Sein letzter Streich

Abschied aus Bellvue Christian Wulff wollte den Großen Zapfenstreich unbedingt, auch um das Bild seines Abgangs selbst zu bestimmen. Es ist in Ordnung, dass er ihn bekommen hat

Die Flügeltüren des Schloss Bellevues öffnen sich, ein paar Sekunden passiert nichts, dann tritt Christian Wulff neben Verteidigungsminister Thomas de Maizière und CSU-Chef Horst Seehofer auf die Treppe hinaus. In Wulffs blassem Gesicht haben sich zwei Falten über der Nasenwurzel eingeschlichen, der Mund ist zum Strich geworden. Er muss sich kurz sammeln ob der Kulisse: Fast das gesamte Kabinett ist gekommen, die Fackelträger stehen bereit; nur die Buh-Rufe, Pfiffe und der Vuvuzela-Lärm aus der Ferne trüben die Andacht. Wulff setzt langsam einen Fuß vor den anderen, fast hat man Angst, dass er sich nicht auf den Beinen halten kann.

Die vergangenen Tage, die er wie in Isolation in Großburgwedel verbracht hat, haben ihm offensichtlich schwer zugesetzt. Aber den Großen Zapfenstreich wollte er unbedingt haben. Eine Ehrerweisung, die allen Präsidenten vor ihm zustand, ein würdevoller Schlusspunkt eines unrühmlichen, langen Abschieds. Eines Abschieds von einer Politikerkarriere, in der Wulff Ministerpräsident war, Kanzler hätte werden können, und dann vorzeitig als Bundespräsident abgebrochen hat. Der Große Zapfenstreich erschien wie ein letzter Strohhalm, an den er sich klammerte, um seine endgültige soziale Ächtung zu verhindern; als er die Zapfenstreich-Urkunde entgegennahm, schien er aufrichtig gerührt. "Das bedeutet mir sehr viel", sagte er.

Für Wulff ging es darum: Wie wird man sich an ihn erinnern, was sind die letzten prägenden Bilder: Die, wie er sich fluchtartig von seiner Frau im Privatauto nach Großburgwedel fahren lässt oder die, wie er auf dem Schlossplatz vor versammelter Politprominenz und dem Wachbataillon feierlich verabschiedet wird – freilich mit der Begleitmusik der Vuvuzelas, Trillerpfeifen und "Schande"-Rufe der Demonstranten.

Das Amt kann das aushalten

Fast hätte man gestern Abend Mitleid mit dem Mann haben können. Jedenfalls bis man sich wieder in Erinnerung gerufen hat, was alles passiert war: Dass Wulff zu oft nicht erkannt hat, wo die Grenzen für einen Berufspolitiker liegen müssen, dass er sich zu oft bedient und Privilegien genossen hat, die mit seinen politischen Ämtern nicht vereinbar sein sollten. Und dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Verdachts der Vorteilnahme ermittelt. Politiker der Opposition hatten deswegen gefordert, Wulff möge doch auf den Großen Zapfenstreich, die höchste militärische Ehrung in Deutschland, verzichten. Nun wurde ihm das trotzdem zugestanden. Und das ist in Ordnung so.

Dass Wulff nicht wie ein Hund vom Hof gejagt, sondern dann doch vom fast gesamten Kabinett verabschiedet wurde, zeigt einen gewissen Anstand. Denn die schwarz-gelbe Führungsspitze hatte ihn erst vor zwei Jahren ins Schloss Bellvue gehievt. Das jetzt leugnen zu wollen, wäre billig gewesen.

Konstruiert wirkt das Argument, dass das Amt mit der Gewährung des Zapfenstreichs noch weiter beschädigt würde. Denn der Zapfenstreich gehört zum Amt des Bundespräsidenten nun einmal dazu. Mit viel Wohlmeinen könnte man argumentieren, dass sich Wulff zumindest in seiner Zeit als Bundespräsident nichts zu Schulden hat kommen lassen und dass sich seine Verabschiedung als Bundespräsident auf diese Zeit bezieht, in der er eine Leistung abgeliefert hatte, die so schlecht nicht war. Streiten könnte man eher darüber, inwiefern der militärische Brauch des Zapfenstreichs im 21. Jahrhundert überhaupt noch angemessen ist.

Das Exempel ist statuiert

Richtig ist, dass Wulff aufgrund seiner Verfehlungen in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident zurücktreten musste; richtig war der Druck, den Medien und Opposition aufbauten. Wulff musste die politischen Konsequenzen ziehen und zurücktreten, an den juristischen Konsequenzen arbeitet die Staatsanwaltschaft. Ihm den Zapfenstreich zu verwehren wäre jedoch zuviel des Guten gewesen.

Das Exempelaber ist bereits statuiert und an Wulff durchdekliniert: Wo hören Freundschaftsdienste auf und wo fängt Bestechlichkeit an. Wenn diese Lehre gezogen ist, dann hat die Affäre auch ihr Gutes gehabt. Den Großen Zapfenstreich für Christian Wulff kann das Amt in jedem Fall aushalten.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden