Katharina Schulze wird noch ein paar Tage brauchen, um zu realisieren, was da in München gelungen ist. Was ihr gelungen ist. Am Sonntag haben sich die Münchner in einem Bürgerentscheid mehrheitlich gegen den Bau der dritten Startbahn auf dem Flughafen ausgesprochen. Und damit dem Milliardenprojekt eine Abfuhr erteilt.
Solch eine Wendung war im Herbst 2011 noch alles andere als gewiss. Schulze und ihre Mitstreiter zweifelten damals: Wann hatte ein Bürgerentscheid gegen ein Großprojekt zuletzt Erfolg? Kann man gegen die Politprominenz bestehen, die mit einem Vielfachen des eigenen Budgets aufwarten würde? „Im vergangenen Herbst wurden wir noch verlacht“, sagt die 27-jährige Grünen-Chefin in München. „Das interessiert doch eh keinen“, habe sie damals oft gehört. Auch diejenigen, die in der Nähe der geplanten Startbahn leben, reagierten skeptisch. Manche Freisinger und Erdinger hielten die Sache für ein taktisches Spiel von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Andere wollten nicht einsehen, dass ausgerechnet die Münchner über den Bau der dritten Startbahn abstimmen – während sie als Anwohner das nicht durften.
Aber Katharina Schulze, selbst in Herrsching im Münchner Umland aufgewachsen, konnte die Stimmung drehen. „Sie ist sehr ansteckend in ihrer Begeisterung“, sagt Helga Stieglmeier, Sprecherin des Bündnisses „Aufgemuckt“, in dem sich Initiativen aus dem Umland versammelt haben. Schulze hat die Treffen der Freisinger besucht, deren Aktionen unterstützt, Fotos im Netz eingestellt, hier gelobt, dort angetrieben. „Sie hat ein halbes Jahr praktisch nichts anderes gemacht“, sagt eine Mitstreiterin. „Allein 20 Prozent der Unterschriften für den Bürgerentscheid hat sie selbst gesammelt.“
Mit ihrer unbeschwerten direkten Art hat sie es aber auch geschafft, so unterschiedliche Gruppen im Bündnis zusammenzuhalten wie die Katholische Landjugend und den Münchner Ableger der britischen Aktionsgruppe Plane-Stupid. „Ich bin ein Kampagnenmensch“, sagt Schulze über sich selbst.
Schon als Kind konnte sie sich über die Ungerechtigkeiten in der Welt aufregen. Als Jugendliche war sie Schülersprecherin, später engagiert sie sich im Bund Naturschutz und in der Münchner Aidsstifung, studiert Politologie, Psychologie und interkulturelle Kommunikation an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Nach einem USA-Aufenthalt entscheidet sie sich, zu den Grünen zu gehen. In Michigan hatte sie Wahlkampf für die Demokraten gemacht und dabei eines gelernt: Optimistisch zu sein. Aber auch, wie man eine richtige Kampagne aufzieht. Das half ihr, als sie sich 2010 gegen die Olympia-Bewerbung Münchens einsetzte. Mit diesem Thema landet sie ihren ersten großen Coup: Auf dem Bundesparteitag der Grünen in Freiburg überzeugt sie mit einer kämpferischen Rede die Mehrheit der Delegierten von ihrer Position. Und brüskiert damit nicht nur Grünen-Chefin Claudia Roth, die bis dahin im Bewerbungskuratorium gesessen hatte, sondern auch die elf grünen Münchner Stadträte, die ebenfalls für die Olympiabewerbung eingetreten waren. Das ist für das grüne Establishment dann doch zuviel. Katharina Schulze wird aufgefordert, nicht mehr als Grünen-Vorsitzende in München anzutreten. Aber sie lässt sich nicht einschüchtern. Schulze tritt an – und gewinnt.
Den Entschluss, sich gegen den Bau der dritten Startbahn einzusetzen, fasst sie in der Universitätsbibliothek, als sie für ihre Promotion Bücher über Klimaschutz wälzte. Jetzt muss sie was tun, denkt sie sich. Der geplante Flughafenausbau war das perfekte Symbol für Klimaschutz und Wachstumswahn. „Immer schneller, höher, weiter – das können wir nicht“, sagt Schulze. „Und das wollen die Leute auch nicht.“
Das hat sich schon im Vorfeld der Olympiabewerbung angedeutet. Der mangelnde Rückhalt in der Bevölkerung wird von vielen als Grund für die Nichtvergabe gesehen. Die Eskalation um Stuttgart 21 hat die Skepsis gegenüber Großprojekten vollends offenbart. Nun setzt der erfolgreiche Bürgerentscheid in München eine neue Marke. Denn anders als in Stuttgart, wo sich noch eine knappe Mehrheit für den Bau des neuen Bahnhofs ausgesprochen hatte, fand sich jetzt eine Mehrheit gegen den Flughafenausbau. Der 17. Juni stellt daher eine Zäsur dar: Ein Sieg der direkten Demokratie, der zukunftsweisend sein dürfte. Bei Politikern und Unternehmen könnte nun ein Umdenken einsetzen, dass sich milliardenschwere Prestigeprojekte nicht mehr gegen den starken Widerstand in der Bevölkerung durchdrücken lassen. Und Investitionen eher danach ausgerichtet werden, was Bürger wirklich brauchen. Weniger ist manchmal mehr, so könnte die Erkenntnis lauten.
Schulze war selbst überrascht über das Engagement der Münchner, die das Thema zu ihrem machten und in großer Zahl an die Urnen gingen. Dass Unterstützer die Woche vor der Abstimmung extra Urlaub nahmen, um Wähler zu mobilisieren und vor der Staatskanzlei zu zelten. Von politischer Resignation keine Spur. „Für mich ist das einfach toll zu sehen, dass man sowas aushebeln kann.“
Die Staatsregierung hat angekündigt, dass sie an dem Flughafenausbau festhalten will. Dass es wirklich dazu kommt, glaubt Schulze nicht. Die Stadt habe ein Vetorecht in der Gesellschafterversammlung, die über den Bau entscheide – und Oberbürgermeister Ude wolle davon Gebrauch machen. Sollte das Projekt aber dennoch vorangetrieben werden, droht Schulze mit „Wut“ und „Widerstand“. Darauf, dass sie sich nach dem intensiven halben Jahr erst mal ausruhen werde, dürften sich ihre Gegner nicht verlassen. „Es ist eher so, dass ich aus der Arbeit Energie schöpfe.“
Den Entschluss, gegen den Ausbau zu kämpfen, fasste die 27-jährige Chefin der Münchner Grünen, als sie in der Unibibliothek Bücher über den Klimaschutz las. Jetzt muss ich was tun, dachte sie
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