Wenn Enoch zu Guttenberg übers Land fährt und an Windrädern vorbeikommt, jagen ihm die Ungetüme jedes Mal einen Schauer über den Rücken. Dann denkt der Vater des Ex-Verteidigungsministers und Mitbegründer des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) an die Schreckensvision in H.G. Wells’ Krieg der Welten: an „ungeheure Dreifüße“, „stählerne Monster“ und „hocheffiziente Geräte zur Vernichtung von Vögeln und Fledermäusen“. Weil in seinem Heimatland Bayern nun auch die höher gelegenen Wälder mit Windrädern „verspargelt“ werden sollen und der BUND dies unterstützt, ist Guttenberg unlängst aus seinem Verband ausgetreten.
Der Wald ist auch heute noch vielen Deutschen heilig. Zugleich werden die Freiflächen für Windkraftanlagen immer knapper. Und um die ehrgeizigen Klimaziele der EU zu errreichen und den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, müssen die Bundesländer eben in die Wälder ausweichen – Brandenburg und Hessen etwa, die bis zu zwei Prozent der Forstfläche für Windparks einplanen. In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern weht der Wind vor allem an den Höhenzügen – und die sind meist bewaldet. Nordrhein-Westfalen will jetzt nachziehen und den Bau von Windrädern im Wald erlauben, um den Anteil erneuerbarer Energien im Mix erheblich zu steigern. An Investoren fehlt es nicht, an Kritikern jedoch auch nicht. Das Landschaftsbild würde verschandelt, für jedes Windkraftwerk Wald in der Größe eines Fußballfeldes abgeholzt und bedrohte Vögel von den Rotoren zerstückelt.
Erschlagen und halbiert
Auf den ersten Blick scheint da auch was dran zu sein: Es müssen Schneisen für Anfahrtswege, Rangierflächen und Reparaturzonen in den Wald geschlagen werden, bis zu 10.000 Quadratmeter groß sind sie pro Anlage. Der Wald wird also in der Tat zerlöchert, zerklüftet, zerschnitten. Die Vorstellung allerdings, dass damit unberührter, womöglich über Jahrhunderte gewachsener Wald in wenigen Wochen verschwindet, wie etwa durch die Brandrodungen im Regenwald, ist falsch: Urwald gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht mehr, der Großteil der Wälder in Deutschland ist Forst, in dem Holz zu wirtschaftlichen Zwecken geschlagen wird. Deswegen plädiert Hermann Hötker, Leiter des Michael-Otto-Instituts für Vogelschutz im Naturschutzbund NABU, dafür, je nach Standort zu entscheiden: Gebiete mit seltenen Vögeln wie Auerhahn oder Schwarzstorch meiden und eher auf industriell genutzte Fichtenforste zurückgreifen.
Doch ob Forst oder alte Wälder: Mit jedem Windrad, heißt es von Seiten der Kritiker, schrumpfe der Bestand. Was wieder nicht ganz stimmt, weil an anderer Stelle Flächen als Ausgleich aufgewertet werden müssen. Anlagenplaner versuchen deshalb, die abzuholzenden Flächen so klein wie möglich zu halten, also Anfahrtswege zu nutzen, die bereits existieren, auf der Rangierfläche Wiesen oder Sträucher anzulegen und, sobald der Turm steht, einen Teil der Baufläche wieder aufzuforsten.
Naturschützer fürchten vor allem um das Leben Tausender Vögel, die von den Rotoren erschlagen oder halbiert werden. Gar nicht einfach ist es für einen Vogel, durch ein sich drehendes Windrad überhaupt durchzufliegen, da die Rotorspitzen Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h erreichen und dort die Verwirbelung auch besonders stark ist.
„Prägende Sichtachsen“
Hat ein Vogel diese Hürde genommen folgt noch eine zweite: Wie bei einem Fön herrscht hinter den Windrädern eine Nachlaufströmung, die „Wirbelschleppe“, die mehrere hundert Meter weit reichen kann. Vögel beginnen sofort zu trudeln und aus dem Luftstrom zu fallen. Meist können sie sich wieder fangen. Bettina Wilkening, und Mitglied im Bundesverband Windenergie BWE, hat das nachgerechnet und verglichen: Es sei in etwas so, als ob ein Fahrradfahrer von einem LKW überholt wird. Haben Vögel das Pech und geraten in die Nähe der Radnabe, zieht sie der Sog ein. „Das gefährlichste bleibt aber der Rotorschlag“, sagt Wilkening.
Greifvögel sind besonders gefährdet, weil sie anders als Gänse oder Singvögel keine natürlichen Feinde haben und ihnen die Furcht vor den fremden Gebilden fehlt. Außerdem sind sie leichter abgelenkt, wenn sie in der Luft kreisen und den Boden nach Beute absuchen. Seit zehn Jahren trägt die Vogelschutzwarte Brandenburg die Meldungen toter Vögel an Windkraftanlagen zusammen. Demnach erwischt es im Vergleich zur Bestandsgröße besonders oft den Rotmilan (168 Funde), gefolgt vom Mäusebussard und dem Seeadler. Belastbare Fundzahlen für den deutschen Wald insgesamt fehlen.
Wilkening hält den Bau von Windrädern im Wald dennoch für vertretbar, nur vor dem Bau am Waldrand rät sie ab, weil dort, im Schutz der Bäume und trotzdem nah an der Futterquelle auf den Äckern oder Feldern, besonders viele Vögel nisten. Inmitten der Wälder sollten die Windräder sehr hoch errichtet werden, damit eine möglichst große Freizone zwischen den Wipfeln und dem untersten Punkt eines Rotorenblatts entsteht. Welche Bedeutung diese Zone für das Leben von Vögeln oder Fledermäusen hat, die sich in unterschiedlicher Höhe herumtreiben, haben Biologen allerdings kaum erforscht.
Fledermäuse
Ökologen, Statistiker und Ingenieure aus Deutschland und der Schweiz haben zumindest untersucht, wie sich das Risiko von Fledermäusen, mit einem Windrad zu kollidieren, minimieren lässt. Sie wählten 66 Windräder aus der gesamten Republik aus und beobachteten, wann und wie oft sich die Fledermäuse den Windrädern näherten, maßen mit Detektoren die Ultraschallrufe der vorbeifliegenden Tiere und suchten nach toten Tieren am Fuße der Anlagen.
Das Ergebnis: Fledermäuse waren vor allem im ersten Viertel der Nacht aktiv, im ganzen Jahr betrachtet vor allem im Juli und August. An manchen Anlagen starben in einem Jahr mehrere Dutzend Tiere. Die Forscher empfehlen deswegen, zu den Stoßzeiten der Fledermäuse die Anlagen einfach abzuschalten, zumal die Fledermäuse meist ausfliegen, wenn nur ein schwaches Lüftchen weht.
Es gilt also, große Rücksicht zu nehmen, wenn in den nächsten Jahren zunehmend Windkraftanlagen im Wald aufgestellt werden. Verstecken lassen sich die Windräder aber selbst mit strengeren Auflagen nicht. Enoch zu Guttenberg wird sich daher weiter „um die prägenden Sichtachsen, die großen Perspektiven unseres Landschaftsbildes“ sorgen. Und ärgern, über die sich „drehenden Gipfelkreuze“.
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