Fahrlässig gegen langweilig

Gas geben Der Benziner wird 125 Jahre. Manche geben ihm nicht mehr lange, denn das Elektro-Auto kommt. Doch glühende Anhänger gibt es weiterhin. Ein Besuch in zwei Welten

Münchaurach, Mittelfranken. Peter Eigler hält mit seiner linken Hand das Lenkrad, in den Fingern eine Zigarette. Mit der rechten Hand reißt er den Schalthebel nach vorn. Der VW-Golf mit den Beulen im Dach und dem Rost an den Radkappen schießt den Flurweg entlang. Nach rechts und links ist kein halber Meter Platz zum Ackergraben. Eigler sieht die Biegung vor sich und gibt Gas. Dahinter die Überraschung: Eis und Schotter. „Ui, da ist’s glatt“, sagt er und tritt auf das Bremspedal. Kies knirscht, der Wagen rutscht, droht die Kontrolle zu verlieren. Eigler hantiert am Lenkrad, für eine Sekunde weiß er nicht, ob der VW sich fängt oder in der Senke landet.

Zweimal diesen Winter mussten Freunde sein Auto schon aus dem Feld ziehen. Diesmal geht es gerade noch gut. Man müsse nur wissen, wo man bremsen könne, sagt der 23-Jährige mit der blonden Kurzhaarfrisur. Beunruhigt wirkt er nicht. Schließlich sitzt er nur im Winterauto, über das er auch schon mal drüberrennt. Er nennt es auch „die Winterhure“. Pflegsamer geht der Dachdecker mit seinem Audi A3 und seinem 1er Golf Cabrio um, die in seiner Garage stehen und an denen er an den Wochenenden herumpoliert und -schraubt. „Hauptsache, es qualmt und stinkt“, sagt Eigler über sein Hobby und schmunzelt.

Kleinmachnow, nahe Berlin. Julian Affeldt dreht den Autoschlüssel um – außer einem Klacken ist nichts zu hören. Er tippt gegen das Gaspedal, der Zweisitzer gleitet davon, das Getriebe schnurrt. Am Eingang eines Kreisverkehrs reckt ein Autofahrer beim Vorbeifahren den Kopf nach hinten, um dem weißgrünen Smart mit der Aufschrift „electric drive“ nachzuspähen. Lange habe er überlegt, erzählt Affeldt, an was ihn das Geräusch seines Elektroautos erinnere. Dann sei er drauf gekommen: die Heimorgeln aus den 70er Jahren. Ein bisschen auch Berliner S-Bahn.

Der 42-jährige Grundschullehrer bremst ab, als eine Tempo-30-Zone beginnt. In einer der beiden Anzeigen, die becherförmig aus dem Armaturenbrett hinausragen, wandert die Nadel aus dem Plusbereich nach rechts in den Minusbereich. Bremst Affeldt, so entsteht Energie, die wieder in die Batterie zurückgespeist wird. Das Stromsparen spornt ihn an: Wenn er eine rote Ampel sieht, lässt er den Wagen auslaufen. „Ich versuche, sehr sparsam zu fahren. Das macht mir Spaß.“

Affeldt ist einer von wenigen Tausend, die in Deutschland ein Elektroauto fahren. Schon bald könnte der Pionier nur noch Durchschnitt sein – also die Zukunft: Bis 2020 sollen laut Bundesregierung etwa eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein. Diesen Winter kommen die ersten Elektroautos in Serie auf den Markt, darunter Modelle von Citroen, Mitsubishi und Peugeot, ab 34.000 Euro. Beginnt also der Niedergang des Benzinautos genau 125 Jahre, nachdem Carl Benz am 29. Januar 1886 das Patent für seinen „Motorwagen“ angemeldet hat?

Es gibt eine Studie, derzufolge das Auto für Jugendliche unwichtiger wird. Vor allem sie sind es auch, die sich laut Umfragen für die neue Technik begeistern – wenn schon Auto, dann Elektro. Wer aber wirklich bereits ein Elektroauto fährt, ist eher älter ­– und verdient gut. So ist der Alltag der Heranwachsenden noch eher der von Peter Eigler als der von Julian Affeldt – in Gegenden, in denen keine U-Bahn fährt, sowieso.

