Hallo, Vermittlung

Mediation Die Ausbildung zum Streitvermittler boomt, nicht nur wegen Heiner Geißler: Viele Absolventen wollen Konflikten besser gewachsen sein, damit sie nicht bevormundet werden

Hat man sich in der Tür geirrt? Eigentlich sollte hier, im Kellerraum eines Hotels im Münchner Osten, das Seminar zum Konfliktmanagement stattfinden. Doch im Laufe der Vorstellungsrunde meint man sich eher in einer Selbsthilfegruppe wiederzufinden: Die Stühle sind zu einem Kreis geformt, jeder Teilnehmer hat ein Schildchen mit seinem Vornamen vor sich aufgestellt. Ein Mann erzählt, dass er bald gekündigt werde; eine Frau, dass sie versetzt werden soll, was zur Folge hätte, dass sie ihre Kinder kaum noch sähe. Und ein Dritter kündigt an, morgen früher gehen zu müssen: er treffe seine Schwester nach 14 Jahren erstmals wieder.

Doch als eine Teilnehmerin von ihrem ersten Mediationsfall erzählt, weiß man, dass man doch richtig ist. Auf dem Namensschild vor ihr steht „Steffi“. Die junge Frau arbeitet in der Personalabteilung eines Unternehmens, das mit Autoteilen handelt. Jahrelang habe sie erlebt, wie sich zwei Kassenfrauen bekriegt hätten. Eine „eisige Stimmung“ habe geherrscht, und eigentlich habe sie geglaubt, die beiden würden nie mehr miteinander reden. Jetzt tun sie es doch. Weil sie sich mit den beiden zusammengesetzt und umgesetzt habe, was ihr hier beigebracht worden sei. „Stark! Das ist toll!“, freut sich Norbert Fackler, einer der beiden Ausbilder. Die Runde applaudiert. Steffi lächelt.

Beim Stichwort Mediation dachten vor ein paar Jahren noch die meisten an einen Schreibfehler in Meditation. Nicht zuletzt durch Heiner Geißler, der im Streit um Stuttgart 21 vermittelt hat, hat sich das geändert. Genau genommen war Geißler aber eher Moderator als Mediator. Denn ein Mediator hat eine professionelle Ausbildung, er bringt die Streitparteien an einen Tisch und hilft ihnen, selbst zu einer Lösung zu kommen, auf einen Schlichterspruch verzichtet er. Der Mediator muss auf die Interessen der Kontrahenten eingehen, muss Menschen einschätzen können und sich selbst auch. Kein Wunder, dass die Kurse an Selbstfindungstreffen erinnern.

Das schnelle Geld mit dem schnellen Zertifikat

Die Nachfrage ist groß. Seit das Bundeskabinett Anfang des Jahres ein Mediationsgesetz auf den Weg gebracht hat, steigen die Anfragen für die Kurse noch stärker. „In den letzten Monaten gibt es eine steile Kurve nach oben“, sagt Fackler. Der Sozialpädagoge ist seit Anfang der 90er Jahre im Geschäft und ein Pionier der Mediationsausbildung, mehr als 800 Mediatoren hat er ausgebildet.

Den Gesetzentwurf sieht er trotzdem kritisch. Um die Gerichte zu entlasten soll die Mediation in der Justiz verankert werden. Der Vorteil gegenüber Prozess und Urteil: Eine Mediation ist in der Regel kürzer und billiger. Außerdem entscheiden die Konfliktparteien selbst über das Urteil. Doch das geplante Gesetz schreibt nicht vor, was ein Mediator gelernt haben muss. So gebe es Ausbilder, die schon nach 20 Stunden ein Zertifikat austeilen und sich in Suchmaschinen nach oben tricksen. „Die machen ein Schweinegeld“, sagt Fackler. 200 Stunden, vier Fallbeispiele und eine Diplomarbeit von etwa 20 Seiten müssen Teilnehmer bei ihm abliefern, dann dürfen sie sich Mediatoren nennen. Zwar dürfen das auch jene, die einen Fernkurs hinter sich haben. Doch Fackler sieht das kritisch: „Mediation kannst du nicht in Fernkursen lernen, sondern nur am Menschen.“

