Brauchen wir den Feminismus noch?

Feminismus Ronja von Rönne individualisiert ein strukturelles Problem: Der Feminismus habe sich selbst überwunden. Frau muss nur wollen, dann klappts auch mit der Karriere.

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Am 08.08.2015 hat einer meiner virtuellen Freunde auf Facebook den WELT.de-Artikel “Warum mich der Feminismus anekelt” von Ronja von Rönne gepostet. Ich kommentierte daraufhin, für einen Mann mache es sich nicht gut, einen intellektuell so unterirdischen, antifeministischen Artikel weiterzuverbreiten.

Seine provokante Frage: " Kommt da inhaltlich noch was an Argumenten oder begnügen Sie sich damit, die Autorin als ignorant und der WELT ein BILD-Niveau zu attestieren?" erwies sich als geschickter Schachzug. Obwohl ich was anderes zu tun hatte, gab ich dem spontanen Drang zur Ausführung nach:

  • SEUFZ! Mit dieser Provokation haben Sie (Du?) mich. Und damit fängt der Feminismus an. Frauen fühlen sich ad hoc in die Verantwortung genommen. Wäre ich ein Mann, würde ich jetzt lachen und Sie/Dich einfach wegklicken. Eigentlich habe ich nämlich keine Zeit. Aber Ihre (nein, ich bleibe jetzt beim Du), Deine Frage löst bei mir einen spontanen Drang zur Überzeugungsarbeit aus.

    Womit wir, OT, bei der Wertung wären: Ja, ich gebe es zu, männliches Verhalten hat eindeutig manchmal seine Vorteile, und Frauen können sich davon eine Scheibe abschneiden. Aber darum geht es ja hier nicht. Es geht um ARGUMENTE.

    Also: Die Autorin Ronja von Rönne leitet ihren geistigen Tiefflug mit der Feststellung ein, sie sei keine Feministin, sondern Egoistin. Allein an diesem Scheinwiderspruch könnte ich mich jetzt länger aufhalten, weil er so sinnfrei daherkommt und weil von Rönne sich selbst später so fulminant darin verheddert. Aber lassen wir das und gehen weiter: Sie brauche den Feminismus nicht, sagt sie. Na, schön für sie. Aber warum ekelt er sie an? Sie beruft sich auf unsere – weibliche – Bundeskanzlerin, um zu belegen, dass Frauen an die Macht kommen können (frau muss nur wollen!). Also: Alle gleichberichtigt, alles gut? Hm. Hat von Rönne mal die Gleichsstellungsdebatte gegoogelt? Nee, wahrscheinlich nicht. Der letzten Einkommensstatistik zufolge verdienen Frauen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer, und das bei gleicher Arbeitsleistung. Aber wahrscheinlich nimmt von Rönne sich selbst als Nabel der Welt: Bei mir stimmt alles, also stimmt es für alle andern auch. Oder?

    Welche Art von Journalismus ist das denn? Schreiben über sich selbst? Da fehlt mir doch der Blick über den persönlichen – in diesem Fall sehr privilegierten – Tellerrand. Extrem unsympatisch wird mir von Rönne, wenn sie – ultraliberal – mit dem Markt argumentiert: „Wenn Firmen ihre Produkte mit nackten Frauen bewerben, halte ich das für gerechtfertigt, offensichtlich gibt es ja den Markt dazu.“ Ja, schön. Offenbar ist sie ein FDP-Girlie oder zumindest im (elterlichen?) wirtschaftsliberalistischen Geist aufgewachsen. Ich übrigens auch. Aber mein Blick über den Tellerrand hat mir ziemlich früh gezeigt, dass es auch andere Lebensverhältnisse gibt als meine eigenen, privilegierten. Und dass mein Wohlsein auf dem Unwohlsein anderer Menschen aufgebaut ist. Wer kapitalistisch argumentiert, ist niemals Feministin!

    Ob jetzt der Kapitalismus der Hauptwiderspruch ist und die patriarchalen Verhältnisse der Nebenwiderspruch – oder umgekehrt, sei mal dahingestellt. Aber wer sich ernsthaft mit der Rolle der Frau in der Menschheitsgeschichte beschäftigt, der kommt ziemlich schnell an die großen Themen wie unser Wirtschafts- und Geldsystem, unser gesellschaftliches Rollenverhalten (s. oben) und unsere Sexualität, eine der fundamentalsten menschlichen Ausdrucksformen.

    Spätestens jetzt müsstest Du merken, dass es beim Feminismus keineswegs um eine individualistische, egoistische Ich-für-mich-Bewegung geht und auch noch nie ging, wie Ronja von Rönne das irrtümlich annimmt (unerträgliche Unwissenheit der Historie!). Nur deshalb kann sie so erbärmliche Sätze wie diese hier von sich geben: „Früher hat sich der Feminismus doch durchgesetzt, weil die Frauen, die mürrisch auf die Straße gingen, selbst betroffen waren. Sie kämpften nicht für eine obskure dritte Instanz, sondern für sich selbst. Mittlerweile ist der Feminismus eine Charityaktion für unterprivilegierte Frauen geworden, nur noch Symptom einer Empörungskultur, die sich fester an die Idee der Gleichheit klammert als jedes kommunistische Regime.“

    HÄ? Von Rönne scheint über ihr Glück über einen gut dotierten Job bei WELT.de die Ernsthaftigkeit vergessen zu haben. Sonst müsste sie – neben vielem anderen – auch mitgekommen haben, dass seit mindestens 30 Jahren Feministinnen nicht mehr an Birkenstocks zu erkennen sind. Ich jedenfalls habe noch nie welche besessen, ich stehe auf Highheels. Diese Art der Provokation ist ärgerlich, weil so durchschaubar. Von Rönne will ihren Job behalten, da muss sie schon zu solchen Keulen greifen. Wobei die Keulen in ihrem Fall gar keine Provokationen sind. Oder nur scheinbare. Von Rönne spricht aus, was die Typen bei WELT.de denken. Sie ist absolut mainstream. Die einzige Provokation besteht darin, dass sie als Frau die Argumente der Männer übernimmt. Das gab es aber immer schon. Das ist ganz alt. Ich könnte jetzt die Juden anführen, die geholfen haben Juden zu verfolgen, oder Schwarze, die Schwarze hassen (böse, böse!) Von Rönne tut genau das, was sie dem Feminismus vorwirft: Sie kämpft um Aufmerksamkeit. Das ist es, was ihren Artikel so ärgerlich macht. So sinnfrei. Im Zentrum steht bei ihr die Karriere. Am besten die eigene. Die soll beweisen, dass der Feminismus ausgedient hat.

    Na, Prost Mahlzeit!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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