Wie er seinen Unterricht aufbaut, entscheidet Benjamin Scheuermann selbst. Er ist Gemeinschaftskundelehrer am Bunsen-Gymnasium in Heidelberg. Manchmal bekommt er Anregungen, wie er die Themen des Lehrplans unterrichten soll – nicht nur von Kollegen, auch von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Von der Sparkasse zum Beispiel, die bietet komplette Unterrichtsentwürfe an – mitsamt Folien und Arbeitsblättern, ganz einfach im Internet zum Download.
Lehrerinnen und Lehrer, die auf das Angebot der Sparkasse zurückgreifen, sparen sich die Zeit, den Unterricht selbst vorzubereiten. Wenn Lehrer Scheuermann eine Folie der Sparkasse auf den Projektor in seiner Klasse legt, sagt er: „Das hat mir die Sparkasse gegeben.“ Und fragt seine Schülerinnen und Schüler: „Wie findet Ihr das?“ Dann spricht er mit ihnen darüber, welches Interesse die Sparkasse daran hat, Jugendlichen wirtschaftliche Themen zu erklären. Auf diese Weise sensibilisiert er seine Klasse für die Interessen, die hinter den Materialien stehen.
Mehr als Werbung
„Unternehmen und Verbände versuchen, sich und ihre Branche positiv darzustellen“, sagt Reinhold Hedtke. Er ist Professor an der Universität Bielefeld und Autor der Studie „Die Wirtschaft in der Schule“. Unterrichtsmaterialien gibt es beispielsweise vom Bundesverband Investment und Asset Management oder vom Gesamtverband der deutschen Versicherer. Mit den Schulmaterialien „My Finance Coach“ erklärt die Versicherung Allianz zusammen mit der Unternehmensberatung McKinsey Schülerinnen und Schülern die Vorteile des Sparens und Anlegens. Die Kinder sollen die zukünftigen Kunden sein.
Aber bei der Einflussnahme auf Unterrichtsinhalte geht es um viel mehr als um Werbung: Die Verbände versuchen durch die Unterrichtsmaterialien, bestimmte Erklärungen wirtschaftlicher Prozesse im Klassenzimmer zu etablieren. Erklärungen, die ihre wirtschaftlichen Interessen stützen. Erklärungen, die den Weg für bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidungen ebnen sollen.
Nur scheinbar ausgewogen
Auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), ein einflussreicher Verband, der sich unter anderem für eine Reduzierung des Sozialstaats einsetzt, entwickelt Unterrichtsmaterialien. Finanziert wird die INSM von Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie. Auf der Internetseite wirtschaftundschule.de können Lehrerinnen und Lehrer Unterrichtspläne herunterladen, die sie dann eins zu eins im Klassenzimmer umsetzen.
Ausgewogen ist dieser Unterricht aber nicht: „Bei der Einheit Soziale Sicherung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft werden fast nur Probleme und Kosten des Sozialstaats dargestellt“, kritisiert Felix Kamella, Autor des Diskussionspapiers von LobbyControl. „Die Vorteile Sozialer Sicherung kommen im Unterrichtsplan kaum vor.“
Wirtschaft in 87 Prozent der Schulen einflussreich
Die PISA-Studie 2006 befragte Schulleiterinnen und Schulleiter zu diesem Thema. Das Ergebnis: In Deutschland besuchen 87,5 Prozent der 15-jährigen eine Schule, an der Wirtschaft und Industrie Einfluss auf Schulinhalte haben. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 67,5 Prozent. Neben Unterrichtsmaterialien bieten die Verbände Lehrerfortbildungen an, sie organisieren Schulveranstaltungen und Bewerbertrainings. So sind sie nicht nur mit ihren Inhalten in der Schule vertreten, die Unternehmen können ihre Mitarbeiter direkt an die Schulen schicken.
Und die Lehrerinnen und Lehrer? Die verwenden die Materialien von Unternehmen Verbänden bedenkenlos. Im Gegensatz zu Gemeinschaftskundelehrer Benjamin Scheuermann sagen die wenigsten ihren Schülerinnen und Schülern, wer die Materialen verfasst hat und warum. „Die Unterrichtsentwürfe scheinen auf den ersten Blick ausgewogen“, sagt Felix Kamella. „Aber es werden gezielt Sichtweisen weggelassen, die den Interessen der Verbände widersprechen.“ Hier findet eine subtile Form der Beeinflussung statt, die meist weder den Lehrenden, noch den Schülerinnen und Schülern bewusst ist.
Lobbying in den Ministerien
"Unternehmerverbände wirken außerdem auf die Kultusministerien ein, Wirtschaft als eigenständiges Fach zu etablieren“, sagt Reinhold Hedtke. Darin spiegelt sich der Autonomieanspruch der Wirtschaft: Themen, wie die Soziale Sicherung, sollen nicht mehr in einem politischen Kontext behandelt, sondern – wie auf den Unterrichtsfolien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – als ein rein ökonomisch zu bewertendes Phänomen betrachtet werden.
Für die Unternehmensverbände wäre es dann noch einfacher, die von Ihnen favorisierten Erklärungen wirtschaftlicher Prozesse im Klassenzimmer und in den Köpfen der Kinder zu verankern.
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