Erstmal in die Winterhure

Zu Hause bei Eigler in Münchaurach ist die Welt der Benzinmotor-Enthusiasten noch in Ordnung. Wenn Eigler durch den Garten zur Garage will, muss er sich den Weg bahnen über Sägen und Auspuffe, an Reifenstapeln und Blechteilen vorbei. Nach links geht es in die Garage, in der sein Audi mit dem Sommerkennzeichen steht. Nach rechts geht es in den Keller seiner Eltern, in dem er noch ein Zimmer hat. Derzeit macht er seinen Dachdeckermeister in Waldhofen nahe der tschechischen Grenze. An den Wochenenden kommt er nach Hause, so oft es geht. Dann steigt er als erstes in die „Winterhure“ und macht seine Runde. „Erst mal abfahren, was der Stand ist.“

Schnell hat er das Dorf verlassen, treibt seinen 90-PS-Golf an Äckern vorbei, wo die Halme nur noch als Stoppeln stehen. Er passiert das Ortsschild Herzogenaurachs; hier haben Puma und Adidas ihren Sitz. Eigler blickt nach links – steht der Golf von seinem Kumpel vor dem Haus? Nach ein paar Metern nach rechts – stehen Autos vor der Scheune, die als Autohalle dient? Dann weiter zur Tankstelle, wo er sich mit seinen Kumpels freitags trifft, um sich für die Disko oder zur Automesse zu verabreden, wie es Altersgenossen über Facebook tun. Über mehrere Landkreise erstreckt sich sein Freundeskreis, allesamt Autofans. „Wir sind wie eine große Familie“, sagt Eigler.

Als Freunde vor ein paar Jahren begannen, die Motoren ihrer Roller zu frisieren, fing auch er damit an. Einige machten eine Lehre zum Kfz-Mechaniker, kauften sich für ein- oder zweihundert Euro Altautos, um sie auszuschlachten und mit neuen Teilen zu bestücken. Eigler tat es ihnen nach, als Praktikant einer Kfz-Werkstatt hatte er genug über Autos gelernt.

Inzwischen hat er drei Autos auf dem Grundstück seiner Eltern stehen. Sein Schmuckstück ist das 1er Golf Cabrio, „the one‘er“, schwarzlackiert, tiefergelegt, neue Haube, Kotflügel, Radkappen, ein Motor mit 230 PS soll noch rein, damit wären 260 km/h zu machen, vielleicht 300. Seit zwei Jahren hat Eigler den Wagen – gefahren hat er ihn aber noch nie. Wenn er wollte, könne er ihn im Handumdrehen fertig bekommen, sagt er. Doch erst im Sommer will er ihn testen. Und wenn er dann nicht zufrieden ist, baut er ihn vielleicht wieder auseinander. Es geht nicht nur um Geschwindigkeit und Protzen. Autoschrauben hat auch viel mit Muße zu tun.

Peter Eigler sagt: „Wenn ich länger nicht zu Hause war, lasse ich den Motor auch einfach mal laufen, um zu riechen und zu spüren, dass das Auto funktioniert.“

Julian Affeldt sagt: „Mit dem Elektrowagen puste ich der Mutter mit Kindern die Abgase nicht ins Gesicht.“

Affeldt steuert seinen Elektrosmart in die Einfahrt der Doppelhaushälfte in Kleinmachnow. Der Wagen bleibt kurz vor seinem alten Elektroauto stehen, dem CityEL, einem Einsitzer, der aussieht wie ein ausgebautes Liegerad. Er hat ihn vor drei Jahren gekauft und vor allem als Zweitauto genutzt. Beim Elektrosmart ist das anders: Mit dem sei er schon einmal 165 Kilometer weit gekommen, 100 km/h kann der fahren. Zwar steht noch ein Opel für Familienausflüge in der Garage, doch betankt hat er ihn zuletzt im November. „Ich fahre jetzt schon annähernd emissionsfrei“, sagt Affeldt, öffnet den Tankdeckel und steckt einen Stecker hinein, dessen Kabel an der Hauswand hängt. Den Strom erzeugt die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach.

