Für Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff war der 5. Juni ein Tag ganz nach ihrem Geschmack. Es war der Weltumwelttag und Rousseff konnte im Regierungspalast ihre Unterschrift unter eine Verordnung setzen, die regelt, wann Produkte nachhaltig genug sind, damit sie die Regierung kauft. Das sollte demonstrieren, wie ernst es die Regierung mit der Nachhaltigkeit meint. Während der Feier konnte die Präsidentin außerdem mit einer guten Nachricht aufwarten: Die Abholzungen im Amazonasgebiet seien stark zurückgegangen – so stark wie seit 23 Jahren nicht mehr.
So inszeniert Rousseff ihr Land gerne: als Musterland in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Doch ausgerechnet kurz vor dem Umweltgipfel in Rio trübt sich das Bild. Schuld ist das Waldgesetz, das der brasilianische Nationalkongress verabschiedet hat. Die Welt ist beunruhigt. Das Gesetz enthält eine Amnestie für Grundbesitzer, die vor 2008 illegal Regenwald gerodet hatten, und es sieht eine Verkleinerung der Schutzzonen vor – was Rodungen an Flussläufen und Hügelkuppen erlauben würde. Eine Fläche zweimal so groß wie Deutschland würde mit einem solchen Passus zur Abholzung freigegeben.
Nach wochenlangen Kampagnen von Umweltschutzgruppen legte Rousseff ein Teilveto ein. Zwölf Artikel der Novelle lehnte sie ganz ab, darunter das Amnestiegesetz. Doch der Forderung von Umweltgruppen, das ganze Gesetz zu blockieren, kam sie nicht nach. „Ich denke, es war ein Kompromiss“, sagt Imme Scholz, Brasilienkennerin und Vizechefin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE).
Zwei Landwirtschaftsminister
Nach dem Weltgipfel in Rio de Janeiro, der kommende Woche beginnt, wird das Parlament erneut über das Waldgesetz beraten – dann aber nicht mehr unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Deswegen fürchten viele, dass die Agrarlobby es zu ihren Gunsten beeinflussen könnte. Dann zeigt sich wieder das andere Gesicht des Landes – ein Gesicht, das Rousseff gerne verbirgt.
Brasilien ist ein Paradebeispiel für ein Schwellenland, das sich im Zuge seines Aufstiegs zur Wirtschaftsmacht mehr und mehr zu seiner gewachsenen Verantwortung bekennt, nachhaltiger zu wirtschaften. Eine starke Umweltbewegung hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt, und in der Regierung ist der Umweltschutz institutionell verankert. „Brasilien versucht sich als grüne Ökonomie zu deklarieren“, sagt Scholz. Gleichzeitig hat das Land aber Schwierigkeiten, seine Ansprüche in die Realität umzusetzen. „Die Situation ist sehr zwiespältig, weil dem Agrobusiness sehr viel Freiheit gelassen wird“, sagt Stig Tanzmann, Landwirtschaftsexperte vom Evangelischen Entwicklungsdienst.
In Regierung, Parlament und Gesellschaft prallen zwei Kräfte aufeinander: Die einen wollen die Landwirtschaft möglichst produktiv und effizient ausrichten, die anderen möglichst nachhaltig und sozial verträglich. Diese Zerrissenheit drückt sich am deutlichsten darin aus, dass es zwei Landwirtschaftsministerien gibt: Eines für Kleinbauern und die ländliche Entwicklung, eines für die Großbetriebe und das Agrobusiness. Mit dem Umwelt- und Wirtschaftsministerium beharken sich zwei weitere Gegenspieler. Die einen wollen möglichst große Schutzgebiete, die anderen möglichst große Nutzflächen. Mal setzt sich die eine, mal die andere Seite durch.
