Diese ziemlich hohe Summe bekam die Universität Kiel in den letzten Jahren direkt vom Berliner Bundesverteidigungsministerium überwiesen: 2,7 Millionen Euro. Als der Student Ruben Reid diese Summe sah, die die Bundesregierung nur dank einer Anfrage der Linken veröffentlicht hatte, fühlte er sich plötzlich in der Verantwortung.
„Die Universität hat einen gesellschaftlichen Auftrag, sie sollte sich für den Frieden einsetzen, anstatt für das Militär zu forschen“, fordert der 22-Jährige, der Geschichte und Politik studiert. Und er beginnt, gegen diese militärischen Forschungsgelder zu kämpfen. Im März gründete er den Arbeitskreis Zivilklausel. Die etwa 20 Studierenden wollen sich dafür einsetzen, dass ihre Universität eine Selbstverpflichtung in die Grundordnung schreibt, Forschung ausschließlich für zivile Zwecke zu betreiben. 13 andere Unis in Deutschland haben das schon vorher getan; die meisten in den letzten Jahren. Und an den anderen gründen sich nun immer mehr solche Arbeitskreise zur Zivilklausel. Im ganzen Land sind es bereits über 20. Hat die in die Jahre gekommene Friedensbewegung ein neues Ziel? Erwacht sie nun aus dem Halbschlaf?
Militärische Forschung ist an den meisten Hochschulen nichts besonderes. Deutschland ist nun mal der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Die hiesigen Waffenkonzerne stecken viel Geld in die Entwicklung immer neuer Militärtechnologien. Geld, das die Unis gerne nehmen. Wie viele Drittmittel tatsächlich direkt von Rüstungskonzernen an die Unis fließen ist nur schwer zu beziffern. Die Hochschulen selbst wollen sich dazu auch auf Nachfrage nicht äußern und berufen sich auf sogenannte Geheimhaltungsvorschriften in den Drittmittelverträgen.
Strategieentwürfe …
In Kiel beispielsweise finanzieren diese Gelder maßgeblich das Institut für Sicherheitspolitik, in dem Strategieentwürfe für militärische Interventionen oder zur Aufstandsbekämpfung entwickelt werden. Ruben Reid organisierte zuerst eine Podiumsdiskussion, an der neben dem Uni-Präsidenten auch der Geschäftsführer des Instituts für Sicherheitspolitik teilnahm. Und die Aufmerksamkeit war groß: Es kamen fast 400 Leute.
„Uns ist wichtig, mit der Unileitung und den Professoren in einen Dialog zu treten“, erklärt Reid. Deswegen sehen er und seine Kieler Mitstreiter bisher davon ab, Demonstrationen und Protestaktionen zu organisieren. „Wir wollen versuchen, die einzelnen Senatsmitglieder im Gespräch von der Zivilklausel zu überzeugen.“ Außerdem führten sie eine Abstimmung der Studierendenschaft durch. Und wieder: Fast drei Viertel der 4.000 Teilnehmenden stimmten für die Einführung einer Zivilklausel. Auch wenn das nur 18 Prozent aller Studierenden umfasst, von einer schlechten Wahlbeteiligung kann für eine Uni-Abstimmung nicht die Rede sein.
Während die Friedensbewegung in den 80er Jahren regelmäßig mehrere Hunderttausend auf die Straße lockte, war es um das Thema Krieg in den letzten Jahren eher ruhig geworden. Die Bewegung ist alt geworden. 58 Jahre ist das Durchschnittsalter in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK), dem größten Verband der Friedensbewegung in Deutschland. Dort hat man es offenbar nicht geschafft, junge Leute für die Sache zu begeistern.
„Meine Generation bezieht Krieg nicht auf sich“, glaubt Reid. „Die unmittelbare persönliche Bedrohung ist ja heute nicht mehr gegeben.“ Wer in den Achtzigern oder später geboren wurde, für den ist Krieg etwas sehr Abstraktes. Zum Glück natürlich. Die Generation der Friedensbewegten dagegen ist in einem anderen historischen Bewusstsein groß geworden. Die atomare Bedrohung vor und hinter der Mauer war im Kalten Krieg sehr präsent. Und Angst kann, auch wenn das zynisch klingt, etwas sehr Mobilisierendes sein. Reid selbst war noch nie auf einem Ostermarsch, doch als er feststellte, dass die Rüstungsindustrie und das Verteidigungsministerium finanziell sehr direkt die Forschung an seiner Uni beeinflussen, begann er sich für den Frieden zu engagieren.
