Im Morgengrauen fuhren die Mannschaftswagen der Polizei vor die Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sieben Wochen lang hatten Studenten das Audimax besetzt. Und auch nicht eingelenkt, als LMU-Präsident Bernd Huber anbot, über die Höhe der Studiengebühren und mehr Mitsprache für die Studenten zu reden. Die Besetzer ließen sich selbst dann nicht vertreiben, als niemand mehr in das Gebäude gelassen und die Versorgung mit Lebensmitteln zu unterbinden versucht wurde. Erst am 28. Dezember 2009 gaben die Studenten auf. Die 22 übriggebliebenen Besetzer wurden von der Polizei einzeln aus dem Audimax geführt.
Wie in München hatten Studenten auch in etlichen anderen deutschen Städten die Hörsäle besetzt – der Gipfe
der Gipfel eines der größten Bildungsproteste in Deutschland seit Jahren. Schon im Juni hatten Hunderttausende Studenten und Schüler demonstriert. Der Grund für ihren Unmut: Die Einführung von Studiengebühren, die Probleme der Bachelor/Master-Studiengänge, mangelnde Mitspracherechte sowie schlechte Lern- und Studienbedingungen. Anfang 2010 ebbte der Widerstand nach und nach ab. Doch wie ging es weiter?Bachelor und MasterAuf dem Höhepunkt der Bildungsproteste im Herbst 2009 versprachen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und die Kultusminister der Länder, die Uni-Reformen nachzubessern. Im Februar 2010 einigten sich die Länderressortchefs auf neue Richtlinien. Das Ziel: die Arbeitsbelastung für die Studenten senken. Die soll durchschnittlich nur noch 25 bis 30 Stunden pro Woche umfassen. Auch die Zahl der Module soll verringert werden, um mehr als sechs Prüfungen im Semester zu verhindern. Um Leistungspunkte zu erhalten, muss in Zukunft auch nicht mehr zwingend eine Prüfung am Ende des Semesters abgelegt werden. Wer zudem seinen Studiengang oder seine Uni wechseln will, der soll das nach dem Willen der Kultusminister ohne Probleme tun können: Die Unis müssen künftig die Module anerkennen, die der Student bereits absolviert hat.Politikprofessor Peter Grottian von der FU Berlin kritisiert jedoch, dass die Kultusminister die Verantwortung einfach auf die Universitäten abgeschoben haben. Da sie nur Strukturvorgaben gemacht haben, bleibe offen, ob die Universitäten diese auch umsetzen.Einen Erfolg der Bildungsproteste sieht Grottian allerdings: Der Bachelor in nur sechs Semestern sei heute kein Thema mehr. „Dieses unsinnige Kurzstudium ist so diffamiert, dass es mittelfristig nicht mehr umgesetzt wird.“ Erst der Bildungsprotest habe eine Ausweitung auf acht Semester auf die Agenda gesetzt.Auf mehr Widerstand stoßen die Studenten mit der Forderung nach einem freien Master-Zugang für alle. Zwar bekamen sie Unterstützung von Annette Schavan – vor den Protesten war sie noch dagegen gewesen. Doch das Sagen haben in dem Punkt die Kultusminister. Und die bleiben stur.Soziale SituationDie soziale Situaton der Studenten hat sich seit den Bildungsprotesten kaum geändert. Ob sie sich durch die Schnellschüsse der Bildungspolitiker verbessert, ist ebenfalls fraglich. Die finanzielle Belastung ist jedenfalls für die meisten Studenten nicht geringer geworden.In fünf Bundesländern zahlen Studenten allgemeine Studiengebühren. Abgeschafft wurden die in Hessen – im Jahr 2008 durch eine rot-rot-grüne Parlamentsmehrheit. In Nordrhein-Westfalen will Rot-Grün die Studiengebühren zum Wintersemester 2011 abschaffen, doch wie lange die Minderheitsregierung noch hält, ist ungewiss.Für die Studenten, die Studiengebühren zahlen, wird die rückwirkende Erhöhung des BAFÖG in der vergangenen Woche um 13 Euro wohl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Nur für knapp 10.000 Studenten soll es ab 2011 eine Erleichterung geben: Im Juli beschloss der Bundestag ein Gesetz, nach dem die leistungsstärksten Studenten künftig Stipendien in Höhe von 300 Euro pro Monat bekommen sollen.StudienbedingungenWenn Studenten mit den Studienbedingungen nicht mehr zurecht kommen, ist Bernd Nixdorff einer der ersten, die das merken. Nixdorff koordiniert die psychologische Beratung an der Universität Hamburg. Sein Urteil: „Wir haben eine gravierende Zunahme an Neuanmeldungen.“ Um 22 Prozent sei die Zahl der Studenten gestiegen, die im Jahr 2009 erstmals mit psychischen Problemen zur Beratung kamen – und zwar verglichen mit dem Mittelwert der Jahre 2000 bis 2008. Die Probleme der Studenten hätten sich durch die Bildungsreformen gründlich gewandelt, so Nixdorff: Litten die Studenten früher noch unter Strukturlosigkeit, ist es heute die Verschulung.Die Einführung der Bachelor/Masterstudiengänge sei allerdings nur ein Grund für den Anstieg, vermutet der Psychologe. Hinzu kommen die Arbeitsmarktsituation und die höheren Berufsanforderungen. Der eigentliche Arbeitsaufwand sei durch die Bachelor-/Master-Umstellung insgesamt nicht drastisch gestiegen. Zu dem Ergebnis kommt auch der Pädagoge Rolf Schulmeister in einer aktuellen Studie: Durchschnittlich investiere ein Student 26 Wochenstunden in sein Studium. Nixdorffs Urteil: „Das subjektive Stresserlebnis ist größer.“ Und das habe wiederum zu tun mit der Anwesenheitspflicht sowie dem Druck, vom ersten Semester an gute Noten bekommen zu müssen, um für den Master zugelassen zu werden.Neue Proteste?Nach den heftigen Bildungsprotesten 2009 ist es in diesem Jahr wieder ruhiger geworden. Florian Keller, Vorstand der Studen-tenorganisation fzs, geht davon aus, dass im Frühjahr wieder demonstriert wird. „Die Proteste gehen weiter, da bin ich mir ziemlich sicher.“ Insgesamt sei die Reform der Reform nicht weit genug gegangen. Studienwillige könnten es sich nach wie vor oft nicht leisten zu studieren und die Universitäten würden weiter nach der Verwertungslogik ausbilden.So optimistisch wie Keller ist Peter Grottian nicht, was die Fortsetzung des Bildungsprotests angeht. „Es reicht nicht aus, einfach nur Protest zu machen“, sagt der Politikprofessor. Er ist einer der wenigen Hochschullehrer, die den Bildungsprotest weiter aktiv unterstützen. Doch Grottian zweifelt, ob der Protest erfolgreich fortgesetzt wird: „Der Bildungsprotest steht auf der Kippe.“ Den Studenten, Lehrenden und Gewerkschaften fehle eine gemeinsame Grundlage.Allerdings könnte der Widerstand neuen Schwung bekommen, wenn im Winter Länderhaushalte verabschiedet werden. Angesichts der Schuldenbremse rechnet Grottian fest damit, dass in der Bildung weiter gespart werde.