Produktion für lokale Märkte
Eigentlich mangelt es den Brasilianern nicht an der Einsicht, dass eine Landwirtschaft nötig ist, die nicht auf die Abholzung des Regenwalds setzt, nicht auf Gentechnik, Pestizide und Massentierhaltung – 200 Millionen Rinder grasen auf Brasiliens Weiden. Denn die Folgen offenbaren sich schon heute: Der Boden wird unfruchtbar, Wasser wird knapp oder verschmutzt, Arten sterben aus und der Klimawandel schreitet voran. Mit dieser Produktionsweise bis 2050 weltweit zwei Milliarden Menschen mehr zu ernähren, könnte die Grenzen des Planeten überdehnen.
Deswegen machen sich Umweltschützer und Teile der Regierung für eine traditionelle Landwirtschaft stark. Fast drei Viertel aller Nahrungsmittel in Brasilien werden von Kleinbetrieben geliefert, die für lokale Märkte produzieren. Stig Tanzmann reist gerade durch Brasilien und hat mehrere Kleinbetriebe besucht, darunter eine Molkerei im Distrikt São Lourenço, die 70.000 Liter Milch pro Tag verarbeitet und größtenteils auf Ökolandbau umgestellt hat – deshalb wird sie von der Regierung gefördert. Für das Null-Hunger-Programm und das Schulessen-Programm setzt sie auf Kleinbetriebe und ökologischen Landbau und kauft etwa das Milchpulver aus der Molkerei in São Lourenço, um im Nordosten des Landes Schulen zu beliefern.
Das kann sie sich leisten, weil der Wirtschaftsaufschwung die Geldkassen gefüllt hat. Der Aufschwung aber gründet auf dem Export von Sojaprodukten und Rindfleisch durch die Agrarkonzerne – und darunter leidet wiederum die Umwelt. Es ist, als würde man Entzugsprogramme mit dem Verkauf von Spirituosen finanzieren.
Am Tropf des Exports
Tanzmann hofft, dass durch die Förderung der Regierung ein Markt für Kleinbauern entsteht und damit auch eine Landwirtschaft, die stärker auf Grundnahrungsmittel und Mehrfachbewirtschaftung setzt statt auf Exportprodukte und Monokultur. „Der Versuch besteht darin, langfristig aus diesem Exportmodell auszusteigen“, sagt Tanzmann.
Fraglich aber ist der Erfolg. Zu stark scheint die Agrarlobby in Brasilien. Organisiert ist die in der „Konföderation der Landwirte und Viehzüchter“ (CNA), die fünf Millionen Produzenten vertritt. Im Nationalkongress bildet die „Parlamentarische Front der Landwirtschaft“ die einflussreichste Gruppe. Besonders stark ist sie in der sozialliberalen Partei PMDB, die mit in der Regierung sitzt. Über diese Anlaufstelle konnten die „Ruralisten“ das Waldgesetz nach ihrem Belieben gestalten.
79 Prozent der Brasilianer lehnen das Waldgesetz ab, Zehntausende hatten eine Petition gegen dieses unterzeichnet und Rousseff aufgefordert, ihr Veto einzulegen. Für die Präsidentin ist es eine Gratwanderung. Ihren Wahlkampf bestritt sie mit Umweltthemen, aber als Energieministerin unter Präsident Lula hatte sie sich für den Bau von Wasserkraftwerken im Amazonasgebiet eingesetzt. Und sie weiß, dass Brasiliens Wirtschaft am Tropf des Exports hängt. „Die Politiker sind alle berauscht vom großen Wachstum“, sagt Tanzmann.
Zwar beginnt im Land eine kritische Wachstumsdiskussion. Solange aber die Wirtschaft boomt, weil der Weltmarkt nach großen Mengen an Getreide und Fleisch verlangt und so lange der Norden nicht mit gutem Beispiel vorangeht und seinen Hunger nach Rindfleisch und Sojaprodukten nicht zügelt, solange scheint ein Ende der zerstörerischen Produktionsweise nicht in Sicht. Tanzmann sieht deswegen vor allem den Norden in der Verantwortung: „Wenn wir es nicht schaffen, unsere Ernährung nachhaltig umzugestalten und umzuverteilen, bringt das ganze Gerede über Nachhaltigkeit nichts.“
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.