Katja Dathe wird heute als erste Piratin bei einer Bundespräsidentenwahl dabei sein. Sie ist eine von zwei Delegierten, die die Partei aus dem Berliner Abgeordnetenhaus in die Bundesversammlung schickt. Aber ihren Puls lässt das nicht steigen. „Die Verantwortung ist ja auch unendlich groß“, witzelt die 42-Jährige. Den Wahltag lässt sie einfach auf sich zukommen. Manchmal wird ihr vorgeworfen, dass sie nicht mit dem nötigen Ernst an die Sache herangehe, sagt Dathe. Aber das Ergebnis stehe ja ohnehin fest, die „XXL-Koalition“ habe sich bereits auf Joachim Gauck festgelegt.
In der Tat haben Union, SPD, Grüne und FDP in seltener Eintracht gemeinsam Joachim Gauck nominiert. Spannung ist nicht zu erwarten, wenn heute die 1.240 Mitglieder der Bundesversammlung abstimmen, die sich je zur Hälfte aus Mitgliedern des Bundestags und aus Delegierten der Länder speist. Dort kandidiert nun zum wiederholten Mal eine Frau in der Rolle der aussichtslosen Antipodin.
Als Beate Klarsfeld sich bei den Linken vorstellte, war Dathe mit eingeladen. Aber überzeugt wurde sie nicht. Genau wie Gauck sei Klarsfeld für Deutschland „relevant“, was ihr Lebenswerk angehe, aber auf die Herausforderungen der nächsten zehn Jahre hätten beide keine Antwort, sagt die Ex-Schatzmeisterin der Berliner Piraten. Gauck und Klarsfeld interessierten sich weder für Internet noch für Informationsfreiheit. Also könne sie sich nur entscheiden „zwischen einer alten Frau, die ausschließlich über sich und die Vergangenheit redet, und einem alten Mann, der ausschließlich über sich und die Vergangenheit redet“, meint Dathe. Ihre Schlussfolgerung: „Ich werde beide nicht wählen.“ Ganz getreu dem Motto, auf ihrer Piraten-Homepage: „Macht doch, was ihr wollt, aber zwingt mich nicht, das auch noch gut zu finden.“
Keinen wählen - aber wie?
Auch Parteifreund Martin Delius will keinen der beiden Kandidaten wählen. Der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus ist der zweite Berliner Pirat in der Bundesversammlung. Wie er es praktisch anstellen will, für keinen der Kandidaten zu stimmen hat der 27-Jährige noch nicht entschieden. Auf beiden Wahlzetteln „Nein“ ankreuzen oder den Schein ungültig machen?
Ursprünglich hatten sich die Piraten zusammen mit der Partei Die Linke um den Kabarettisten Georg Schramm als eigenen Kandidaten bemüht, doch der sagte ab. Mit der Internetabstimmungs-Software Liquid Feedback haben nur ein paar Piratenmitglieder ihre Meinung zur Präsidentenfrage abgegeben. „Ja, das habe ich mir mal kurz angeguckt“, sagt Dathe. Für Personenwahlen seien Vorgaben aber tabu. „Bei mir hat sich niemand gemeldet, der gesagt hat, was ich tun soll.“
Dathe und Delius sind beide in der DDR aufgewachsen. Dathe hat in ihrer Jugend Häuser besetzt und abends bei Cuba Libre überlegt, wie sie das Land verlassen kann. Auch sie unterschrieb den Aufruf des „Neuen Forums“ für mehr Demokratie – als Widerständlerin bezeichnet sie sich aber nicht. „Wir wollten alle nur Spaß haben“, sagt sie.Der jüngere Delius erlebte in seiner Kindheit, wie sein Vater, ein Lutheraner und Aktivist der Friedensbewegung, von der Stasi gegängelt wurde. Beide Piraten haben eine gewisse Sympathie für Gauck als ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Wählen wollen sie ihn aber trotzdem nicht.
Von Gauck lernen
Denn Gaucks Freiheitsbegriff sei nicht der ihre. Dathe meint damit die Freiheit im Netz. Gauck beziehe sich dagegen auf die bürgerliche Idee des 19. Jahrhunderts. Mit der Online-Welt kann der Präsident in spe dagegen nichts anfangen. Das „weltweite Internet“ sei eine Gefahr für Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, hat Gauck einmal geschrieben. Eine Haltung, die für die Piraten schlicht nicht nachvollziehbar ist. Denn sie sehen im Internet vor allem eine Quelle der Demokratisierung für die Zukunft.