Das Aha-Erlebnis hatte er im Dänemark-Urlaub: An einer Tankstelle fährt ein Mann mit seinem CityEL vor, geht ins Häuschen, kommt mit einer Zeitung heraus und fährt wieder weg. Affeldt lässt das Elektro-Auto-Thema nicht mehr los. Auf einer Automesse fährt er den Elektrosmart Probe. Er ist begeistert. Das Fahrgefühl, die Technik. Seit 2009 gibt Daimler die Elektroautos probeweise in Berlin und Hamburg aus, unter den gut 100 Mietern sind vor allem Firmen, schließlich kosten die Elektrosmarts 700 Euro pro Monat. Affeldt mietet sich einen.

Der Lehrer schließt die Haustür auf. Wenn er nach Hause kommt, hört seine Frau das immer erst, wenn er den Türschlüssel bedient, das Auto verrät nichts. Am Wohnzimmertisch schenkt er Mineralwasser ein, ein Flachbildfernseher steht in der Ecke, durch die Terrassentür ist eine Schaukel im Garten zu sehen. „Das ist schon eine faszinierende Entwicklung, an der man teilnehmen kann“, sagt Affeldt und vergleicht sie mit dem Bau der ersten Apple-Computer in Holzkästen.

Dann verleiht er seiner Stimme Druck. Es geht um Politik. Völlig verschlafen habe man die Entwicklung des Hybridantriebs, die Lithium-Batterien kämen alle aus China. Es reiche nicht, den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß auf null herunterzufahren, das klimaschädliche Gas müsse zurückgeführt werden. Seine Stimme senkt sich wieder, als er über sich selbst sagt: „Du wirst jetzt nicht die Welt retten, aber fährst immerhin klimaneutral.“

Doch ein Freifahrtschein sei auch das Elektroauto nicht, sagt er. Es verbrauche Fläche, könne Leute schädigen und koste Geld. Sein Motto: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Für den Weg zur Schule nimmt Affeldt, der sich in einer Umweltgruppe engagiert, oft das Elektrofahrrad.

Peter Eigler sagt „Ciao!“

Peter Eigler biegt in eine Gasse. Er lässt sich zurückfallen, so ähnlich wie es Julian Affeldt tut, wenn er in Kleinmachnow auf eine rote Ampel zufährt. Doch von einer Sekunde auf die nächste drückt Eigler das Gaspedal durch und schießt los, so dass es „faucht“ und „hallt“. Seine Aggressionen solle man nicht im Auto ablassen, sagt Eigler. „Du weißt es, aber es befriedigt dich eben doch.“ Zu schnell fährt er aber selten, es gehe ihm eher um die Beschleunigung – und Überraschungsmomente.

Neulich sei er auf einer zweispurigen Straße unterwegs gewesen und „ein Geschubster“ sei in einem Auto mit dunklen Scheiben dicht aufgefahren und an Eigler vorbeigezogen. An der nächsten Ampel stellte er sich daneben, schaute sich die Bremsanlage an und sah: „Der hat keine Leistung.“ Die Ampel wurde grün. Eigler schaute nochmal rüber und sagte: „Ciao!“ Das sei „der Lohn für die ganze Arbeit“, sagt er. Aber auch, wenn bei Szenetreffs andere sein Gesamtkonzept würdigen. Angeben wolle er nicht, es gehe ihm eher um „Understatement“. Deswegen baue er sich keine riesigen Auspuffrohre ans Auto. Sein Motto: „Leistung haben, nicht zeigen.“

Wenn Julian Affeldt auf Leute wie Peter Eigler angesprochen wird, die ihre Autos zum Hobby gemacht haben, ist er für ein paar Sekunden ruhig, dann schnauft er tief und sagt: „Ich will nicht mit erhobenem Zeigefinger herumlaufen. Aber eigentlich ist das fahrlässig. Es gibt Leute, die nicht verstanden haben, dass sie sich an den zukünftigen Generationen versündigen.“

Wenn Peter Eigler auf Leute angesprochen wird, die wie Julian Affeldt ein Elektroauto fahren, überlegt er kurz und sagt: „Das Elektroauto mag ein gutes Alltagsauto sein. Ich brauche aber die alte Technik, an der ich rumbasteln kann. Für mich macht das keinen Sinn: Es stinkt nicht, es ist langweilig.“

Benjamin von Brackel, 28, fährt selten Auto, häufig Bahn und am liebsten Straßenbahn.

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