Jetzt Hanau

Einzeltäter im Rudel In ihrem Scheitern halten sie unserer Gesellschaft den Spiegel vor.

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Wieder schießt ein Einzeltäter um sich, reiht sich ein in die inzwischen ziemlich lange Liste anderer Einzeltäter: von Kassel, Halle, Berlin, München, Norwegen, Kanada und natürlich den USA. Wieder hinterlässt er ein wirres Manifest, das von Verfolgungswahn, von Verschwörungen, von Geheimdiensten – oder von grenzenloser Verwirrung, sozialer Verwahrlosung, Vereinsamung spricht.
Destruktion ist die Kreativität der Ohnmächtigen. Das ist eine ziemlich alte, nichtsdestotrotz immer wieder unendlich traurige Erkenntnis, mit der die jeweiligen Täter zwar nichts mehr anfangen können, die aber umso mehr Beachtung in der Analyse der Erstarkung der rechtsradikalen Szene finden sollte. Finde ich jedenfalls.
„Verrückter“, „Rechtsradikaler“, „Terrorist“ wird der aktuelle Einzeltäter von den Medien tituliert. Wie unauffällig, wie bürgerlich normal er doch nach außen gewirkt habe, verkünden unisono die Nachbarn, der Pfarrer, die Freunde aus dem Schützenverein. Man kennt das alles schon so gut - auch der Schützenverein gehört immer wieder dazu -, dass man keinen Bock mehr hat, es schon wieder zu hören.
Warum diese Typen, die immer dasselbe Persönlichkeitsschema aufweisen, sich gerne in der Rechtsaußenecke verorten, warum sie so leicht an Waffen kommen, warum niemand merkt, wie von der Rolle sie sind, bevor sie um sich schießen und zu Massen- und Selbstmördern werden, das sind Fragen, die doch auf uns, auf die Gesellschaft zurückfallen. Unsere Leistungs- und Optimierungsgesellschaft lässt zunehmend solche Menschen hinter sich, die nicht mehr mitkommen. Und warum auch – sind sie doch finanziell mindestversorgt, und außerdem finden auch die ihre sozialen Schlupflöcher: Die oft dunkle Parallelwelt des weltweiten Netzes nimmt sie alle auf. Versorgt sie mit „Freunden“, mit Gleichgesinnten noch so abwegiger Gesinnungen. Hauptsache, sie landen irgendwo, denn in der realen Welt landen diese Gescheiterten schon lange nicht mehr.
Folgendes Bild des Hanauers kursiert seit gestern in den Medien: Da sitzt er vor seinem PC, schaut in die Webcam und hinter ihm sieht man ein trostloses, sehr aufgeräumtes Zimmer: Regale mit Aktenordnern, ein Bett, eine Heizung, einen Parka am Wandhaken. Es ist sein Kinderzimmer, denn der über Vierzigjährige lebte noch bei seinen Eltern.
Seit zwei Tagen lassen sich die Medien über seine narzisstische Kränkungen, über seinen Größenwahn, seinen Hass aus.
In seinem Manifest schreibt der Hanauer Täter, er habe noch nie eine Freundin gehabt. Er sei auf der Suche nach „Liebesglück“. Das finde ich einigermaßen ungewöhnlich. Weil dieser Teil kein politisches, sondern ein sehr persönliches Bekenntnis ist. Weiter beklagt er, neben allerlei Krudem, die langjährige Arbeitslosigkeit seines Vaters, der die schmale Rente nun mit Nebenjobs aufbessern müsse. Er sei ein guter Fußballer gewesen, steht auch da. Offenbar doch etwas, worauf er stolz war.
Genau wie der Hanauer, hatte sich auch der Täter von Halle als Looser gesehen, als einen, der es noch nicht mal geschafft habe, gescheite Waffen mit dem 3D-Drucker herzustellen, wie er während seines per Helmkamera mitgeschnittenen Amoklaufes in einer Art Selbstgespräch an die Welt mitgeteilt hatte.
Nicht jeder Frustrierte müsse gleich rechtsradikal werden, schreibt irgendwer irgendwo. Schon klar! Offensichtlich ist es aber so, dass die rechtsradikale Ecke gerade solche Frustrierten anzieht. Was bietet denn diese Szene, was andere Szenen nicht bieten? Gerade für jene, die ausgerutscht sind und abseits der Gesellschaft stehen? Das wäre doch mal eine interessante Frage. Interessanter als die sinnlosen Verdammungen, die sinnlosen Wiederholungen und Betroffenheitsbekundungen, die doch, wenn wir ehrlich sind, alle nur aus einem Gefühl erwachsen: Gut, dass ich, gut dass meine Kinder anders sind! Gut, dass wir zu denen gehören, die es geschafft haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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