Für Josef Pellmeyer kamen die Vorwürfe zur Unzeit. Der Chef des Biogasverbands konnte in der vergangenen Woche in den Zeitungen lesen, dass Biogasanlagen womöglich die Brutstätte für den gefürchteten Ehec-Keim sein könnten. Bei Pellmeyer läuteten die Alarmglocken: Sollte die Branche jetzt in den Ehec-Sog geraten, ausgerechnet, da die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verhandelt und über eine Marktprämie für Biogasanlagen diskutiert wird? Die Reaktion des Verbands ließ nicht lange auf sich warten: „Populistische Falschaussagen verunsichern Verbraucher“, heißt es in einer Stellungnahme zu den Mutmaßungen. Und Sprecherin Andrea Horbelt ist froh, dass der Verdacht inzwischen auf eine andere Quelle gefallen ist: „Wenn man die Sprossen nicht gefunden hätte, wäre das nach hinten losgegangen.“
Kann jetzt also Entwarnung gegeben werden? Sind die 6.000 Biogasanlagen in Deutschland unbedenklich für die Gesundheit und liefern nur „saubere“ Energie, wie es die Betreiber gerne verbreiten? Für die Behauptung, dass Biogasanlagen die neuartigen Ehec-Keime verursacht oder verbreitet haben, fehlt bislang jeder Beweis.Doch völlig frei von Problemen sind die Anlagen nicht – das war auch vor Ehec bekannt. In den Trichtern landet schließlich nicht nur Gülle: Zwei Drittel der Gärsubstanz machen Gerste, Roggen, Hafer, Weizen, Mais, Rüben und Kartoffeln aus. Die Kritik: Bauern pflanzen immer weniger Getreide und Nutzpflanzen an, um damit Menschen zu ernähren, und stattdessen mehr Energiepflanzen, um Sprit, Strom oder Wärme zu erzeugen – und so Subventionen einzustreichen. Energiepflanzen wachsen heute schon auf zwei von ingesamt 12 Millionen Hektar. In den nächsten Jahren soll sich die Fläche verdoppeln.
Auf persönlichem Feldzug?
Nun aber richtet sich die Kritik gegen das andere Drittel der Füllmasse: Gülle, Stallmist und Schlachtabfälle. Zwar gelangen in bestimmte Anlagen nur nachwachsende Rohstoffe – in andere darf laut der EG-Hygieneverordnung aber alles mögliche ge kippt werden: Schlachtreste, in denen noch Rückstände von Arzneimitteln enthalten sind, Gülle, überlagerte Lebensmittel, sowie Küchen- und Speiseabfälle aus Haushalten und Kantinen in Deutschland. Der Leiter einer selbst gegründeten Agrar- und Veterinär-Akademie, Ernst-Günther Hellwig, sieht hier eine Gefahr. Früher habe es vor allem kleine Biogasanlagen gegeben, in denen der Bauer Gülle oder Mais vom Hof oder seinen Feldern gären ließ. In Zeiten von Massentierhaltung und Globalisierung käme jedoch immer mehr Ausgangsmasse aus immer entlegeneren Regionen, manchmal hunderte Kilometer weit enfernt. Hellwig vergleicht das mit einem Kindergarten, wo die Kinder mit ihren unterschiedlichen Immunsystemem das erste mal aufeinandertreffen und krank werden. „Je mehr Substrate, desto mehr Keime.“
Dem Landwirt und Tierarzt zufolge herrschen in den Biogasanlagen beste Bedingungen für Keime aller Art – womöglich auch für neue Ehec-Varianten. In Bayern ist es etwa üblich, dass Wand- und Fußbodenheizungen den Innenraum von Bioreaktoren auf 35 bis 40 Grad heizen, es ist feucht und Sauerstoff fehlt: Bedingungen wie im Pansen einer Kuh – für Erreger „ein Schlaraffenland“, sagt Hellwig.
Ein Rest Unsicherheit bleibt
Hellwig glaubt, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob die Gülle gleich aufs Feld gekippt wird oder den Umweg über die Biogasanlage nimmt und als Gärrest auf dem Feld landet. Denn im Gegensatz zum Gärrest fühlten sich die Erreger in der zehn Grad kalten Gülle äußerst unwohl. Was genau in den Biogasanlagen passiert, weiß Hellwig allerdings nicht. Auch nicht, ob der gewöhnliche Darmerreger Escherichia coli sich in den Biogasanlagen zu dem gefährlichen Ehec-Keim kreuze. „Ich stelle nur Fragen“, sagt er. Das hat er schon früher getan und etwa gemutmaßt, dass Biogasanlagen das Bakterium Clostridium botulinum verbreitet haben könnten, dessen Gift die Lähmungskrankeit Botulismus auslöst. Jetzt eben Ehec.
Ist da jemand auf persönlichem Feldzug gegen Biogasanlagen – oder ist an den Vorwürfen doch etwas dran? „Es ist wirklich Unfug“, sagt Michael Lebuhn von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Untersuchungen der Universität Hohenheim und der LfL hätten gezeigt, dass Colibakterien zu 99,9 Prozent im Zuge der Gärung getötet würden. Er schließt nicht aus, dass mit Schwermetallen, Giften oder Keimen belastetes Material auch die Reise über Biogasanlagen überstehen könne und schließlich im Grundwasser oder auf Nutzpflanzen lande. Nur würden Biogasanlagen wegen des desinfizierenden Effekts das Risiko nicht erhöhen, sondern senken. In den Anlagen tummeln zuvor natürlich Unmengen von Bakterien. In vier Teilschritten bauen jeweils andere Mikrobenarten die Kohlenhydrate, Proteine und Fette der Biomasse ab, bis am Ende das Biogas entsteht: ein Gemisch aus Methan und Kohlendioxid. Anders als auf dem Komposthaufen, der an der Luft dampft, gibt das Biogas keine Wärme ab, weil die Energie in Form des Methans gespeichert ist. Und darauf kommt es an. Denn das methanhaltige Biogas lässt sich ins Nahwärmenetz einspeisen oder in einem Blockheizkraftwerk verfeuern, um Strom zu erzeugen.
Was der Bauer in die Biogasanlagen schüttet muss er vorher gründlich behandelt haben, so verlangt es die EG-Hygieneverordnung. Tiermaterial mit seuchenhygienischem Risiko muss drucksterilisiert werden und zwar 20 Minuten lang bei einer Temperatur von 133 Grad. Verendete Tiere, überlagerte Lebensmittel, Küchen- und Speiseabfälle wiederum werden zerkleinert und mindestens eine Stunde lang auf 70 Grad erhitzt. Strenge Regeln, die aber nicht für Gülle gelten, die der Bauer vergast und als Gärrest auf seinem Feld verteilt. Die muss weder vorher drucksterilisiert oder pasteurisiert noch später auf Keime untersucht werden. Anders in Österreich, wo der Gärrest als Düngemittel auf Krankheitserreger getestet wird, zum Beispiel auf Salmonellen, aber auch auf Ehec.
Ein Rest Unsicherheit bleibt also. Andrea Horbelt vom Biogasverband könnte sich mit der Idee anfreunden, auch in Deutschland Tests einzuführen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Denn in vielen Köpfen bleibe wohl stecken: In Biogasanlagen entstehen „fiese Keime“.
Benjamin von Brackel schreibt für den Freitag vor allem über erneuerbare Energien
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