der Verkauf an den SBV war nach Einschätzung von Rainer Heinz die mieterverträglichste Lösung: Die Genossenschaft stellt, wie die WoBau, günstigen Wohnraum auch für einkommensschwache Mieter bereit. Weitere ähnliche Ziele seien das Engagement in den Stadtteilen und Investitionen in altersgerechtes Wohnen. "Die Stabilität des Flensburger Wohnungsmarkts ist gesichert", so Rainer Heinz.

Ausschlaggebend für den Erfolg des "Flensburger Weges" ist ein nachvollziehbarer und strategisch angelegter Entscheidungsprozess. Von Beginn an wird Transparenz praktiziert - auch gegenüber Mietern und Öffentlichkeit. Eine Projektgruppe des Aufsichtsrates der WoBau organisierte die ergebnisoffene Arbeit unter Einbeziehung des Mieterbeirates und der Personalvertretung. Der Lohn der Vorgehensweise: Verkaufsbeschluss durch die Ratsversammlung im Mai 2006 mit nur einer Gegenstimme, ausschließlich positive Berichterstattung durch die Medien, keinerlei geäußerte Sorgen oder Proteste durch Mieter. Der gesamte Prüf- und Entscheidungsprozess dauerte nur sechs Monate.

Hätte der "Flensburger Weg" nicht auch in Freiburg gewählt werden können? In der Breisgauer Stadt gab es einen entscheidenden Unterschied: Die Grünen hatten zusammen mit der CDU eine EU-weites Bieterverfahren beschlossen. Dies wäre in Gang gesetzt worden, wenn der Verkauf der Freiburger Wohnungen nicht verhindert worden wäre. In einem internationalen Bieterverfahren hätte für Genossenschaften keine Chance bestanden, da sie nicht gewinnmaximierend wirtschaften. Internationale Finanzinvestoren können durch Weiterverkauf, Mieterhöhungen und Vernachlässigung der Bausubstanz selbstverständlich etwas mehr Geld aufbringen.


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