Aber warum interessieren sich überhaupt auf einmal so viele für Mediation? Warum treibt die Politik das Thema voran, warum richten Gerichte Mediationskammern ein und lassen Unternehmen ihre Personaler zu Mediatoren ausbilden? Natürlich, die Gerichte sind dankbar über Arbeit, die ihnen abgenommen wird. Und natürlich, die Konzerne haben gemerkt, dass Konflikte Geld kosten. Mit Mediatoren lässt sich einiges einsparen. Doch hinter dem Trend steckt mehr – ein Wandel in der Gesellschaft: Viele Bürger sind nicht mehr bereit, sich bevormunden zu lassen. Stuttgart 21 ist das bekannteste Beispiel. „Die Bürger fühlen sich übergangen und pochen auf ihre Partizipation“, sagt Dieter Rössner. Seit Jahren beschäftigt sich der Professor an der Universität Marburg mit der Mediation im Strafrecht, etwa mit dem Täter-Opfer-Ausgleich. Habe der Staat bis Ende der 90er Jahre alles geregelt, so sei er langsam bereit, Aufgaben abzugeben, sagt Rössner. Auch Unternehmen öffnen sich und setzen auf Konfliktlösung, wenn auch langsam. Doch der Druck wird größer, je mehr sie den Arbeitnehmern zumuteten, je unsicherer die Arbeitsplätze, je mehr Flexibilität und Profit verlangt werden.

Kitzeln, nicht lösen

Die meisten Teilnehmer des Kurses wollten später nicht als selbstständige Mediatoren auf dem freien Markt arbeiten, sagt Norbert Fackler. Ihnen gehe es vor allem darum, sich persönlich weiterzuentwickeln, um Konflikten besser gewachsen zu sein oder um im Beruf voranzukommen. So war es auch bei Agnes (Name geändert). Die 43-Jährige entzieht sich den Plaudereien der Gruppe, die langsam von der Kaffeepause zurückkommt. Die meisten hier wollen nur beim Vornamen genannt werden. Weil sie im Seminar privateste Dinge preisgeben und weil bei einigen der Beruf auf der Kippe steht. Agnes etwa soll nach Erlangen versetzt werden. Doch gegen ihre Kinder will sie sich nicht entscheiden. Je länger sie darüber redet, wie Mitarbeiter behandelt werden, desto mehr gerät sie in Rage. Jetzt überlegt sie, ob sie nicht selbst etwas aufbauen soll. Da helfe ihr der Mediationskurs. Inzwischen habe sie viel über sich selbst gelernt, gehe auch privat anders mit Konflikten um. Habe sie früher versucht, zu einer Lösung zu kommen, so sage sie sich jetzt: „Nein, ich löse nicht, ich kitzele die Probleme erst raus.“ Ein Grundsatz der Mediation – doch nicht der Unternehmen: „Der Ansatz, den wir hier lernen, steht im vollen Gegensatz zum Konzernverhalten.“

Die Pause ist vorbei, es geht weiter. Die Teilnehmer haben sechs Module hinter sich, drei fehlen noch, dann sind sie Mediatoren. Etwa die Hälfte von ihnen sind Führungskräfte, sie arbeiten für Siemens, für BMW, einer ist Architekt, einer bei der Bundesanstalt für Arbeit. Kurt Faller, der zweite Ausbildungsleiter, teilt die Gruppe: Alle, die sofort reagieren, wenn ein Konflikt auftaucht, schickt er nach links; alle, die erst abwarten, nach rechts. „Ein Aussitzer bin ich nicht“, sagt Franz, der sich links einordnet. „Bei zuviel Dummheit platze ich.“