Aber anstatt sich mit den Friedensgruppen, deren Mitglieder meistens über 50 sind, zusammenzutun, gründen sie ihre eigenen Arbeitskreise. Immerhin gibt es Austausch, aber die Zusammenarbeit läuft schleppend. „Die sind halt relativ alt“, sagt Reid und lacht ein bisschen schuldbewusst. „Wir arbeiten mehr nebeneinander als miteinander.“
In Kiel nimmt der Widerstand also langsam Konturen an. In Kassel dagegen sind die Fronten schon verhärteter. An diesem Mittwoch stimmt der Senat dort über eine Zivilklausel ab. Für den Tag der Abstimmung hat der Vize-Präsident der Uni den Verfasser eines Rechtsgutachtens von der Senatssitzung ausgeladen; sein Gutachten hatte sich für eine Zivilklausel ausgesprochen.
Juristische Gutachten sind das Feld, auf das sich der Streit dann oft verlagert. Auch in Köln begründete der Senat vergangene Woche seine Ablehnung mit so einer Expertise. Die Gutachten argumentieren, Zivilklauseln schränkten die Wissenschaftsfreiheit ein. Andere kommen jedoch zu gegenteiligem Schluss. Eine richterliche Entscheidung aber gibt es bisher nicht.
… für zivile Zwecke?
Eine weitere Strategie der Gegner ist, in der Debatte das Wort zivil durch friedenssichernd zu ersetzen. Dann ließe sich argumentieren: Humanitäre Interventionen dienten dem Frieden, also sei auch Rüstungsforschung diesem zuträglich – und die Unis können weiter Gelder von Rüstungsunternehmen annehmen. Die Abgrenzung ist in der Tat nicht immer eindeutig.
So erforscht Professor Hanspeter Mallot an der Uni Tübingen beispielsweise, wie das Gehirn Bildinformationen verarbeiten kann, um eine kollisionsfreie Bewegung im Raum zu ermöglichen. Das klingt harmlos. Partner des Projekts ist aber der Drohnen-Konzern Thales. »Dual Use« nennen die Wissenschaftler diese Doppelverwendung von Forschungsergebnissen für militärische und auch für zivile Zwecke.
Wie geht man damit um? Ruben Reid wünscht sich in Kiel eine Ethikkommission. Die soll, bestehend aus Professoren, Mittelbau und Studierenden über strittige Forschungsvorhaben befinden. Die Unternehmen, die der Uni Forschungsgelder verschafften, müssten öffentlich gemacht werden. Denn damit eine Zivilklausel, so sie eingeführt ist, auch eingehalten wird, ist Transparenz zentral. An der TU Berlin zum Beispiel liefen Jahre lang militärische Forschungsprojekte – trotz Zivilklausel, denn niemand überprüfte hier ihre Einhaltung.
„Gut wäre natürlich, wenn die Landesregierung Zivilklauseln im Landeshochschulgesetz vorschreiben würde“, sagt Ruben Reid. Derzeit gibt es das in keinem Bundesland. Und in Baden-Württemberg hatte Grün-Rot das vor der Wahl angekündigt, nun aber will die grüne Bildungsministerin Theresia Bauer, die Entscheidung den einzelnen Hochschulen überlassen. Und vielleicht stärkt das ja sogar die noch junge Zivilklauselbewegung. Und belebt somit die Friedensbewegung wieder.
Was ist eine Zivilklausel?
Mit einer Zivilklausel verpflichtet sich eine Hochschule, ihre Forschung nur an zivilen Zwecken zu orientieren. Konkret erfolgt diese Selbstverpflichtung durch einen Passus in der Grundordnung der Universität. Der Senat der jeweiligen Universität kann dies mit einfacher Mehrheit beschließen.
Drittmittel von Rüstungsunternehmen oder dem Verteidigungsministerium darf die Universität dann nicht mehr annehmen. Aber die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung ist schwer zu ziehen.
Studentische Initiativen fordern daher Ethikkommissionen, die über diese strittigen Fälle entscheiden.
In Deutschland haben bisher 13 Hochschulen eine Zivilklausel eingeführt.
Den Anfang machte 1986 die Universität Bremen. Es folgten Hochschulen in Konstanz, Dortmund, Oldenburg und die TU Berlin. In den letzten Jahren schrieben auch die TUs in Darmstadt und Ilmenau, die Unis in Rostock, Bremerhaven und Tübingen, Göttingen und Frankfurt, Zivilklauseln in ihre Grundordnungen.
An mehr als 20 deutschen Hochschulen gibt es studentische Arbeitskreise zur Zivilklausel. Auch dort, wo sie bereits eingeführt ist. An der Uni Konstanz zum Beispiel kritisiert der dortige Arbeitskreis Zivilklausel, dass die Uni trotz Zivilklausel im Auftrag von EADS forscht.
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