Anfang August haben sich die Spitzen der Bundesregierung auf ein "Paket" zur teilweisen "Gegenfinanzierung" der für den 1. Januar 2004 geplanten Steuersenkungen geeinigt. Besonders umstritten ist der rot-grüne Vorschlag zur Gewerbesteuer. Vertreter von Städten und Gemeinden sprechen inzwischen von einer "Mogelpackung" und erwarten eine weitere Verschlechterung der kommunalen Einnahmen, wenn der Regierungsentwurf umgesetzt wird. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält sich dagegen auffallend zurück. Aus gutem Grund: Denn der maßgeblich von Schröder und Clement forcierte Regierungsentwurf wäre keine Reform, sondern ein Enthauptungsschlag gegen die Gewerbesteuer.
Für die Öffentlichkeit liest sich alles wunderbar. Die Kommunen werden mit der "Gegenfinanzierung" angeblich um vier bis fünf Milliarden Euro jährlich entlastet. Davon sollen 1,6 Milliarden Euro auf Mehreinnahmen aus der Gewerbesteuer entfallen. Diese Berechnungen beruhen freilich auf Modellen, die in keiner Weise Gestaltungstricks berücksichtigen, die mit dem neuen Konzept entstehen würden. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht an dieser neuen Gewerbesteuer nichts zu beanstanden hätte, was nicht zu erwarten ist, wäre gleichwohl ihre faktische Abschaffung gewiss.
Um die Mängel des Regierungsentwurfs zu verstehen, bietet sich zunächst ein Vergleich mit dem Modell der kommunalen Spitzenverbände an, dem sich unter anderem auch die Gewerkschaften und alle norddeutschen Finanzminister angeschlossen hatten. Dieses Modell beinhaltete gegenüber der bisherigen Gewerbeertragssteuer (siehe Kasten) insbesondere zwei Verbesserungen. Erstens sollte mit der Einbeziehung aller Selbstständigen und freiberuflich Tätigen die Steuerbasis erheblich verbreitert werden. Es ging darum, alle unternehmerischen Aktivitäten nach gleichen Maßstäben zur Finanzierung kommunaler Aufgaben heranzuziehen.
Zweitens sollte die Bemessungsgrundlage "Gewerbeertrag" weitgehend lückenlos das Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit abbilden. Gegenwärtig mindern vor allem größere Unternehmen ihren steuerpflichtigen Gewerbeertrag, indem sie einen künstlich erhöhten Anteil von Fremdkapital und entsprechend hohe Zinszahlungen ausweisen. Daher sollten diese Aufwendungen - so der Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände - bei der Ermittlung des Ertrags vollständig wieder hinzugerechnet werden. Bei einer lokalen Steuer ist dies auch die einzig sinnvolle Lösung für das Problem, dass Finanzierungsstrukturen nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind und daher unerwünschte steuerliche Gewinnverlagerungen ermöglichen würden. Dieses zweite zentrale Element einer Revitalisierung der Gewerbesteuer hat die Bundesregierung allerdings kurzerhand wieder gekippt.
Nur vordergründig geht es dabei um eine Detailregelung, die Unternehmen in gewinnschwachen oder gar verlustbringenden Zeiten schonen soll. Denn die vollständige Abschaffung der "Hinzurechnungen", das heißt die volle gewerbesteuerliche Anerkennung von Finanzierungskosten, wäre geradezu ein Aufruf an gut verdienende Unternehmen, sich durch entsprechende Gestaltungen weitgehend der Besteuerung zu entziehen. Also: Mieten statt kaufen und das vorhandene Eigenkapital lieber zur Bank tragen als damit den Betrieb finanzieren. Die oft beklagte niedrige Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen - fast ausschließlich ein Ergebnis jahrzehntelanger steuerlicher Privilegierung der Fremdfinanzierung - würde weiter sinken. Die Unternehmenssteuerreform von 2000, die unter anderem auch die Bedingungen für die Eigenfinanzierung der Unternehmen verbessern sollte, wäre ad absurdum geführt.
Wer trickst, gewinnt ...
