Rücksichtslos prügelten die Polizisten auf uns ein“, erzählt Falk Hermenau. „Ich fühlte mich ohnmächtig.“ Die Presse schaute weg. Die Kameras waren auf die Toten Hosen gerichtet. Die Rockband spielte neben den Gleisen, auf denen die Demonstranten gegen den Castor protestierten.
Das war in Ahaus, drei Jahre vor dem rot-grünen Atomausstieg. Falk Hermenau übernachtet mit anderen Aktivisten in einem Protestcamp neben dem Atommüll-Zwischenlager. Dort trifft er die Menschen wieder, mit denen er auf den Schienen saß. Dort unterhält er sich mit ihnen über die Polizeigewalt. „Diese Grenzerfahrungen gemeinsam zu erleben, erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl, das ich nirgendwo anders erlebt habe“, sagt Falk Hermenau.
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Hermenau.Der Bewegungsforscher Peter Grottian war jahrzehntelang selbst Aktivist. „Regelmäßige Protestcamps sind die Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit sozialer Bewegungen“, sagt er. Die Zeltlager integrieren neue Leute, gleichzeitig motivieren sie die, die schon länger dabei sind.Gemeinschaftsgefühl ...Manche Camps werden anlässlich eines konkreten Ereignisses organisiert, etwa wenn gegen den Castor protestiert wird, gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm oder den Nato-Gipfel in Straßburg. Andere Zeltlager finden jedes Jahr statt, organisiert von Aktivisten, die sich zusammentun, oder von festen Gruppen wie der Naturfreundejugend. Große Verbände und Organisationen können die Übernachtungskosten mit ihren Mitgliedsbeiträgen bezahlen oder zumindest subventionieren. Wenn ein Camp von einzelnen Aktivisten organisiert wird, brauchen diese oft die Spenden der Anwesenden. Einen verpflichtenden Teilnahmebeitrag gibt es nur selten, damit niemand ausgeschlossen wird.Jetzt beginnt die Hochsaison für Protestcamps. Mehr als ein Dutzend gibt es in diesem Sommer. Die meisten jungen Menschen in Deutschland bekommen davon nichts mit. Unter politischen Jugendlichen aber sind die Camps durchaus beliebt. Warum gehen die Jugendlichen lieber zelten als zur Ortsgruppe einer Partei?Falk Hermenau war 18 Jahre alt, als er nach Ahaus fuhr. Heute ist er 35 und sitzt zwischen den Zelten des Klimacamps in der brandenburgischen Lausitz. Bei Sonnenuntergang und einer Flasche Bier erzählt er, wie Protestcamps ihn politisierten.Aufgewachsen ist er mit dem Glauben an die Polizei als Freund und Helfer. „Die Protest-Erfahrungen veränderten meinen Blick auf den Staat“, sagt er heute. All seine Freunde wurden bei der Castor-Blockade verhaftet, er selbst landete im Polizeikessel. Als Falk Hermenau nach Ahaus fährt, ist er gegen Atomkraft. Als er zurückkommt, stellt er den Staat infrage. Seitdem fährt er immer wieder auf Protestcamps. Sie bieten Erholung, Workshops und Aktionen.Auch für Conrad Kunze ist das Klimacamp nicht das erste politische Zeltlager. „Vor dem G8-Gipfel im Jahr 2007 war ich eher unpolitisch“, erzählt der 31-Jährige heute. „Hingefahren bin ich aus Neugier.