Er ist bereit

K-Frage Peer Steinbrück wird wohl die SPD in den Wahlkampf 2013 führen und damit die Partei für eine Ampelkoalition öffnen. Die Parteilinke protestiert kaum noch

Wolfgang Kubicki greift an sein rechtes Ohr. Gerade in dem Moment, als der Mann auf der Bühne über neue Perspektiven für die FDP jenseits der Union spricht. Über eine Ampelkoalition. Es ist der Biograf Peer Steinbrücks, Daniel Goffart, der zur Buchvorstellung den Kieler FDP-Fraktionschef als Laudator ins Berliner Pressehaus eingeladen hat. Kubicki sagt, er sei gerne gekommen, auch wenn sein rechtes Ohr heute taub sei. Nach links hört er jedoch gut: Er lässt keinen Moment aus, von Peer Steinbrück zu schwärmen und sich ihm als möglichen Partner in einer SPD-geführten Bundesregierung anzupreisen. „Auch ich glaube, dass Peer Steinbrück Kanzler kann“, sagt Kubicki und lobt die Intelligenz und Analysefähigkeit des SPD-Politikers, seinen Pragmatismus und englischen Humor.

Steinbrück sei der einzige, der das Format und die Kompetenz habe, Bundeskanzlerin Angela Merkel herauszufordern, sagt Kubicki. Das reizt einen der Journalisten ihn zu fragen, ob er sich Steinbrück lieber als Merkel im Kanzleramt wünsche? „Ich halte ihn für den besseren Kanzler, nicht für die bessere Kanzlerin“, kalauert der Laudator.

Aber nicht nur der Eigenbrötler Kubicki, der einmal mit Steinbrück in Kiel Volkswirtschaften studiert hat, macht der SPD Avancen. „Auch andere Mütter haben schöne Töchter“, sagte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel der Bild auf die Frage, ob sich die Liberalen für SPD und Grüne öffnen müssen. Und auch Niebel nannte Steinbrück.

Neuer Zungenschlag

Der SPD kommen die FDP-Avancen gelegen: Die Ampel bedeutet eine Machtoption, in der die SPD einen Kanzler stellen könnte. Und ein Kandidat Steinbrück würde dazu wohl am ehesten passen. Auf ihn laufe es hinaus, schreibt denn auch der aktuelle Cicero: Steinbrück werde die SPD als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2013 führen. Die Entscheidung soll schon länger gefallen sein und noch vor Weihnachten bekannt gegeben werden.

Noch dementieren die Sozialdemokraten das, sie wollen nicht als Getriebene erscheinen. Doch lichtet sich der Nebel langsam. Parteichef Sigmar Gabriel soll sich aus dem Kandidatenrennen zurückgezogen haben, zumal er in Beliebtheitsumfragen weit hinten rangiert. Bleiben die beiden „Stones“: Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zögert. Ex-Finanzminister Steinbrück aber will. Er will wieder raus aus seinem kleinen Abgeordnetenbüro, hinauf auf die große Bühne.

Nach der verlorenen Bundestagswahl 2009 hatte er sich von seinen Parteiämtern zurückgezogen und auf den Hinterbänken des Bundestags Platz genommen. Er schrieb ein Buch über die Krise, tourte durch volle Säle. Den Rückzug ins Private hielt er aber nicht lange aus. Steinmeier beauftragte ihn, ein Konzept zur Finanzmarktregulierung auszuarbeiten. Im Mai 2010 erklärte Gabriel, er traue Steinbrück „jedes poltische Amt in Deutschland zu“. Da liebäugelte der selbst bereits mit einer Kanzlerkandidatur – sehr zum Schrecken der SPD-Linken. An einem Julitag im Jahr 2011 saß der einfache Abgeordnete Steinbrück dann auf einmal Seite an Seite mit Steinmeier und Gabriel in der Bundespressekonferenz – die Troika war geboren. Wenige Monate später krönte ihn dann Altkanzler Helmut Schmidt: „Er kann es“, zitierte der Spiegel auf seiner Titelseite Schmidts Lobpreisung. Der Parteilinken blieb wieder nur, sich zu ärgern. Grummelnd war die Rede vom „Egotrip“, der „Überinszenierung“, dem drohenden „Bumerang“.

Sie sehen im Agenda-Mann Steinmeier das kleinere Übel im Vergleich zum wirtschaftsfreundlichen Steinbrück, der vor fünf Jahren die SPD als Partei der „Heulsusen“ bezeichnet hatte, weil sie über Agenda 2010 und Hartz IV klage. Die Reformen verteidigt Steinbrück bis heute. Auf dem Zukunftskongress der SPD Mitte September rief er dazu auf, stolz zu sein auf die Regierungszeit.

Zugleich wies Steinbrück, und das war neu, aber auch auf Fehler der Reformen hin und geißelte die Gesellschafts- und Familienpolitik der Bundesregierung. Er weiß, dass er die Parteilinken braucht. Mit einer Charmeoffensive will er den letzten Schritt nehmen, der ihn von der Kanzlerkandidatur trennt. Er hat sich thematisch breiter aufgestellt, in sein Repertoir hat er die Spaltung der Arbeitswelt und die Kluft zwischen Arm und Reich aufgenommen. Seine Reden kreisen nicht mehr nur um die Eurokrise, sondern greifen auch soziale und gesellschaftliche Fragen auf.

