Für den Vater

Porträt Petra Rosenberg kämpft seit langem für die Anerkennung der Sinti und Roma. Endlich wird ihnen ein Mahnmal gewidmet

Jahrzehnte hat Petra Rosenberg auf diesen Tag hingearbeitet. Aber jetzt, da er ansteht, kann sie sich nicht recht freuen. Endlich ist das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma fertig. Sieben Jahrzehnte nach Auschwitz, 20 Jahre nach dem Beschluss, das Momument zu bauen. „Das ist eigentlich unfassbar“, sagt Rosenberg, die Vorsitzende des Roma- und Sinti-Verbands Berlin-Brandenburg. Sie meint: unfassbar spät. Für viele Überlebende des Naziregimes zu spät – auch für ihren Vater Otto Rosenberg.

Der hatte sein Leben lang für die Achtung der etwa 70.000 Sinti und Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft gekämpft. Und erreicht, dass diese 1997 als nationale Minderheit in Deutschland anerkannt wurden.

Wie fragil die erkämpfte „Normalität“ allerdings ist, zeigt die derzeitige Asylbewerber-Debatte. Seit ein paar Wochen steigt die Zahl der Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien stark, insgesamt haben seit Januar 7.000 einen Antrag gestellt – ohne dass auch nur ein einziger angenommen wurde. Größtenteils sind es serbische Roma, die in ihrer Heimat mit Rassismus, Gewalt und Armut zu kämpfen haben. „Asylmissbrauch“, rufen Unionspolitiker und fordern angesichts von überfüllten Unterkünften 48-Stunden-Schnellverfahren und eine Aussetzung der Visumsfreiheit. Sie schüren eine Stimmung, die sich auch gegen die in Deutschland lebenden Sinti und Roma wenden könnte.

Die Einweihung des Denkmals im Tiergarten in unmittelbarer Nähe zum Bundestag kommt zumindest in diesem Hinblick zur rechten Zeit. Dort ist ein Bassin in den Boden eingelassen mit einem dreieckigen Granitstein in der Mitte. Der Grund soll schwarz und tief wirken, ein Zeichen für das endlose Grauen. Mehr als eine halbe Million Sinti und Roma waren unter dem Nazi-Regime als „Zigeuner“ verfolgt und umgebracht worden. Auch Otto Rosenberg war in Auschwitz und drei weiteren Konzentrationslagern. Anders als seine zehn Geschwister überlebte er.

Verantwortung

Ihren Vater fragte Petra Rosenberg als Kind immer wieder, was denn die Nummer an seinem Oberarm bedeute, bis der diese mit einem Engel übertätowieren ließ. Nachts wachte die Tochter in der Berliner Wohnung oft auf, weil sie ihren Vater weinen und nach seiner Mutter rufen hörte. Dann tapste sie aus ihrem Zimmer in die Küche, wo sie ihren Vater neben ihrer Mutter sitzen sah. Das Kind suchte nach seiner Hand. „Intensiv habe ich versucht, etwas aufzufangen, aber ich konnte nichts auffangen“, erzählte sie einmal in einem gemeinsamen TV-Interview mit ihrer Schwester Marianne, der Schlagersängerin.

Als älteste Tochter übernimmt Petra Rosenberg Verantwortung für ihre sechs Geschwister, sie weist sie auch mal zurecht, woraufhin diese sie „Ottilie“ nennen, weil sie ihrem Vater nacheifert. In der Schule lernt sie das erste Mal, was es heißt, eine Sinteza zu sein. Weniger von den Mitschülern, sondern von den Lehrern wird sie als „Zigeunerin“ schikaniert. Sie bricht die Schule ab, ohne Abschluss, weil sie die Anfeindungen nicht mehr aushält.

Erst Jahre später holt sie ihren Hauptschulabschluss nach, dann die allgemeine Hochschulreife. Gemeinsam mit ihrer Tochter sitzt sie nachmittags am Tisch und macht ihre Hausaufgaben.

Mit 30 beginnt Petra Rosenberg, Pädagogik zu studieren und bekennt sich erstmals als Sinteza. Ihr spätes Studium begründete sie in der taz einmal mit dem bedrückenden Satz: „Erst jetzt weiß ich, ich habe es für ihn (ihren Vater, Anm.d.R.) gemacht. Um quasi wieder gutzumachen, was die Nazis an ihm verbrochen haben.“

Der Satz verrät, welche Bürde Rosenberg auf sich nimmt. Jahrzehnte unterstützt sie ihren Vater im Kampf um die Anerkennung der Sinti und Roma, sie wird zur rechten Hand ihres Vaters, der im Vorstand des Zentralverbands der Sinti und Roma sitzt und den Verband Berlin-Brandenburg leitet.

Ihre Schwester Marianne geht einen anderen Weg. Sie macht Karriere und verkauft Millionen Platten. Ihr Vater hat ihr seine Liebe zu deutschen Volksliedern weitergegeben, und er war es auch, der sie als Kind mit in die Kneipe nahm, um sie auf den Tischen singen zu lassen. Erst nach der Wende „outet“ sie sich als Sinteza und setzt sich für die Sinti und Roma ein – gegen den Willen ihres Vaters, der fürchtete, das würde ihre Karriere beenden.

Als ihr Vater kränker wird, ist es für Petra Rosenberg keine Frage, die Arbeit im Verband zu übernehmen. In Berlin-Marzahn lässt sie zehn Ausstellungstafeln errichten, an dem Ort, an dem Otto Rosenberg einst in einem Zwangslager für Sinti und Roma lebte. Sie geht in Berliner Schulen und Universitäten und lässt sich über die Geschichte der Sinti und Roma befragen oder hilft, wenn jemand diskriminiert wird. Sie trifft auf Neugierde und Offenheit. An anderen Orten aber ändere sich manchmal der Blick ihres Gegenübers, wenn sie erzählt, dass sie Sinteza sei. Sie wird dann gemustert, alte Klisches von Wohnwagen und Wahrsagerinnen kommen auf.

Als ein Streit zwischen Opferverbänden ausbricht, ob das Wort „Zigeuner“ auf die Tafel am Mahnmal geschrieben werden soll, hält sich Rosenberg heraus. Später kommt es zum Kompromiss: Sinti und Roma seien von den Nazis aus rassistischen Gründen „als Zigeuner“ verfolgt worden, lautet nun die Inschrift. Doch das ist nicht das letzte Hindernis. Der israelische Architekt Dani Karavan hat Bedenken. Einmal ist ihm das Wasser nicht schwarz genug, dann der Rand des Beckens zu rauh. Die Baukosten steigen, die Jahre vergehen, bis heute.

Gerne hätte es Petra Rosenberg gesehen, wenn ihr Vater die Einweihung des Denkmals noch miterlebt hätte. Für ihn, sagt sie, wäre es eine Genugtuung gewesen. Otto Rosenberg starb 2001.

Petra Rosenberg ist Vorsitzende des Roma- und Sinti-Verbands Berlin-Brandenburg

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