Josph Schmidt

Eine Künstlerbiografie Es geht um einen international gefeierten Künstler, der den Kampf gegen die Behörden verloren hat. Es geht um einen Flüchtling. Und damit um Flüchtlinge überhaupt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Sänger von Lukas Hartmann (Diogenes, 2019) ist keine Strandlektüre. Sondern ein biografischer Roman über das Leben und Sterben des einst international berühmten Opernsängers Joseph Schmidt. Einer jüdisch-orthodoxen Familie entstammend, gelangt er nach jahrelanger Flucht durch Österreich, Holland, Belgien und Frankreich 1942 mithilfe eines Schleppers endlich in die Schweiz.
Endlich in Sicherheit?
Die reale Kälte, die dünnen Decken, das miserable Essen im Internierungslager sind auch Synonym für die menschliche Kälte der Schweizer Behörden. Sie lassen Schmidt sein einstiges Leben als Bühnenstar, als Publikums- und Frauenliebling nicht vergessen, aber relativieren. Es existiert nurmehr als Erinnerung. Hier im Lager geht es um das nackte Überleben. Seine Bekanntheit nützt ihm nicht nur nichts, sie schadet ihm.
Also Jude“, sagte der Befrager und wiederholte, beinahe mit Genugtuung: „Ein jüdischer Sänger, offenbar bekannt. […] Sie wissen ja, dass unser kleines Land nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann, auch nicht vorübergehend. Sie werden sehr schnell zur Last, auch volkswirtschaftlich gesehen.“ (S.90)
Neid und Ignoranz schlagen ihm entgegen, die Schweizer Behörden wollen ihn loswerden, der Arzt des Hospitals, in das er gegen den Widerstand des Lagerkommandanten gebracht wird, nimmt seine Krankheit nicht ernst und bezichtigt ihn zu simulieren:
„Das kann sein, mein lieber Herr Schmidt.“ Er schärfte das dt, spuckte es beinahe aus. „Aber könnte es nicht auch sein, dass Sie sich die Schmerzen einbilden? Oder sie aus Angst verstärkt wahrnehmen? Könnte es sein, dass Sie ungern ins Lager zurückkehren würden? […] Simulanten gibt es viele. […] Es gibt ja auch viele Ihres Glaubens darunter, die in Anspruch nehmen, verfolgt zu werden, und annehmen, deshalb ein Recht auf Asyl zu haben.“ (S. 202)
Immer wieder betont Schmidt: „Ich schulde den Behörden meines Gastlandes doch Respekt …“ – sogar noch, als er erfährt, dass er trotz seines katastrophalen gesundheitlichen Zustandes ins Internierungslager zurückgeschickt wird: „… In Girenbad gibt es Leute, die mir beistehen werden … Man kann nicht alle in den gleichen Topf werfen“, beschwichtigt er wohl vor allem sich selbst (S. 224).
Völlig erschöpft übersteht er seine letzte Bahnfahrt. Da er kaum mehr stehen kann, kommt er doch nicht ins Lager, sondern in eine Pension, wo ihm von der Wirtin ein Sofa in ihrer Wohnstube zugewiesen wird. Wenige Tage später stirbt er, mit 38 Jahren.
Berührend wird der ansonsten eher nüchterne – aufgrund sorgfältiger Recherche sehr nachvollziehbare – Lebensbericht dadurch, dass Lukas Hartmann auch andere Personen sprechen lässt: Neben ehemaligen weiblichen Fans einen Juristen der Polizeibehörde, der in dem Dauerdilemma steckt, eine Flüchtlingsschwemme zwingend [zu] verhindern (S. 101) und gleichzeitig mit den harten Entscheidungen nachts gut schlafen zu wollen. Ihm gehören die letzten Worte des Romans:
Wer bezweifelt denn, dass wir auch einen Joseph Schmidt hätten aufnehmen können? Aber niemand weiß verlässlich, ob wir unsere Aufnahmefähigkeit nicht schon genügend strapaziert haben und ob es nicht unsere Pflicht wäre, die Grenzen tatsächlich zu schließen. Denn niemand weiß, was noch auf uns zukommt … (S. 282)
Allerspätestens mit diesen Sätzen ist die Geschichte des jüdischen Sängers Joseph Schmidt in der heutigen Realität angekommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden