Verbotene Liebe

Allein Eigentlich sind sich SPD und Linke in vielen Punkten einig, doch wird sich Peer Steinbrück kaum auf Kipping & Co. zubewegen – der Hanseat denkt ideologisch

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Verbotene Liebe

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Für Peer Steinbrück hat sie nur einen Satz übrig. Es ist kurz nach 12 Uhr an diesem Montag, Katja Kipping steht zusammen mit ihrem Co-Parteivorsitzenden Bernd Riexinger auf einer Bühne vor dem Kanzleramt. „Guten Morgen“, begrüßt die Linken-Chefin die etwa drei Dutzend Senioren, die ihr zuhören, wie sie der Regierung Betrug vorwirft und eine Angleichung der Renten in Ost und West fordert. Die SPD sei in der Sache kaum besser, sagt Kipping. „Die hat ja jetzt auch einen Kanzlerkandidaten – oder soll ich sagen: Vizekanzlerkandidaten?“ Eine kleine Spitze, mehr nicht.

Eigentlich hätte Kipping allen Grund, beleidigt zu sein. Sie hat es geschafft, ihre Partei dazu zu bringen, sich für eine Regierungsbeteiligung im Bund zu öffnen und die Bedingungen dafür auf ein Maß herunterzuschrauben, das Verhandlungen nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein riskantes Unterfangen, zumal die Linke an dieser Frage auf ihrem Parteitag in Göttingen noch fast zerbrochen wäre.

Gedankt wurde Kipping das aber nicht: Steinbrück war noch nicht mal offiziell als Kandidat bekanntgegeben worden, da hatte er schon eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen. Und das, obwohl sich auch die SPD in ihren Oppositionsjahren nach links bewegt hat. Nach und nach hat die Partei ihre marktfreundlichen Positionen relativiert, sich für die Vermögenssteuer und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes ausgesprochen, für Mindestlohn, Transaktionssteuer und nun für eine Reform der Rente, auch wenn die genaue Ausgestaltung noch aussteht.

Kein Politikwechsel

Noch nie waren sich SPD und Linke so nah wie heute – zumindest was die Inhalte angeht. Und trotzdem ist ein Politikwechsel nach links in weite Ferne gerückt.

Das hat vor allem mit dem Kandidaten Peer Steinbrück zu tun. Seine persönliche Ablehnung resultiert aus seiner Zeit als Referent an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, wie sein Biograf Daniel Goffart schreibt. Damals besuchte Steinbrück auch das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen. Die Eindrücke festigten sein Bild der DDR als ein System, in dem die Menschenwürde verachtet wird. Seitdem gehe er gegen jeden Versuch von „Sozialismusverklärung und DDR-Nostalgie“ an. Die Linke als normale Partei zu betrachten, die 22 Jahre nach der Wiedervereinigung ihre Vergangenheit in großen Teilen kritisch betrachtet, fällt ihm schwer.

Wichtiger noch dürfte ein anderer Punkt sein: Steinbrück und die Linke trennen Gräben in der ideologischen Grundausrichtung. Steinbrück fährt trotz der Beschlüsse seiner Partei einen eigenen Kurs, verteidigt die Agenda 2010 und lehnt nach wie vor eine Vermögenssteuer ab, genau wie die Forderung der Parteilinken, das Rentenniveau nicht weiter zu senken.

Dahinter steckt seine Überzeugung, dass sich die Partei stärker um Aufstiegswillige kümmern muss, um Mittelständler, Existenzgründer und Facharbeiter. Die SPD sieht er weniger als Umverteilungs- denn als Wertschöpfungspartei. Klar, dass er die Linke als Gegner sieht.

Was heißt das nun für die Linke selbst? Muss Kipping angesichts der neuen Situation nicht befürchten, dass die alten Kämpfe in der Partei entlang der zwei Lager wieder aufflammen? Muss sie nicht gar einsehen, dass es nichts bringe, sich auf die SPD zuzubewegen? Muss sie sich damit zufrieden geben, dass die Linke eine Protestpartei ist – und diejenigen, die auf Frontalopposition und Systemwechsel setzen, am Ende doch Recht haben?

Kipping wählt den umgekehrten Weg. Sollte es eine Versuchung gegeben haben, auf die Zurückweisung beleidigt zu reagieren und den Kandidaten frontal anzugreifen, so hat sie ihr widerstanden.

