Inschallah - Das Haus an der Moschee

Das Drama des Iran Mit der Familie eines frommen und einflussreichenTeppichhändlers durch die letzten sechzig Jahre iranischer Geschichte

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Das Haus an der Moschee von Kader Abdohlah ist ein wunderschöner Roman, der die Leserin in eine Welt der Poesie, der Entschleunigung und der blühenden Safranfelder entführt.

Am Beispiel einer frommen und einflussreichen Familie - oder eines alten Hauses, was in dem Fall auf das gleiche herauskommt -, zeigt er sowohl die gegenseitige Faszination als auch den tiefen Graben zwischen morgenländisch islamischer und christlich geprägter, abendländischer Kultur auf. Männer, die von Frauen gewaschen und angezogen werden, die die Nägel geschnitten und das Essen mundgerecht gereicht bekommen, stehen Frauen gegenüber, die noch nie über eigenes Geld verfügt und deshalb nie so etwas wie persönliche Bedürfnisse entwickelt haben. Sie verstecken sich hinter dem Bücherregal des Imam, wenn der Hausmeister das Haus betritt, also mehrmals täglich. Sie werden „vom Haus“ versorgt: Mit Essen und Kleidern, was braucht eine Frau auch mehr?

Staunend erfahren wir von abergläubischen Ritualen, die die Menschen dumm halten, und von solchen, die die Frau noch dümmer als dumm halten: Zwanzig Jahre lang morgens, vor Sonnenaufgang, wenn niemand es sieht, den Gehsteig fegen, und der Prophet Gesr wird ihr erscheinen und sie mit einer kostenlosen Pilgerreise nach Mekka belohnen. Und wenn das nicht klappt: Nochmal zwanzig Jahre fegen!

Das Haus an der Moschee erzählt davon, wie der Islam allmählich unter dem Einfluss der USA (1. Regime-Change) und des Schah-Regimes sein über die Jahrhunderte gewachsenes Gesicht verändert. In der Abwehr der westlichen Weltmacht entsteht im Iran der siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der radikale, politische Islam in Gestalt des Ayatollah Khomeini und seiner Nachfolger.

Endlich versteht man es aus der Innensicht heraus: Wie der achtzigjährige Ayatollah eines Tages aus dem Nichts auf dem Pariser Flughafen auftauchte und die iranische Revolution in die Hand nahm. Er konnte sich auf ein international bestens funktionierendes, zunehmend gewaltbereites Netzwerk verlassen, das ihn als höchste Autorität verehrte und ihm absolut ergeben war. Seine Frau ging stets drei Meter hinter ihm. Die Medien zeigten diesen seltsamen Ayatollah auf dem Teppich hockend und in Richtung Mekka betend. Während seiner Predigten hielt er ein Gewehr in der Hand, überhaupt hielt das Gewehr Einzug in die Moscheen. Seine flammenden Reden gegen Amerika wurden in die ganze Welt übertragen. Die Herzen der iranischen Jugendlichen flogen ihm nur so zu.

Die von Khomeini ausgelöste Revolution brachte keine Freiheit, sondern Blut und Tränen. Nach außen kämpfte der greise Ayatollah gegen die USA und Irak / Saddam Hussein als US-Vasallen (bemerkenswert, wenn man sich dessen Ende in Erinnerung ruft), nach innen gegen die kommunistische Freiheitsbewegung, die ihn anfangs sogar unterstützte, und gegen die Kurden. So viel Schrecken, so viele Hingerichtete – alle ohne Gerichtsverhandlung – gab es nie. (Auf sechs Millionen beziffert Abdohlah sie, eine Zahl, die einen zusammenzucken lässt, weil man ganz andere Tote damit verbindet.) Eine Gehirnwäsche hatte das Land wie eine Virusepidemie befallen. Mütter denunzierten ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder, Söhne ihre Väter. Das Beerdigen der Toten war polizeilich verboten. Hingerichtete galten als unrein, sodass die Angehörigen oft tagelang mit dem Leichnam im Auto durch die Dörfer irrten auf der Suche nach einem heimlichen Bestattungsplatz.

Die fanatische Ideologie erinnert sehr an die des Naziregimes, was die Willkür, die Brutalität und Hierarchisierung des Organisationsapparates betrifft. Zusätzlich war sie antimodern und gegen jegliche Art von Kunst gerichtet. Schreiben, musizieren, malen galten mit dem Einzug des neuen Systems – und gelten in Scharialändern bis heute – als verdächtig, weil individuell und schwer kontrollierbar.

Interessant auch die Rolle der Frauen! Die, die sich komplett dem neuen Religionswahn unterwarfen, hatten plötzlich gute Chancen, zu einiger Bedeutung zu gelangen. Sie quälten die weiblichen Häftlinge in den Gefängnissen, zwangen ihnen durch Folter religiöse Übungen auf und teilten sie den Islamisten zum Beischlaf zu. Die Frauen, die nicht zu Täterinnen werden wollten, blieben am besten unsichtbar wie die Luft. Die schwarze Stoffhülle, der Tschador, trat seinen Siegeszug in den Straßen an, bei den Männern waren es die Bärte.

Die wahren Helden aber waren die im Krieg gefallenen Märtyrer. Das Märtyrertum gab dem Massensterben durch Krieg und ein gewalttätiges Gerichtswesen einen nachträglichen Sinn. Der Dschihad wurde zum inneren Gelobten Land.

Gegen Ende wird das Buch immer trauriger. Es ist der Teil der Geschichte, den man am besten aus der Realität kennt, und man weiß ja, dass die Sache sich nicht mehr zum Guten kehrt:

„Die Zeit stand still für die, die von Leid erdrückt waren, für die, die tot waren und für die, die ihre Toten beweinten. Auch für die, die ihren Garten umgruben, um ihr Leid zu bewältigen, und für die, die in der Küche fromme Speisen zubereiteten, um ihren Schmerz auf Schalen zu verteilen.“ (S. 365)

An keiner Stelle wird der exiliranische Autor Abdolah polemisch oder moralisierend. Glück oder Leid, die Dinge geschehen eben. Inschallah – so Allah will, scheint richtungsweisend über dem ganzen Roman zu stehen. Auch in dem Haus an der Moschee wird es still. Und es wird leer. Viele Protagonisten, die der Leserin ans Herz gewachsen sind, sind hingerichtet worden, geflohen oder befinden sich in Gefolgschaft der neuen Herren. So auch der für all die Hinrichtungen verantwortliche „Richter Gottes“, der einst in das Haus an der Moschee eingeheiratet hat. Für ihn ist kein Platz mehr an der Führungsspitze, als der alte Ayatollah Khomeini langsam sein Gedächtnis verliert. Und so dient er sich den Taliban in Afghanistan an, die gerade dabei sind, ihr islamistisches Regime nach Scharia-Recht zu etablieren.

Alles hängt mit allem zusammen, denkt die Leserin bei sich. Der Kosmos des Hauses an der Moschee ist durch die Geschichte der vergangenen sechzig Jahre heftig gebeutelt worden. Am Ende hinterlässt er einen süßen, melancholischen Geschmack von Vergänglichkeit, aber auch von Ewigkeit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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