Früher trat er für eine Liberalisierung des Finanzmarkts ein, heute fordert er in seinem Bankenpapier eine Regulierung und will die Banken stärker in die Verantwortung nehmen (siehe Kasten). Eine Finanztransaktionssteuer kann er sich heute auch dann vorstellen, wenn Großbritannien nicht mitmacht. Seinen Widerstand gegen den Mindestlohn hat er längst aufgegeben, auch den gegen einen höheren Spitzensteuersatz. Nur gegen die Vermögenssteuer sträubt er sich hartnäckig, „wohlwissend, dass ich damit in die Beete einiger Empfindlichkeiten trete“, wie er auf dem Zukunftskongress sagte.

Inzwischen ist die Kritik der Parteilinken an Steinbrück leiser geworden. „Ich kriege mit ihm keine Pickel“, sagt Ernst-Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken. Steinbrück sei kein „Diktator“, der der Partei vorschreibe, was sie zu denken und zu tun habe. Außerdem könne er die Euro-Krise besser als alle anderen in der Partei beurteilen, lobt er.

Die Parteilinke merkt, dass sich Steinbrück auf sie zubewegt und es an Alternativen fehlt. Ob nun Steinbrück, Steinmeier oder Gabriel, scheint fast schon egal. Mit der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Hannelore Kraft sähe das anders aus, aber die will ja nicht.

Spiel auf Zeit

Deshalb verfolgen die Parteilinken eine andere Taktik: den Kandidaten, gleich wer es sein wird, über Beschlüsse zu binden. „Wir legen erst die Inhalte fest“, sagt ihre Sprecherin Hilde Mattheis. „Und an die sind auch die Spitzenkandidaten gebunden – für den Wahlkampf und die Zeit danach.“ Für diese inhaltliche Festlegung wollen sie Zeit gewinnen. „Es wäre nicht klug, die K-Frage vor dem Parteikonvent zu entscheiden“, sagt Juso-Chef Sascha Voigt. „Erst müssen wir die Rentenfrage klären.“ Parteichef Gabriel hat sein Rentenkonzept bereits nachgebessert, aber aus Sicht der Parteilinken nicht genug. „Er hat sich an Stellen bewegt, die eigentlich gar nicht zur Debatte standen“, sagt Voigt. Wichtig ist dem linken Flügel vor allem, dass das Rentenniveau nicht weiter gesenkt wird.

Die Frage ist, wieviel Flexibilität sich Steinbrück erlauben darf, um nicht im Wahlkampf unglaubwürdig zu wirken. In seiner Biografie schildert Goffart, wie Steinbrück selbst einmal vor einer „politischen Geschlechtsumwandlung“ warnte, die in eine „sichere Niederlage“ führen würde. Für die Absenkung des Rentenniveaus zum Beispiel hat sich der 65-Jährige stark gemacht. Mattheis aber lässt das kalt: „Wir richten das Rentenkonzept nicht danach aus, dass ein späterer Kanzlerkandidat dem zustimmen kann.“

So will Steinbrück die Finanzmärkte bändigen

Nicht nur die drei nun in kurzem Abstand erschienenen Biografien haben Peer Steinbrück ins Rampenlicht gerückt. Auch sein Banken-Papier zur „Bändigung der Finanzmärkte“ hat dem früheren Bundesminister diese Woche einige Aufmerksamkeit verschafft – obwohl Steinbrück versichert, es sei nicht als „Bewerbungsmappe“ für die SPD-Kanzlerkandidatur gedacht.

Das Konzept enthält zwei Kernpunkte. Zum einen schlägt Steinbrück ein „Trennbankensystem“ vor. Die Kreditinstitute sollen gezwungen werden, ihr Investmentbanking vom normalen Kredit- und Einlagengeschäft abzukoppeln, zum Beispiel in selbstständigen Tochterunternehmen. Steinbrück sagt, das könne „Infektionskanäle“ beseitigen, wenn auf der Investmentseite zu risikoreich spekuliert werde. Kritiker wenden ein, dass die 2008 ausgebrochene Finanzkrise damit nicht hätte verhindert werden können: Lehman Brothers war eine reine Investmentbank.

Ein eigener Rettungsfonds – das ist Steinbrücks zweiter zentraler Punkt – soll den Steuerzahler davor schützen, marode Banken rauszuhauen. Die Kreditinstitute sollen den Fonds selbst finanzieren und dafür letztlich 150 bis 200 Milliarden Euro aufbringen. Da der Topf über Einzahlungen „nicht in wenigen Jahren“ zu füllen ist, soll er sich anfangs auch über Anleihen finanzieren. Ziel ist für Steinbrück: „Wir müssen aus der Staatshaftung für große Banken herauskommen.“ TT

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