Typisch für die Werbebranche oder den Bau, sagt Faller. Das Gegenteil sei in sozialen Einrichtungen der Fall. Er sei mal von einer Kirche engagiert worden, weil dort im Konflikt das Wort „Blödmann“ gefallen sei. Es lief so: Faller trat ein, die Kirchenleute schenkten ihm kaum Beachtung, zündeten eine Kerze an, lasen ein Gedicht vor. Nach einer Dreiviertelstunde stellten sie den Mediator vor: „Wir haben Herrn Faller heute hergebeten, um eine Frage zu klären.“ „Eine Frage“, sagt Faller und schmunzelt. „Vom Konflikt war keine Rede.“ Seine Kurs-Teilnehmer lernen, die Konfliktkultur eines Unternehmens einzuschätzen – und sich selbst: Denn die Impulsiven neigen dazu, eine aggressive Konfliktkultur herunterzuspielen, während die Zurückhaltenden sie überschätzen.

Materiell, das ist einfach

Faller hämmert Kärtchen an die Pinnwand. „Kehrwoche“ steht auf einer grünen, „Gehaltsverhandlungen“ auf einer gelben, „unterschiedliche Ziele“ auf einer blauen Karte. Die angehenden Mediatoren lernen zu unterscheiden, was für ein Konflikt vorliegt und wie sie ihn lösen können. Am einfachsten sind materielle Konflikte: Die Benachteiligten bekommen, wenn dem Unternehmen an der Beilegung des Konflikts gelegen ist, mehr Geld oder einen größeren Raum. „Wenn es ins Persönliche geht, wird es ein Problem“, sagt Fackler. Bei Mobbing müsse sich der Mediator zunächst um das Opfer kümmern und den Täter rügen.

Doch die eigentliche Mediation finde erst statt, wenn beide weiter zusammenarbeiten wollen. Die Kontrahenten müssen dann sachlich ins Gespräch kommen. Was oft ein Problem in Unternehmen ist, da sie oft Konkurrenzdenken gezielt fördern. Thomas, der Architekt, sagt, er kenne das: Unternehmen belohnten den, der mehr Profit mache. Er selbst wisse nicht, ob er seinen Arbeitsplatz behalten könne, doch inzwischen habe er sich mit dem Gedanken angefreundet, sich selbstständig zu machen: „Ich lasse mir relativ ungern was sagen.“

Statt Konkurrenz bevorzugt Faller den umgekehrten Weg: Orientierung an „High Reliability Organisations“ wie Polizei oder Feuerwehr. Wer in so einem Hochsicherheits-Beruf arbeitet, darf sich keine Fehler erlauben, daher wird auf kleinste Fehler geachtet. Diese „Fehlerkultur“ sei in Konzernen kein Thema, dort gelte es nur, Schwächen wegzudrücken, sagt er. Aber Unternehmen stünden doch im Wettbewerb, sagt Thomas, sie müssten wie Skirennfahrer möglichst schnell den Hang hinunterkommen – da könne nicht auf jeden Fehler geachtet werden. „Es wird tatsächlich Situationen geben, wo’s nicht geht“, gibt Fackler zu. Die Mediation hat auch Grenzen.

Wenn Politik, Gerichte oder Vorgesetzte Kontrolle abgäben, der Mediator aber nicht genug Kontrolle in der Schlichtung ausübt, so könne sich am Ende wieder der Stärkere durchsetzen, warnt Dieter Rössner, der Experte für Kriminalprävention. Er fordert daher nicht nur Ausbildungsstandards. Bereits Kinder und Jugendliche sollten zu kleinen Mediatoren erzogen werden.

Norbert Fackler finde in seiner Arbeit immer noch Erfüllung, sagt er. Bei einer Sache brauche man sich aber keine Illusionen machen: Dass die Kontrahenten dem Mediator am Ende um den Hals fielen. Bei einer erfolgreichen Mediation hört er stattdessen oft: „Jetzt haben wir das ja ganz allein gelöst!“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden