Fußtritt

Palmers FB-Beitrag Wie gewollte Missverständnisse und Palmer-Bashing den Antisemitismus relativieren

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Samstag.Die jetzt Boris Palmer für sein leider saudummes Geschwätz aus der Partei werfen wollen, sind dieselben, die zu den gegen Israel gerichteten, islamofaschistischen, mörderischen Dauerkampfeinsätzen der Hamas schweigen.

In Folge seines missglückten FB-Posts bzw. Kommentars vom 07. Mai 2021 hat Palmer, soviel ich weiß, zum ersten Mal die jüdische Herkunft seines Vaters thematisiert. Auch der Sohn war von Kindheit an rassistischen Übergriffen ausgesetzt, erlebte die mehr oder weniger verdeckten Angriffe / Verletzungen des Vaters als eigene Angriffe / Verletzungen. Die dicke Decke des Schweigens, die in den Jahrzehnten nach dem Holocaust über dem Land lag und sicherstellte, dass den Deutschen bis zum heutigen Tag der Antisemitismus im tiefsten Gedankengrund, in den Knochen und auf der Zunge liegt, gehörte zu den Grunderfahrungen, die Palmer sozialisiert haben.

Niemand LIEST das! Niemanden INTERESSIERT das. Ob die kalte Schulter der Öffentlichkeit nur der verbalen Entgleisung in dem Kommentar geschuldet ist? Daran darf gezweifelt werden. Eher hat sie mit unserem Leseverhalten, mit unserer Art der Informationsaufnahme in Zeiten der inflationären Informationsflut zu tun. Klick und weg! – schnelles Bewerten, schnelles Urteilen, schnelles Verurteilen ersetzen die ernsthafte Auseinandersetzung mit Texten – und sei es „nur“ ein FB-Beitrag. Anders ist dessen völlig verquere Rezeption nicht zu erklären: Als gäbe es kein anderes Thema, das die Menschheit angeht, wird Palmers verbaler Griff in die Kloschüssel zur Staatsaffaire hochgejazzt bis hin zum lächerlichen Parteiausschlussverfahren.

Was dadurch tatsächlich passiert, ist eine unsägliche Verharmlosung der von ihm in den Kontext von Rassismusvorwürfen gesetzten Judenvernichtung, des sechsmillionenfachen Mordes dank einer technisch perfektionierten Tötungsmaschinerie deutscher Ingenieure, deutscher Ärzte und deutscher Mitläufer.

Totenstille herrscht bei den Grünen und der Linken über die von Palmer gewährten, sehr intimen Einblicke in seine jüdische Herkunft. Es ist dieselbe Totenstille, die über die rechtsradikale Hamas und ihre in der Öffentlichkeit skandierten „Juda verrecke“-Rufe herrscht.

„Palmer raus“ prangt auf dem Titelbild des Spiegel-Artikels: Der grüne Rassist. Auch der Fußtritt gegen eine Palme fehlt nicht und erinnert damit schwer an eine im Dritten Reich kursierende Ansichtskarte. Absicht? Blödheit? Juden raus! war ein Ende 1938 bei Günther &Co. in Dresden erschienenes antijüdisches Brettspiel aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Spiegel kann stolz sein auf sein Nazi-Zitat.

Off Topic: Die schwarzen Stiefel der Palmer-raus-Schreier …

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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