Im Schatten des Comandante

Neustart Chávez hat dem Land mit seinen Reformen ein neues Gesicht gegeben. Aber kann sein Nachfolger wie bisher weitermachen?
Ausgabe 15/2013
So kann Wahlkampf auch aussehen: Nicolás Maduro in Aktion
So kann Wahlkampf auch aussehen: Nicolás Maduro in Aktion

Foto: Juan Barreto / AFP

Selbst über seinen Tod hinaus bleibt Hugo Chávez die prägende Figur im venezolanischen Wahlkampf. Sein Konterfei prangt auf vielen Plakaten. Sollte Nicolás Maduro bei der Präsidentschaftswahl am 14. April siegen, dann weiß er, wem er das zu verdanken hat: Chávez hatte den ehemaligen Busfahrer als Nachfolger auserkoren, und um den versammeln sich die Anhänger des Comandante. „Sein Projekt, seine Fahnen werden wir hochhalten mit Ehre und Würde“, versprach Maduro. Es ist ein schwieriges Erbe – gleich auf doppelte Weise: Chávez hat das Gesicht Venezuelas verändert, ja des ganzen Kontinents. Er war die Überfigur seines Landes für 14 Jahre. Er hat sich gegen die neoliberale Weltordnung der USA gestemmt und der armen Bevölkerung seines Landes wieder eine politische Stimme verliehen. Größer könnten die Fußstapfen kaum sein, in die sein Nachfolger treten muss.

Gleichzeitig hinterlässt Chávez ein Land, das wirtschaftlich extrem abhängig vom Öl ist und sich politisch in zwei feindliche Lager teilt. Chávez’ Tod fällt in eine Zeit, da der Chavismo seine Errungenschaften zu verspielen und in den Autoritarismus zu kippen droht. Den einstigen Präsidenten als Despoten abzustempeln, greift aber zu kurz.

Bruch mit dem alten System

Nach seinem Wahlsieg 1998 hatte der Ex-Putschist der Demokratie Venezuelas wieder Luft zum Atmen verliehen. Er hatte ein oligarchisches, vom Volk losgelöstes und blockiertes System aufgebrochen und den alten Eliten ihre Privilegien genommen.

Lange hatte Venezuela als Musterdemokratie Lateinamerikas gegolten. Sozialdemokraten und Konservative wechselten sich seit 1958 an der Regierung ab. Beide Parteien monopolisierten die Macht, bauten den Staatsapparat aus und ließen eine elitäre Schicht gedeihen, die sich über den Rechtsstaat stellte. Solange der Erdölpreise hoch war und die Bevölkerung an die Illusion von Fortschritt und Wohlstand glauben konnte, bestand das System. Als aber in den achtziger Jahren die Rohölpreise verfielen, geriet die Wirtschaft in die Krise, und die Mehrheit der Bevölkerung verarmte. Das Wohlstandsversprechen wurde karikiert von Korruptionsskandalen und neoliberaler Reformen. Was blieb, war der Eindruck der Regierenden als kleptokratischer Clique, die sich längst vom Volk verabschiedet hatte.

Chávez folgte ab 1999 seinem Versprechen, mit dem alten System zu brechen, und zog damit den Hass der Elite auf sich, die fortan nichts unversucht ließ, um ihn aus dem Präsidentenpalast zu vertreiben: Generalstreiks, ein Putsch, ein Abwahlreferendum und ein Wahlboykott. Alles überstand Chávez. Sein Trumpf waren die Bewohner der Armenviertel, der Barrios, die ihn von Wahlsieg zu Wahlsieg trugen.

Chávez ließ die Verfassung ändern und zu Tausenden an Straßenständen verteilen – jeder sollte seine Rechte nachlesen: Nicht mehr nur alle fünf Jahre wählen, sondern durch Referenden jederzeit mitbestimmen zu dürfen, etwa den Abwahlreferenden auf allen Ebenen. Mit den Misiónes wurden Gesundheits-, Bildungs- und Arbeitsprogramme geschaffen. Mit den Bodenkomittes wurden Hunderttausende illegale Wohnungen legalisiert, die oft von Wasser, Strom, Müllentsorgung und Straßen abgeschnitten waren.

Kernstück der von Chávez „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ genannten Reformen bildeten aber die Kommunalen Räte – eine Art Selbstregierung auf kommunaler Ebene, die soziale Projekte in einem Einzugsraum von 200 bis 400 Familien in der Stadt planen und umsetzen, etwa den Bau von Wohnungen und Schulen, Krankenhäuser und Polizeistationen, Abwasserinstallationen und Straßen. 2009 beteiligte sich fast ein Drittel der Bevölkerung in einem der Räte.

Chávez schuf damit seine Wählerbasis. Partizipation und Protagonismus gingen für ihn Hand in Hand. Weil der Präsident über die Finanzierung der Kommunalen Räte entscheidet, sind sie ihm faktisch unterstellt. Für Chávez stellten sie auch einen Vorwand dar, um die repräsentative Demokratie weiter zu untergraben.

Zahme Opposition

Es ist eine Gratwanderung: Wie viel Macht darf der Präsident in seinen Händen konzentrieren, wie lange darf die Gewaltenteilung leiden, um den Bruch mit einem klientelistischen und korrupten System zu rechtfertigen? Das Pendel beginnt nun zurückzuschlagen: Eine neue Elite hat sich gebildet, und auch unter Chávez grassierte die Korruption immer mehr. Der enge Kern der Chávistas – Prügeltrupps – schüchtern Oppositionelle und Journalisten ein. In den U-Bahnen von Caracas trauen sich viele nicht mehr offen über Politik zu sprechen.

Selbst seine Gegner, die ihn lange mit aller Macht bekämpft hatten, erkennen aber die politische Leistung von Chávez an. Oppositionschef Capriles hat schon angekündigt, dass er mit seinem sozialdemokratischen Programm nicht alles anders machen wolle – etwa an den Missionen und Kommunalen Räten wolle er festhalten. Er gibt den Versöhner.

Egal wer am 14. April gewinnt, die Herausforderungen sind gewaltig: Die Wirtschaft auf ein sicheres Fundament stellen, der Inflation, der Nahrungsmittelknappheit und der Kriminalität Herr werden, das gespaltene Land zusammenführen. Und so etwas wie Normalität schaffen. Von Maduro erwarten viele genau das – ein pragmatischeres Verhalten. Doch seine Anhänger hat der Schnauzbartträger bereits aufgefordert, gleich „Aposteln“ die „Doktrin und das Erbe des Retters der Armen“, Hugo Chávez, zu folgen. Was Venezuela aber braucht, ist ein Erneuerer. Wie 1998.

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