In der könnten auch die Piraten eine größere Rolle spielen, wenn die Umfragenwerte so bleiben. Delius jedenfalls würde gerne nach einer erfolgreichen Bundestagswahl die Piratenfraktion im Parlament aufbauen. Dathe ist noch unsicher, ob sie kandidieren wird. Das Problem sei, dass man angesichts der Umfragewerte den „Job dann auch machen“ müsse. Ein Dilemma, vor dem die Piraten öfter stehen: dass nämlich Freiheit gleichzeitig Verantwortung bedeutet. Und da sind sie dann doch ziemlich nahe bei Gauck.
Kommentare 7
Den Freiheitsbegriff auf die "Freiheit im Netz" zu beschränken, ist allerdings genau so zu kurz gegriffen wie Gaucks einseitiger und reaktionärer Freiheitsbegriff.
Mit seinen Äußerungen zum Internet hat Gauck allerdings klar bewiesen, dass er ein Mann von vorgestern ist. Es ist inzwischen so evident, dass das Internet in der Tat ein Medium zur Demokratisierung geworden ist, das mehr oder minder freie Meinungsäußerungen erstmals auch in einigen Ländern zulässt, in denen die Menschen sonst keinerlei Möglichkeit haben, ihren Unmut über das jeweils herrschende System zu artikulieren und vielleicht sogar Proteste dagegen zu organisieren.
Daher traue ich Gauck allein aufgrund seines absurden Kommentars zum Netz keinerlei Kompetenzen in der heutigen, modernen Welt zu.
Vielleicht wäre er vor 20 Jahren ein passender Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gewesen, heute ist er nur noch ein Relikt von vorgestern. Man kann nur hoffen, dass Gauck in seinen Amtsgeschäften ähnlich unscheinbar bleibt, wie es Wulff war. Ein wenig tröstlich ist der Gedanke, dass ein Bundespräsident in erster Linie Grüßaugust ist.
"Den Freiheitsbegriff auf die "Freiheit im Netz" zu beschränken, ist allerdings genau so zu kurz gegriffen wie Gaucks einseitiger und reaktionärer Freiheitsbegriff."
Das Programm der Piraten ist klein, so klein aber dann doch nicht.
wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm
Na ja, nachedem die Piarten gemerkt hatten, dass sie mit ihrem "Kernthema" nicht über 3 % kommen, haben sie bei Anderen abgeschreiben. Eine Verpackungstaktik: Sieht gut aus, aber keine Substanz drin.
Das Mittel der Stimmenthaltung, wird viel zu selten gebraucht und ist manchmal, sowie hier, einfach angebracht.
It's a Gauck!
Möööp!
Martin Delius ist nicht Fraktionschef! Andreas Baum ist das.
Inhaltlich:
Vom basisdemokratischen Grundwert her, aber uch "technisch" betrachtet ist der Politikansatz der Piraten großartig! State of the Art.
Basisdemokratisch ist alles begriffen - ABER: man segelt ohne Kompass wie in einem weltanschaulich luftleeren Raum. Die Werte und Orientierungspunkte sind fast alle "prozesshaft" - und so tut man sich unendlich schwer (außerhalb des kleinen Ur-Kompetenzfelds) intellektuell irgendwo an Land zu gehen und schaut lieber von Bord aus zu.
Denn man hat - jetzt auch bei Gauck/Klarsfeld, es überrascht nicht - regelmäßig "keine Meinung". Noch viele Jahre nach Parteigründung...
Nicht das man sich nicht enthalten dürfte. Aber da ist viel innere Leere.
So schwer ist es nicht "eher für Gauck" oder "eher für Klarsfeld" sein - oder wenn das wirklich nicht geht, eben einen eigenen Kandidaten aufzustellen, der einem liegt (was selbst eine andere Kleinpartei hinbekommen hat, deren Namen ich nicht in den Mund nehme).
Aber dieses apolitische "Nicht-Verhalten" der Piraten ist irgendwie [ ]
"[...] haben sie bei Anderen abgeschreiben. [...] aber keine Substanz drin."
He he.
"Und außerdem gibt's dringendere Probleme" hast du noch vergessen. :)