Ob und inwieweit es darüber hinaus möglich sein wird, die Fremdfinanzierung nur zu fingieren, liegt noch weitgehend im Dunkeln. Zwar sollen - ein Lichtblick im Gesetzentwurf der Regierung - Zinszahlungen an Gesellschafter und ihnen nahestehende Personen dem Gewerbeertrag hinzugerechnet werden, aber die bekannte Kreativität der Steuersparbranche gibt wenig Anlass zu der Hoffnung, dass hier ein wasserdichter Ausschluss möglich ist. Beispielsweise wird man Zinsen auf Anleihen einer Publikumsgesellschaft mangels Erfassung auch dann nicht hinzurechnen können, wenn die Aktionäre auf beiden Seiten identisch sind. Warum sollten kleinere Gesellschafen sich daran kein Vorbild nehmen? Wer zieht die Grenze, bis zu der dies zulässig sein soll? Sollen etwa nur die großen, börsennotierten Unternehmen geschont werden?
Zu beachten ist, dass sich solche Finanzierungsgestaltungen nur für gesunde Kapitalgesellschaften mit einem Mindestmaß an Erträgen uneingeschränkt eignen. Erstens fallen administrative Kosten an, die durch die Steuerersparnis gedeckt werden müssen. Zweitens werden bei schwachbrüstigen Unternehmen die Banken ein Wörtchen mitreden wollen, wenn die Eigentums- und Finanzierungsverhältnisse grundlegend umstrukturiert werden sollen. Es kann also keine Rede davon sein, dass die Regelung speziell ertragsschwache Unternehmen vor dem übermäßigen Zugriff des Fiskus schonen würde. Vielmehr führt die vorgeschlagene Gewerbesteuerreform zu einer weitgehenden Entkoppelung der Erträge vom Betrieb, in dem sie erwirtschaftet werden. Entsprechend dürfte es zu einem gnadenlosen Steuerwettbewerb zwischen den Kommunen kommen, der nicht einmal mehr wie in der Vergangenheit dadurch begrenzt ist, dass der Ansiedlung eines Betriebes auch Kosten für Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen gegenüberstehen. Eine Briefkastenfirma verursacht keinen nennenswerten kommunalen Aufwand. Daher wäre es für einige Kommunen attraktiv, mit dem geplanten Mindesthebesatz von 200 Prozent um Gesellschaften zu werben, die nur Erträge einsammeln und keine nennenswerte Infrastruktur benötigen. Diejenigen Städte und Gemeinden aber, die tatsächlich Betriebsstandorte sind und entsprechenden Aufwand haben, werden ausgeblutet.
... und die Kommunen bluten aus
Seit der 2001 in Kraft getretenen Unternehmenssteuerreform wird die Gewerbesteuerbelastung der Einzelunternehmer und Personengesellschaften pauschaliert (in Höhe des 1,8-fachen des Gewerbesteuermessbetrages, siehe Kasten) auf die Einkommensteuer angerechnet. Diese Pauschalierung soll nun aufgehoben und durch die Anrechnung der tatsächlich gezahlten Gewerbesteuer - bis zu einer Obergrenze von 380 Prozent des Messbetrages - ersetzt werden. Das führt dazu, dass Hebesatzänderungen unterhalb der Grenze von 380 Prozent sich nicht auf die Steuerlast dieser Unternehmen auswirken. Die Gemeinde bedient sich direkt aus dem allgemeinen Einkommensteueraufkommen. Daher wird es eine Reihe von fast ausschließlich durch Kleinbetriebe geprägten, in der Regel ländlichen Kommunen geben, die ihren Hebesatz auf 380 Prozent erhöhen und voraussichtlich gut damit leben können.
Die vorgesehene Änderung der Anrechnungsvorschrift bewirkt zugleich, dass Personenunternehmen kaum von der entfesselten Hebesatzkonkurrenz unter den Gemeinden profitieren könnten. Diese Möglichkeit wäre auf die Kapitalgesellschaften beschränkt, die im Zuge der Unternehmenssteuerreform voll mit Gewerbesteuer belastet geblieben waren, dafür aber in den Genuss einer drastischen Senkung des Körperschaftsteuersatzes kamen.
Auch verfassungsrechtlich ist das von der Kanzlerrunde ersonnene Modell aus mehreren Gründen in höchstem Maße fragwürdig. Wenn man Zinsen und andere "Hinzurechnungen" steuerlich nicht berücksichtigt, ergibt sich eine weitgehende Identität der Bemessungsgrundlagen "Gewinn" (Einkommensteuer) und "Ertrag" (Gewerbesteuer). Und damit wäre die Frage zu beantworten, ob es sich nicht um eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppelbesteuerung handelt. Nach der 1998 vorgenommenen Beschränkung der Gewerbesteuer auf eine reine Gewerbeertragssteuer war bereits dahingehend geklagt worden. Mit dem rot-grünen Modell ist nicht ersichtlich, wieso das Bundesverfassungsgericht nicht auf das Vorliegen einer gruppenspezifischen Doppelbesteuerung erkennen sollte. Hinzu kommt, dass die von realwirtschaftlichen Erfordernissen völlig losgelöste Steuerkonkurrenz das Hebesatzrecht der Kommunen zu einer inhaltslosen Hülle degradieren würde. Damit wäre Artikel 28 des Grundgesetzes verletzt, in dem das Hebesatzrecht festgeschrieben ist.