“ Ihn beeindruckt, wie sich 10.000 Menschen basisdemokratisch organisieren. „Strittige Fragen haben wir in Bezugsgruppen von sechs bis zehn Leuten diskutiert“, erklärt Kunze. Einen schickten sie dann in das große Plenum. Der trug die Diskussion von dort wieder in die Bezugsgruppe. Entscheidungen wurden ausschließlich im Konsens getroffen. „Ich war Teil einer Gemeinschaft, in der der Einzelne ernst genommen wird“, sagt Kunze.Soziale Bewegungen funktionieren nur, wenn sich ihr genug Menschen zugehörig fühlen. Es gibt wenig Hierarchien, weder feste Entscheidungsprozesse noch straffe Organisationsstrukturen. Die Bewegungen müssen sich immer wieder neu verorten und Entwicklungen diskutieren. Das passiert auch auf den Protestcamps. Jeder Einzelne hört die Standpunkte der anderen und kann seine Perspektiven einbringen. Die Zeltlager sind eine Art Mitgliederversammlung der sozialen Bewegungen.Protestcamps sind aber noch mehr. Sie funktionieren besonders gut, wenn sie von der lokalen Bevölkerung unterstützt werden. Das zeigt sich etwa im Wendland. Während der Proteste können die Aktivisten in den Scheunen entlang der Castor-Strecke schlafen. Die Anwohner organisieren Fahrdienste, verteilen heiße Getränke.Auch auf dem Klimacamp in der Lausitz fährt ein Bauer jeden Tag Interessierte mit seinem Traktor zum Kohletagebau. 136 Orte in der Region mussten in den vergangenen 80 Jahren der Kohle weichen. Viele Anwohner kommen jeden Tag in das Camp und erzählen, was es bedeutet, zwangsweise umgesiedelt zu werden. Die persönlichen Schicksale der Bevölkerung motivieren die Campteilnehmer. „Dann weiß ich einmal mehr, wieso ich hier bin“, sagt Conrad Kunze.Früher hat er sich auch bei der Grünen Jugend engagiert. „Das war eine ganz andere Form von politischer Arbeit.“ Die Entscheidungsfindung in Bewegungen ist weniger hierarchisch als in Parteien. Und wer sich in einer Partei engagiert, hat oft stärker die eigene Karriere im Blick.... und ErfolgserlebnisseNehmen die Parteien Einfluss auf die Protestcamps der sozialen Bewegungen? Die Parteijugenden organisieren ihre eigenen Zeltlager, beteiligen sich aber auch an großen Protestcamps, beispielsweise gegen den G8-Gipfel. Mitunter versuchen die Parteien aber auch den Protest für sich zu vereinnahmen, zum Beispiel indem sie ihre Parteifahnen geziehlt auf den Camps oder auf Demonstrationen platzieren. Die Camps vermitteln nämlich etwas, was die Parteien auf ihren trockenen Sitzungen kaum bieten können: geteilte Protesterfahrung und konkrete Erfolgserlebnisse.Beim G8-Gipfel hat Conrad Kunze so ein Erfolgserlebnis. Zusammen mit Tausenden anderen will er die Zufahrtsstraßen zum Gipfel blockieren. Die Demonstranten suchen sich ihren Weg durch die Felder, überwinden eine Polizeikette nach der anderen, ständig begleitet von Militärhubschraubern und Wasserwerfern. Trotz Polizei-Großaufgebot gelingt es, den G8-Gipfel zu blockieren.Aus den Lautsprecherwagen der Demonstranten ertönt der Protestsong von der Band Madsen: „Du schreibst Geschichte“. Conrad Kunze spürt: Hier geschieht Geschichte. Ziviler Ungehorsam wird massentauglich, Deutschland hat eine handlungsfähige globalisierungskritische Bewegung.Das konnte nur funktionieren, weil in den Protestcamps um Heiligendamm tagelang an der Blockadeaktion gefeilt wurde. Sie fußte auf einem weitgehenden Konsens über die Aktionsform und über die inhaltlichen Forderungen. Die 10.000 Blockierer waren untereinander so gut organisiert, dass sie als Ganzes handeln konnten. Das hat Conrad Kunze gezeigt: „Wenn man genügend Leute findet, kann man alles verändern.“ Er fühlt sich den anderen sehr verbunden, auch wenn sie sich kaum kennen.Auf dem Klimacamp ist das Gemeinschaftsgefühl wieder da. Hier ist das Leben ganz anders als in der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Liedermacher singt: „Du kannst nicht gewinnen, solange du allein bist“. Conrad Kunze lächelt, die Zeile passt. Da ist sie, die Romantik des Widerstands.