Literaturpreise und Rufmord

Stanisic vs. Handke Wenn die Dankesrede für den Deutschen Literaturpreis aus den Fugen gerät

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Schon erstaunlich, wie die Journaille die Wutrede von Sasa Stanisic nachblökt, anstatt sich erstmal die Werke von Peter Handke vorzuknöpfen und Stanisics Anwürfe zu überprüfen. Oder haben die alle, die Schreiber*innen von FAZ bistaz, ihren Handke so direkt auf dem Schirm?
Soweit meine Werk-Kenntnisse gehen, hat Handke das Massaker von Srebrenica nie gerechtfertigt oder befürwortet, geschweige denn geleugnet. Im Gegenteil hat er es als das schlimmste Massaker auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Auch hat er es nach einem Gespräch mit Milošević abgelehnt, als Zeuge in Den Haag anzutreten.
Jedenfalls, und das scheinen alle Dreckschmeißer vergessen zu haben (vielleicht weil auch sie damals, 1999, so geil auf diesen von der rot-grünen Regierung propagierten ersten deutschen Kriegseinsatz seit dem 2.WK waren), war Handke einer der ganz wenigen Intellektuellen, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO im ehemaligen Jugoslawien – sprich: gegen Serbien – öffentlich kritisiert haben.
Was haben die aus dem Zusammenhang gerissenen Handke-Zitate in Stansics Dankesrede für den Deutschen Buchpreis zu suchen, außer dass sie sich bestens zur Polemik eignen? Stanisic bezichtigt Handke, dieser lege sich die Wirklichkeit so zurecht, „dass dort nur Lüge besteht.“
Wo hat Handke gelogen? Und womit beginnt eine Lüge? Mit einer anderen Sichtweise? Mit einer differenzierten, mehrere Seiten betrachtenden Darstellung? Oder schon mit Fragen, die „man“ nicht stellen darf?
Formal und inhaltlich ist die Rede des aktuellen Deutschen Buchpreisträgers gleichzusetzen mit seinem unsäglichen Tweet von gestern:
„Ich halte Handke auch außerhalb des Bosnien/Serbien-Komplexes für einen schlechten Autor und nicht preiswürdig. Wenn er aber nur für diese alten Texte ausgezeichnet wäre, wäre mir das egal. Weil die harmlos sind und halt vor sich hinplätschern & hineiteln & in sich aber stimmen. „
Wie bitte? Statt Freude über seine Auszeichnung fällt dem Frischgekürten nichts Besseres ein als über den aktuellen Literaturnobelpreisträger auszukübeln?
Kunst muss Fragen stellen, sie muss in Abgründe schauen, in die andere nicht zu schauen wagen, sie muss grenzgängerisch sein, übertreiben und fantasieren. Sie muss den Dissens aushalten, störrisch sein. Für alles das steht Handke.
Was Kunst nicht darf, ist harmlos sein. Kunst muss weh tun, sonst ist sie Kunstgewerbe. Jedenfalls darf sie sich nie politisch instrumentalisieren lassen. Oder sollen in Zukunft die potentiellen Preisträger im Vorfeld ein Bekenntnis ablegen, wen sie alles hassen (Putin? Trump? Kim Jong Un? Den Papst? Die Kirche? …) und wem oder was sie ihr DaumenHoch geben – und dazwischen gibt es nichts?
Ich bin vollkommen entsetzt über so viel unkritische Reproduktion, über so viel Bereitschaft zum medialen Rufmord an Peter Handke. Handke ist alles andere als der Kriegstreiber, als den manche Medien ihn in maßloser Ignoranz vorzuführen versuchen. Handke hat den Literaturnobelpreis absolut zurecht verdient.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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