Die beschriebene Änderung der einkommensteuerlichen Anrechnung der Gewerbesteuer bedeutet aus der Sicht der Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, dass Gemeinden unterhalb von 380 Hebesatzpunkten ihr Gewerbesteueraufkommen direkt aus dem Einkommensteueraufkommen entnehmen und sich damit zu Lasten anderer Gemeinden sowie des Bundes und der Länder bereichern können. Auch dies könnte Gegenstand einer erfolgversprechenden Klage sein.
Insgesamt ist also festzuhalten, dass Schröders und Clements Modell ökonomisch völlig unzulänglich ist und in mindestens drei Punkten verfassungswidrig sein dürfte. Die vollständige Aushöhlung der kommunalen Finanzautonomie würde schon in ein paar Jahren unter dann noch dramatischeren Bedingungen eine neue Gemeindefinanzreform erfordern. Dann wird man vermutlich die Umsatzsteuer erhöhen, den Kommunen einen etwas größeren Anteil daran einräumen und die Forderungen des Bundesverbandes der deutschen Industrie auf niedrigstem Niveau umsetzen. Aber vielleicht muss es ja soweit nicht kommen, wenn die Fraktionen der SPD und der Grünen im Verein mit Städten und Gemeinden das tun, was geboten ist und gegen die vom Kabinett kaltgestellte Gewerbesteuer rebellieren.
Burkhard Winsemann, Dipl.-Ökonom, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Gesamtpersonalrat für das Land und die Stadtgemeinde Bremen. Er vertritt hier seine persönliche Auffassung.
Kompliziertes Rechenwerk
Die Gewerbesteuer nach geltendem Recht
Bislang ist die Gewerbesteuer, die allein den Kommunen zufließt, eine sogenannte Real- oder Objektsteuer. Es soll nicht der Gewerbebetrieb in seiner individuellen Ausformung besteuert werden, sondern die objektive Ertragskraft des Betriebes. Dies bedingt eine Reihe von Hinzurechnungen und Kürzungen zu dem tatsächlichen Gewinn des Gewerbebetriebes, die sich historisch entwickelt haben. Danach ermittelt sich der Gewerbeertrag wie folgt: Gewinn aus Gewerbebetrieb plus Hinzurechnungen (zum Beispiel 50 Prozent dauerhaft geschuldeter Zinsen) minus Kürzungen (zum Beispiel 1,2 Prozent des Einheitswerts der Betriebsgrundstücke) = Gewerbeertrag.
Die Steuerfestsetzung erfolgt bei der Gewerbesteuer in mehreren Schritten. Zunächst ermittelt das Finanzamt - auf der Grundlage der jeweiligen Gewerbesteuererklärung nebst Jahresabschluss des Gewerbebetriebes - den sogenannten Gewerbesteuermessbetrag, indem sie den Gewerbeertrag mit einer Messzahl multipliziert. Diese Messzahl beträgt bei Kapitalgesellschaften fünf Prozent und liegt bei Personenunternehmen zwischen einem und fünf Prozent (Freibetrag 24.500 Euro). In einem zweiten Schritt wird der Gewerbesteuermessbetrag mit einem Hebesatz multipliziert. Jede Gemeinde hat einen Hebesatz für die Ermittlung der Gewerbesteuer durch Satzung festgelegt. Die Hebesätze bewegen sich zur Zeit zwischen 200 und 500 Prozent.
Da die Gewerbesteuer - im Gegensatz zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer - wie eine Betriebsausgabe behandelt wird, berechnet das Finanzamt abschließend, um wie viel sich die Gewerbesteuer mindert, wenn sie selbst vom Gewerbeertrag abgezogen wird. Diese Minderung der Gewerbesteuer ist genau berechenbar, kann aber auch pauschal ermittelt werden.
Bei Personenunternehmen erfolgt dann noch eine Anrechnung des 1,8-fachen Messbetrages auf die Einkommensteuer des Inhabers beziehungsweise der Gesellschafter. Im Ergebnis wird damit eine durchschnittlich hohe Gewerbesteuerbelastung neutralisiert.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.