Rolle rückwärts

Meldepflicht Der Bundestag hat beschlossen, dass Kommunen die Daten ihrer Bürger im großen Stil verkaufen dürfen. Wie kam es zu der Panne?

Es kommt nicht oft vor, dass eine Bundesregierung die Opposition bittet, ein Gesetz, das den Bundestag passiert hat, im Bundesrat doch noch zu verhindern. Denn das, was die schwarz-gelben Abgeordneten mit dem neuen Meldegesetz beschlossen haben, das habe man doch so gar nicht gewollt, ließ Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten. Auch CSU-Chef Horst Seehofer beteuerte, er könne sich gar nicht erklären, wie das Gesetz im Bundestag zustande gekommen sei. Und aus der FDP kommen Stimmen, die eine Änderung des Gesetzes im Bundesrat begrüßen.

Ursprünglich wollte die Regierung den Datenschutz stärken und nach den Vorgaben der Föderalismusreform einheitlich regeln. Nun aber beschloss der Bundestag, dass Kommunen die Daten ihrer Bürger an Adresshändler, Inkassofirmen und die Werbewirtschaft in großem Stil verkaufen können. Zwar kann jeder der Weitergabe seiner Daten pauschal widersprechen, wenn er am Meldeamt das passende Formular ausfüllt. Nur gilt das nicht, wenn Firmen ihre Datensätze lediglich aktualisieren wollen – und das ist die Mehrzahl der Fälle. „Ich bin entsetzt, dass die Bundesregierung ein Datenschutz-freundliches Gesetz auf den Tisch legt und dann völlig entwertet“, sagt der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix.

Für die schwarz-gelbe Koalition ist das Meldegesetz eine peinliche Panne. Mal wieder. So festigt sich das Bild einer Regierung, die dilletantisch agiert und Partikularinteressen über das Gemeinwohl stellt. Wie aber konnte es dazu kommen?

So ganz genau wissen die gut zwei Dutzend Abgeordneten im Bundestag wohl gar nicht, worüber sie an jenem 28. Juni abstimmen. Es ist kurz vor der Sommerpause, gerade läuft das Halbfinalspiel der EM Deutschland gegen Italien und die Abstimmung über das Meldegesetz erscheint als Punkt, der schnell zu erledigen ist.

Keine Minute dauert es, bis die Änderungen am Entwurf behandelt und die Regierungsfraktionen das Gesetz abnicken. Die parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen hatten sich wegen des Fußballspiels und der Vielzahl an zu bearbeitenden Anträgen darauf geeinigt, die Debattenbeiträge nur als Texte zu verteilen – zu einem Zeitpunkt, als gar nicht klar war, über was genau abgestimmt wird.

Doppeltes Spiel der CSU

Im Ursprungstext der Regierung war vorgesehen, dass Bürger bei jeder Datenabfrage einwilligen müssen. Die Werbewirtschaft und die Adresshandelslobby aber macht dagegen Druck, mit Erfolg. Im Innenausschuss macht sich vor allem die CSU stark für eine Änderung. Der neue Entwurf verkehrt sich ins Gegenteil: Nicht mehr die Werber und Adresshändler müssen beim Bürger nachfragen, um an seine Daten (Name, Adresse, Geburtsdatum) zu gelangen, sondern der Bürger muss selbst darauf hinweisen, was er preisgeben will und was nicht. Aber selbst das werde wegen der Aktualisierungs-Ausnahme „bedeutungslos“, sagt Datenschützer Dix.

Nach dem Gesetzesbeschluss passiert erst einmal gut eine Woche lang gar nichts, ehe der Funke zündet. Datenschützer, die Netzgemeinde, der Städtetag und die Opposition laufen Sturm gegen das Gesetz. „Gefährlichen Unsinn“ nennt es SPD-Chef Sigmar Gabriel. Von einem „Geschenk für die Werbewirtschaft“, spricht der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar.

Nun rudert auch die CSU zurück, erst Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, dann CSU-Chef Horst Seehofer. Beide wollen schon immer für die Ursprungsregelung gewesen sein. Und stellen damit nicht nur die CSU-Landesgruppe in Berlin bloß, sondern auch die FDP. Statt als Bürgerrechtspartei wird diese nun als Klientelpartei für die Werbewirtschaft wahrgenommen. Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, verteidigt die Lösung nach wie vor als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zwischen der CSU, die für die alte Regelung war und der FDP, die für die Einwilligungslösung eingetreten sei.

Piltz sieht in dem Entwurf eine Verbesserung. Bisher waren die Meldegesetze in jedem Bundesland anders geregelt: So sah Berlin strengere Datenschutzregeln vor als etwa Nordrhein-Westfalen, wo es keine Widerspruchslösung gab. Der Unmut in der FDP über die Kehrtwende der CSU ist jetzt groß. „Die Entscheidungsfindung der CSU-Fraktion ist mir auch nach drei Jahren ein Mysterium“, sagt Piltz. Im Herbst will die SPD im Bundesrat das Gesetz verhindern. Besonders unglücklich dürfte darüber keine Partei sein.

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