Direktsaft

Reingefallen Was nicht schmeckt, ist nicht immer gesund

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Keine Ahnung, wie die Fachkraft von Alnatura das angestellt hat, jedenfalls liegt das Zeug plötzlich in meinem Warenkorb und schon auf dem Weg zur Kasse zweifle ich, ob ich es trinken werde. Es kostet 18 Euro, was mir für so ein kleines Fläschchen ziemlich viel vorkommt.

Wahrscheinlich hat sie die Tun-Sie-sich-doch-mal-was-Gutes-Platte aufgelegt, für die ich, ihre Durchschaubarkeit übergehend, offenbar empfänglich bin. Das Gute besteht in einer unscheinbaren braunen Flasche, genauer, in 330 ml hundertprozentigem Aloe Vera Saft.

Diese Flasche, verpackt in eine grün-weiße Schachtel, steht anschließend über ein halbes Jahr (es war um Weihnachten rum) am Küchenfenster und macht mir ein schlechtes Gewissen. Das ist wie beim Tabletteneinnehmen, worin ich auch nicht sonderlich gut bin. Gründe: Morgens stets in Eile, muss erst noch die Gebrauchsanweisung lesen, keine Lust auf Neues. Fürchte, die 18 Euro sind zum Fenster rausgeschmissen, nur weil ich aus einem Verkaufsgespräch nicht gerade als Siegerin hervorgegangen bin, noch dazu in einer Produktabteilung, die mich eigentlich nicht im Geringsten interessiert.

Vor zwei Tagen komme ich darauf, das Gute nun endlich auszuprobieren. Dazu eigne ich mir erst mal ganz offiziell die Materie an. Erfahre, dass man die täglich fünfzig Milliliter Direktsaft aus kontrolliertem biologischem Anbau morgens vor dem Frühstück (welches Frühstück?) am besten pur oder noch besser mit gutem (!) Mineralwasser oder Fruchtsaft vermischt trinken soll.

Der Hinweis, das Pure zu vermischen, macht mich direkt misstrauisch. Mit Recht. Ich messe zwei Eierbecher ab, nachdem ich mit Wasser überprüft habe, dass diese Menge exakt fünfzig Millilitern entspricht, kippe den ersten runter und setze so spontan, wie man es nur unter Schockwirkung macht, mit Kaffee nach. Der Geschmack findet keine Parallele in meinem bisherigen Geschmacksgedächtnis. Ist einfach nur unbeschreiblich eklig. Muffig. Das trifft es am besten. Ich stelle mir die fetten Kaktusblätter vor und frage mich, welcher Idiot darauf gekommen ist, sie auszupressen, das trübe Wässerchen zu trinken und es einfach mal für gesund zu erklären.

Hat das je einer überprüft? Kann etwas, das so grauenvoll schmeckt, gesund sein?, das ist die zentrale Frage, die mich nun schon den dritten Tag umtreibt. „Der reine Saft der Aloe Vera Pflanze ist schon seit Jahrhunderten in vielen Kulturen als Naturmittel zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens bekannt“, informiert mich so sanft wie ungenau der Beipackzettel, und ich muss an das Einhornpulver denken, von dem meine Großmutter früher erzählte, dass ihr Naumburger Apotheker es seit Generationen zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens im Sortiment führte.

Eine leichte Übelkeit hat mich befallen, seit drei Tagen. Das kann auch an der unerträglichen Hitze liegen, für die mein biologisches System nicht gemacht ist, ich fühle mich matt und mein Hungergefühl ist dauerhaft verschwunden, was auch kein Schaden ist. Draußen klettert das Thermometer auf vierunddreißig Grad, hey, das ist nicht mehr normal, das ist unsere Zukunft, die nicht mehr nur zeichenhaft, sondern ganz direkt auf uns niederbrezelt. Da helfen auch keine Aloe Vera Pflanzen.

Höchstens, dass man sich schon mal auf tropische Gewächse einstellt. Auf ihren Geschmack kann ich mich leider nicht einstellen. Vielleicht mach ich noch ein oder zwei Tage weiter, vielleicht schütte ich den Saft in den Ausguss. Bei der Vorstellung geht es mir direkt besser. Ich weiß nicht, wie die Fachkraft von Alnatura es hält, ich glaube gerne an meine Körperintelligenz. Das was schmeckt, erkenne ich als okay. Das, was grässlich schmeckt, soll mich warnen, noch mehr davon zu nehmen. Muffiges, Bitteres geht ja mal gar nicht! Langfristig könnte es mich direkt vergiften.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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