Die Tür zur Synagoge von Halle

Böse Signalwirkung Ein geplantes Blutbad hat nicht geklappt, zwei willkürlich ausgeguckte Personen müssen sterben.

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Erst gestern Abend lese ich im Smartphone von dem Zweifachmord in Halle.

Wenn ich viele Quellen zusammennehme, ergibt sich für mich folgendes Bild:

Ein Schwertbewaffneter in Kampfanzug und mit Stahlhelm versucht gegen Mittag, in die Synagoge einzudringen. Dort feiern gerade 70-80 jüdische Gemeindemitglieder Yom Kippur, was der Versöhnungstag, ähnlich unserem Buß- und Bettag, ist und der abschließende der zehn ehrfurchtsvollen Tage, mit denen das jüdische Jahr beginnt.

Merkwürdigerweise steht die Synagoge von Halle nicht unter Polizeischutz. Ihre Tür hält aber auch so: Trotz selbstgebastelten Mollotow-Cocktails und anderem schweren Geschütz kommt der Täter nicht rein. Daraufhin erschießt er eine Frau auf offener Straße vor dem jüdischen Friedhof und flieht vor den inzwischen herbeigerufenen Polizisten in einem Mietwagen. Offensichtlich frustriert, weil die geplante Massenhinrichtung à la Breivik in der Synagoge nicht funktioniert hat, ballert er etwa eine Stunde später zuerst mit einer Schrotflinte, dann mit Maschinengewehr in einen Dönerladen. Ein Mann stirbt sofort, zwei weitere werden angeschossen und können später medizinisch versorgt werden.

Offener Antisemitismus in Deutschland - und ich muss an die Holocaust-Überlebende Ilse Falkenstein-Rübsteck denken, die ich noch für mein Buch Lass uns über den Tod reden interviewen durfte. Da sagt sie: "Der Antisemitismus ... ist schon immer dagewesen, und er wird nie verschwinden. ... Ich habe schon sehr früh die Erfahrung gemacht: Jüdischsein ist immer auch ein Bedrohtsein. Wie eine dunkle Ahnung - als würde man von Anfang an wissen, worauf das einmal hinausläuft."

Seine Heldentaten hat der Täter mit der Helmkamera dokumentiert. Er kommentiert sie auf Deutsch und Englisch, wohl für die internationale Rechtsextremistenszene. Nicht auszudenken, wenn er die Tür aufbekommen hätte ... Die Hallener Bürger, wie auch die Leipziger und die Dresdener, müssen nach dieser Katastrophe den Megaparties zur 30-jährigen Wiedervereinigung einen deutlichen Akzent hinzufügen, um den Anfängen, die gar keine Anfänge mehr sind, etwas entgegenzusetzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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