„Wir sind ja nicht bei Verbotene Liebe“, sagt Kipping, die inzwischen von der Bühne herabgestiegen ist, während sich die Versammlung aus Fahnenträgern und Senioren vor dem Kanzleramt auflöst. „Es geht nicht um eine Politikheirat, sondern um die politischen Inhalte.“

Deswegen sei sie bereit, auch unter einem Kanzler Steinbrück eine rot-rot-grüne Regierung zu bilden. Entscheidend sei nicht der Kanzlerkandidat, sondern das Programm. Und hier sehe sie Schnittmengen. Gleichzeitig forderte sie die SPD auf, sich von „kindischen Abgrenzungsritualen“ zu lösen.

Von ihrer Partei bekommt sie dafür Unterstützung – keine Selbstverständlichkeit nach den heftigen Debatten vor ein paar Monaten. „Wir machen das ja nicht zum Null-Tarif“, sagt Kipping. „Nicht als Andienerei, sondern als nach vorne gerichtetes Reformprogramm.“

Selbst von Sahra Wagenknecht, der Vizechefin der Linken, sind neue Töne zu hören: „Wenn die Inhalte stimmen – etwa die Wiederherstellung der gesetzlichen Rente, Verbot von Leiharbeit, ein Mindestlohn von zehn Euro und eine Vermögenssteuer – dann werden wir uns nicht verweigern.“ Aber, schränkt sie ein, „Steinbrück hat sich ja bereits festgelegt, dass er die Banken lieber gemeinsam mit der FDP regulieren will.“ Auch Gerhard Schröder sei 1998 mit einem relativ linken Wahlkprogramm Kanzler geworden, erinnert Wagenknecht. Steinbrück, der Schröder als Vorbild für seinen Wahlkampf bezeichnet hatte, könnte einen ähnlichen Weg einschlagen.

Der Schachzug ist wohl durchdacht: Indem die Linke sich der SPD anbietet, wirft sie das Licht auf die Kluft zwischen Steinbrück und seiner Partei. Will die SPD ihr linkes Programm ernst nehmen, dann muss sie dem Wähler erklären, warum ihr Kanzlerkandidat eine Koalition mit der Linken ausschließt, nicht aber eine mit der FDP.

Wahlkampfthema Rente

Im Wahlkampf könnte die Linke von dieser Ungereimheit profitieren. Kein Wunder, dass die Parteispitze nun einen besonderen Schwerpunkt setzt: „Die Linke wird die Rente zum zentralen Thema des Wahlkampfs machen“, verkündete Bernd Riexinger auf der Veranstaltung vor dem Kanzleramt. „Große Teile der zukünftigen Generation werden eine Rente kriegen, von der sie nicht leben können.“ Zur Gegenfinanzierung des Parteimodells für höhere Altersbezügen will er paritätische Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Die Linke hat das Thema auch gewählt, um daran – für den Wähler sichtbar – zu testen, wie ernst es die SPD mit „sozialer Politik“ meint. Gerade streitet diese über ihr Konzept: Die Parteilinke kämpft gegen das Ansinnen Steinbrücks, das Rentenniveau auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns zu senken, wie es 2004 unter Schröder beschlossen wurde. Steinbrück wisse ja nicht mal, ob er Rentnern steigende oder sinkende Renten versprechen könne, stichelte Kipping jüngst in einem Interview im Hamburger Abendblatt.

Denn trotz aller Avancen und der Betonung auf die Schnittmengen beider Parteien in den Programmen ist der Kanzlerkandidat auch ein willkommener Gegner. „Steinbrück ist Programm: Er steht zur Agenda 2010 und damit für Niedriglöhne und Armutsrenten, er steht in keiner Weise für einen Politikwechsel“, sagt Wagenknecht. Sollte auch Steinbrück für die SPD eine Wahlniederlage einfahren, hoffe sie darauf, dass in dem Fall jemand aus dem linken Parteiflügel an die Spitze komme.

Neben der Bühne spricht auch Kipping sich Mut zu. Eine Gefahr will sie nicht darin erkennen, dass mit der Festlegung auf Steinbrück die Linke auf lange Sicht ohne Machtperpektive dastehen könnte. „Steinbrücks politische Halbwertszeit wird möglicherweise sehr kurz sein – soviel wie er ausgeschlossen hat“, meint Kipping. Denn nicht nur gegen eine Koalition mit der Linken hat sich der Kandidat verwahrt. Er weist es auch weit von sich, in einer großen Koalition nur Minister zu werden.

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