Mit Mut nach vorn

Ökostrom Die Energiewende ist machbar, und sie wird langfristig die Kosten senken. Jetzt geht es darum, die Lasten gerecht zu verteilen
Die Energiewende ist ein Mammutprojekt, das die Welt mit staunenden Augen verfolgt
Die Energiewende ist ein Mammutprojekt, das die Welt mit staunenden Augen verfolgt

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Was haben wir uns mit der Energiewende nur eingebrockt? Viel zu teuer, nein, unbezahlbar, rufen die einen. Planwirtschaft wie in der DDR, maulen die anderen. Denn seit dieser Woche wissen wir, was nächstes Jahr auf uns zukommt. Die Ökostrom-Umlage steigt um fast 50 Prozent, von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Damit muss ein durchschnittlicher Dreipersonenhaushalt etwa 60 Euro pro Jahr mehr zahlen. Und das ist erst der Anfang.

Das Wehklagen über immer neue Folgekosten des Atomausstiegs wird in den nächsten Jahren die Debatte bestimmen. Wer den Umbau des Systems wirklich will, muss sich dem stellen: Nur wer die soziale Frage löst und die Kosten gerecht verteilt, wird die Energiewende retten.

Denn einige Stromkonzerne, die FDP und Teile der Union fahren bereits eine Kampagne, den Ausbau von Wind-, Wasser-, Solar- und Biogasanlagen zu drosseln. Unterstützt werden sie von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, einer von der Metall- und Elektroindustrie gegründeten Lobbyorganisation, die in ganzseitigen Zeitungsanzeigen gegen den Ökostrom ins Feld zieht. Sie finden Gehör, das Erregungspotenzial steigt. Doch dürfen die Schwarzmaler nicht die Oberhand gewinnen.

Die Welt staunt

Die Energiewende ist ein Mammutprojekt, das die Welt mit staunenden Augen verfolgt: Innerhalb von zwölf Jahren sind fast 400.000 Jobs entstanden, inzwischen wird ein Viertel des deutschen Stroms aus Ökoenergie erzeugt. Und ein Ende des Booms ist unter den derzeitigen Bedingungen nicht erkennbar. Mehr als 60 Nationen haben Gesetze in Anlehnung an das Erneuerbare-Energien-Gesetzes verabschiedet. Die Ablösung von Atom- und Kohlestrom ist längst keine Utopie mehr. Auf all das könnte man eigentlich stolz sein.

Stattdessen forcieren konservative Kreise eine Angstdebatte. Dabei geht es nicht nur um die Sache, sondern um Besitzstände. Auch Teile der Koalition mischen kräftig mit. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat lange so getan, als wäre die Energiewende ohne großen Aufpreis machbar. Jetzt schlagen deren Gegner daraus politisches Kapital.

Erneuerbare sind billiger

Klar ist: Der Umbau muss von der Mehrheit getragen werden, und auch für sozial schwächere Haushalte muss Strom bezahlbar bleiben. Aber die Konsequenz heißt nicht, die Wende zu stoppen. Das wäre fatal. Denn letztlich würden die Energiekosten noch höher ausfallen. Schon seit 2002 hat sich der Ölpreis verfünffacht, Steinkohle, Heizöl und Gas kosten im Vergleich zu damals mehr als doppelt so viel. Darüber aber reden die Kritiker der Ökoenergie lieber nicht.

Angesichts der weltweit knappen Ressourcen sind erneuerbare Energien langfristig billiger. Denn einmal errichtet, produzieren Solar- und Windkraftanlagen Strom fast zum Nulltarif. Wenn jetzt Milliarden Euro verbaut werden, dann sind das vor allem Investitionen in die Zukunft.

Die Ausnahmen sind unsozial

Nun geht es darum, die Kosten niedrig zu halten und niemanden über Gebühr zu belasten. Und da könnte die Regierung einiges tun. 700 Unternehmen sind schon jetzt von der Ökostrom-Abgabe befreit, 2.000 weitere haben für kommendes Jahr einen Antrag gestellt. Was anfangs für besonders energieintensive Firmen sinnvoll gewesen sein mag, ist längst ausgeufert. Inzwischen kann sich jede Stadtbäckerei befreien lassen. Zur Kasse gebeten werden dagegen alle übrigen Verbraucher. Das ist unsozial.

Und auch am Erneuerbare-Energien-Gesetz selbst kann nachgesteuert werden. Denn paradoxerweise ist die Ökostrom-Abgabe auch deshalb so hoch, weil Strom aus Wind und Sonne so billig ist. Das liegt an der komplexen Berechnungsmethode, und es wäre durchaus sinnvoll, diese zu überdenken. Gleiches gilt für die Fördersätze: Sie müssen weiter sinken und zwar genau in dem Maße, dass der Ausbau weiter angeregt, gleichzeitig aber die Technik besser und billiger wird. Nach und nach müssen die Erneuerbaren in den freien Wettbewerb entlassen werden – angefangen mit der Windenergie an Land.

Die meisten sind bereit

Die Wahrheit ist aber auch: Selbst wenn die Energiewende so billig wie möglich wird, so wird sie die Deutschen doch in den nächsten Jahren noch einiges kosten. Allein der notwendige Ausbau von Speichern und Stromnetzen könnte bis zu 200 Milliarden Euro teuer werden. Und es geht ja nicht nur um die Stromversorgung. Die Bürger müssen auch tiefer in die Tasche greifen, wenn zum Beispiel Hausbesitzer nach Wärmedämmung mehr Miete verlangen.

Trotzdem genießt die Energiewende bei den Deutschen nach wie vor hohe Akzeptanz. Die meisten Bürger sind bereit, für den Umbau ihren Teil beizutragen. Und anders als bei der verdeckten Förderung von Atom- und Kohlestrom wissen die Verbraucher genau, wie hoch ihr Beitrag für den Ökostromausbau liegt. Entscheidend ist, dass jeder in der Lage sein muss, diesen Beitrag auch zu schultern.

Deshalb muss die Regierung endlich eine Lösung finden, wie sie sozial schwächeren Haushalten hilft. Sozialtarife sind nur eine Möglichkeit. Daneben gibt es eine ganze Reihe weiterer Vorschläge, die gründlich erwogen werden sollten. Doch davon will gerade die FDP nichts hören, die sich jetzt zur Verteidigerin bezahlbarer Strompreise aufschwingt. Es ist ein durchschaubares Spiel. Es geht hier um Klientelpolitik und Profilierung. Nicht um das Wohl aller.

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