Es geht immer noch billiger

Aldi So altbacken Aldi auch wirkt, mit dem rüden Umgang mit seinen Mitarbeitern liegt der Discounterriese im Trend. Ein Kommentar zum 1. Mai

Die Sache mit den Brotbackstationen ist wirklich zu skurril: Ruft ein Mitarbeiter von Aldi Süd die Servicenummer des externen Brotbackautomatenherstellers an, so füllt sich automatisch seine Akte: mit dem Namen der Filiale, des Mitarbeiters, Datum, Ortszeit und "Fehlerkategorie" – etwa "Stau auf dem Weizenbrötchenband". Ruft ein Mitarbeiter zu oft an, nimmt ihn auch schon mal der Vorgesetzte zur Brust und mahnt ihn ab. Brotbackstationen als Überwachungsmittel.

Es ist nicht das einzige Beispiel von Kontrollwahn und Anachronismus von Aldi, wie es der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe beschreibt. Auf den ersten Blick wirkt der Ur-Discounter Deutschlands wie aus der Zeit gefallen. In den 1.794 Aldi-Süd-Filialen herrscht offenbar der Filialleiter über seine Mitarbeiter und gibt den Druck von oben an sie weiter. Die Aldi-Süd-Filialen haben kaum Betriebsräte. Laut Betriebsverfassung muss das zwar nicht sein und die Arbeitnehmer sind auch selbst verantwortlich, einen Betriebsrat zu gründen. Weil das aber flächendeckend nicht geschieht, lässt sich erahnen, was für eine Führungskultur bei den Discountern herrscht. Dazu passen die Berichte über Kameraaufnahmen von Mitarbeitern und Kunden, die über Wochen gespeichert worden sein sollen, wie auch Berichte über Extrakameras von Hausdetektiven.

Aldi ist ein Rätsel: Es zieht mit seinen Billigprodukten immer noch Heerscharen von Kunden an, dabei wirkt es wie ein Relikt aus der alten Bundesrepublik. Dienstpläne dürfen die Angestellten nicht ausdrucken, sondern müssen sie von Hand abschreiben. Zeiterfassungsuhren gibt es nicht. Eine Pressestelle auch nicht. Eine Revolution war es schon, als sich die Aldi-Führung durchrang, auch Nutella im Sortiment anzubieten; bis sie sich entschieden hatte, den Platz der Einkaufswägen auf dem Hof zu überdachen, sollen drei Jahre vergangen sein.

Gehorsam antrainiert

Was aber den rüden und kostenorientierten Umgang mit seinen Mitarbeitern betrifft, liegt das Unternehmen im Trend. Die Methode: Über Testeinkäufe oder Kameraüberwachung wird belastendes Material über Mitarbeiter gesammelt, die abgemahnt und bei Bedarf gekündigt werden können. Der Zweck: Teure Führungskräfte lassen sich so durch jüngere und vor allem günstigere austauschen. Vollzeit-Mitarbeiter können durch Teilzeitmitarbeiter ersetzt werden (die dann aber voll arbeiten, was angesichts der Bezahlung über Tariflohn von der Führung vorausgesetzt wird), Teilzeitmitarbeiter durch Azubis und Azubis durch Praktikanten. Die Devise: Es geht immer noch billiger.

Andere Discounter stehen dem in nichts nach, wie es etwa der Überwachungsskandal von Lidl gezeigt hat. Pünktlich zum 1. Mai wandert das Thema Arbeitsbedingungen nun für ein paar Tage auf die Agenda, für ein paar Tage wird angeprangert, was ansonsten von den meisten lange schon hingenommen wird. "Im gegenwärtigen Wachstumsmodell gilt Arbeit lediglich als Kostenfaktor", schreibt Juan Somavia, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). "Der Grundkonsens, dass Arbeit keine Ware ist, ist verloren gegangen."

Einen Anteil daran haben in Deutschland auch die Aldi-Brüder, die ihren Kunden Geiz und ihren Mitarbeitern Gehorsam antrainiert haben. Der Preis rechtfertigt eben alles.

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