Wenn es nach Paul van Son geht, dann könnte schon in ein paar Jahren der erste Solarstrom über die Meerenge von Gibraltar fließen. Eine Leitung gibt es bereits, und nicht nur das: Der Desertec-Cheflobbyist ist davon überzeugt, dass das Projekt in der nordafrikanischen Wüste auch das deutsche Netz entlasten könnte – anstelle der Windenergie, die über riesigen Trassen ins Atomstrom-abhängige Bayern gebracht werden müsste.
Viele Jahren dachten Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler, darunter der Club of Rome, über ein Wüstenstromprojekt nach. 2009 schlossen sich zwölf Unternehmen in München zur Desertec Industrial Initiative (Dii) zusammen, um die Vision vom Strom aus der Wüste voranzutreiben, darunter die Mün
e Münchner Rück, RWE und Siemens. Bis 2050 sollen 15 Prozent des Energiebedarfs in Europa durch riesige Solarkraftwerke und Windparks in Nordafrika und dem Nahen Osten gedeckt werden. Das Industriekonsortium will selbst nicht bauen, sondern die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessern und Investoren finden.Heute sind 50 Unternehmen an Desertec beteiligt, und ihr Optimismus wurde durch die Umbrüche in Nordafrika nicht gebremst. Im Gegenteil: Die Revolutionen trieben das Projekt eher voran, meint Sons. Die Regierung Ägyptens habe ihm versichert, wie wichtig Desertec für die Entwicklung des Landes sei. In Tunis arbeitet man an einer Machbarkeitsstudie. Marokko will ab dem nächsten Jahr ein 500-MW-Parabolrinnen-Kraftwerk bauen lassen, die Dii berät das Land. Bis Ende 2012 soll die Gesamtplanung für Desertec vorliegen.In Wärme verwandeltDie Desertec-Planer setzen vor allem auf solarthermische Kraftwerke: Parallel aufgestellte Hohlspiegel richten sich nach der Sonne aus und spiegeln das Licht 80-fach gebündelt auf ein Rohr, das die Wärme absorbiert. Darin erhitzen sich Salzschmelzen oder Thermoöle auf fast 400 Grad Celsius. Die Flüssigkeit zirkuliert in Röhren und erhitzt Wasser, dessen Dampf die Turbinen antreibt. Der Vorteil dieser Technik: Sie ist relativ günstig. Und flexibel: Eine Photovoltaikanlage wandelt Sonnenlicht direkt in elektrische Energie, ein solarthermisches Kraftwerk erst in Wärme. Die kann abgezweigt und in riesigen Salztanks gespeichert werden: Die Rohre, in denen das erhitzte Thermoöl fließt, führen durch zwei Tanks, transportieren überschüssige Wärme in einen Salzspeicher, wo sich das Salz auf 390 Grad erhitzt und verflüssigt. Nachts wird die Salzschmelze in einen zweiten Tank gepumpt. Mit der ausgekoppelten Wärme kann das Kraftwerk etwa sieben Stunden weiterlaufen und auch nachts Strom liefern. Aber auch für ganze Tage ohne Sonne gibt es eine Lösung: Der Dampf eines Solarkraftwerks lässt sich leicht mit dem Dampf aus einem Gaskraftwerk koppeln. In der kalifornischen Mojave-Wüste und in Spanien laufen bereits Anlagen.Desertec wird aber auch mit Photovoltaikanlagen experimentieren, wie sie zu Tausenden auf deutsche Dächer gezimmert wurden. Die wandeln das Sonnenlicht direkt: Photonen, kleine Lichtteilchen, erzeugen in Halbleitern wie Silizium Strom, in dem sie einzelne Elektronen aus dem Kristallgitter schlagen und damit Ladungen trennen. An den Kontakten entsteht dadurch Spannung. Die Technik ist alt, aber noch ausbaufähig: Die Freiburger Firma Concentrix etwa stellt Bündellinsen her, die das Sonnenlicht 500-fach konzentrieren und die Solarzellen effizienter machen. Und auch für das Verfahren, Siliziumblöcke in Scheiben zu schneiden, gibt es Alternativen: Für Dünnschichtzellen genügt eine billige Glasplatte, auf die man eine halbleitende Schicht aufdampft. Auch solarthermische Turmanlagen könnten in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Nahe Sevilla gibt es bereits Pilotprojekte: Hunderte Spiegel stehen im Kreis um einen Turm herum und wandern mit der Sonne, sodass das Sonnenlicht auf die Turmspitze gelenkt wird und dort Temperaturen von bis zu 1.000 Grad erzeugt. Wie bei der Parabolrinnen-Technik wird Wasser erhitzt und der Dampf treibt Turbinen an. Nur ist der Wirkungsgrad höher – und die Stromkosten sind geringer.Pipelines wie im MeerBis die erste bayerische Glühbirne mit Strom aus Marokko leuchtet, wird es dennoch dauern. Martin Felder vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung in Stuttgart sieht überhaupt ein großes Missverständnis, was die Erwartungen an Desertec angeht: „In erster Linie dient die Initiative dazu, die Stromversorgung in den Küstenländern zu verbessern“, sagt der Solarexperte. Das Hauptziel von Desertec sei es, einen Markt zu entwickeln und nicht etwa, Europa mit Strom zu versorgen. Erst wenn soviel Strom produziert würde, dass ein Großteil des Bedarfs in den Ländern Nordafrikas gedeckt sei, ließe sich an einen Export nach Europa denken. Und dann finge gleich das nächste Problem an: Um die gewaltigen Strommengen nach Europa zu transportieren, bräuchte es Gleichstromleitungen, die Pipelines ähneln und im Meer verlegt werden. In Europa selbst bräuchte es Trassen quer durch den Kontinent – auch über die Pyrenäen.„Wenn ich sehe, wie viele Probleme wir haben, Netze in Europa auszubauen, dann ist das nur ganz schwer vorstellbar“, sagt Severin Fischer, Energieexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er sieht die Gefahr, dass das Wüstenstromprojekt von der eigentlichen Arbeit ablenkt, die nach der Energiewende in Deutschland bevorsteht. Statt neue Windparks gegen Anwohnerproteste durchzukämpfen, können Politiker auf Desertec verweisen – also auf die Zukunft. Schließlich planen die Desertec-Verantwortlichen für einen Zeitraum von 40 Jahren.Derzeit ist der Solarstrom aus Nordafrika mit etwa 20 Eurocent allerdings noch gar nicht konkurrenzfähig. Vor allem nicht in Nordafrika selbst, wo die Verbraucher deutlich weniger für die Kilowattstunde elektrische Energie bezahlen als in Europa. In Ägypten kostet sie keine fünf Cent. In dem Lichte könnte es sich letztlich wieder lohnen, den Solarstrom nach Europa zu verkaufen. Erweckt Europa allerdings den Anschein, Nordafrika als Energietankstelle zu missbrauchen, wären Bürgerproteste oder gar Anschläge denkbar. Für Desertec ist es von Vorteil, wenn Marokko, Tunesien oder Ägypten demokratisch regiert sind, sagt Experte Fischer. Sein Rat ist dennoch: die Priorität auf Europa setzen und in Nordafrika mit den Regierungen leben, die kommen werden.