NSU im Sumpf der Justiz

Wahrheit ist relativ Was oft genug wiederholt wird, wird irgendwann geglaubt.

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„Am 4. November 2011 nehmen sich zwei Männer in einem Wohnmobil in Eisenach das Leben – die beiden Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.“ Mit diesem Satz beginnt spiegel.de den ultimativen Aufklärungstext über den NSU-Endlosprozess gegen Beate Zschäpe, der heute nach fünf langen Jahren mit der Urteilsfindung zuende gehen soll. Spiegel steigt also gleich mal mit einer entsetzlichen Unwahrheit ein.

Alle Erkenntnisse über den angeblichen Selbstmord der beiden Uwes lassen darauf schließen, dass sie sich eben nicht selbst getötet haben. Genauso wenig, wie die insgesamt sechs (!) jungen, toten Zeugen und Zeuginnen dieses unseligen Prozesses. Aber die Version der Leitmedien schließt sich den Behörden an, getreu dem Motto: Man muss eine Unwahrheit nur oft genug wiederholen, um sie glaubhaft werden zu lassen.

(Und ist es wirklich nur Zufall, dass ausgerechnet genau zum damaligen Zeitpunkt ausgerechnet auf dem Rechner des NSU-Untersuchungsausschussvorsitzenden Edathy Kinderpornos gefunden werden, und er daraufhin den Vorsitz abgeben muss ... Dass so viele V-Männer in der rechten Szene mitmischen, ohne vom NSU etwas mitzubekommen ... Dass beim Mord an Halit Yozgat in dessen Kasseler Internet-Café ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes anwesend ist ... Und warum hält Hessens Verfassungsschutz eine Report zum NSU für 120 Jahre unter Verschluss? Und warum teilt die Bundesanwaltschaft nicht die Anschauung des BKA's, wonach hier nicht nur ein abgeschottetes Trio gewirkt hat, sondern noch weitere Leute zum NSU gehören ...
Mehr als seltsam ist auch, dass der anerkannte Brandermittler und Kriminaltechniker Frank Dieter Stolt vor zwei Wochen plötzlich und unerwartet im Krankenhaus stirbt, nachdem er aus völliger Gesundheit heraus in ein Koma unklarer Ursache fällt – es ist genau der Stolt, der sich im Rahmen der NSU-Ermittlungen öffentlich kritisch zu den Pleiten und Pannen der kriminaltechnischen Untersuchungen geäußert hat … Keine einzige Zeitung berichtet darüber, man muss die Quellen dazu suchen. Weil die Ärzte nicht sagen können, woran der Patient gestorben ist, hat die Familie auf eigene Kosten eine Obduktion in Auftrag gegeben. Bei der Staatsanwaltschaft Mannheim ist der Fall nicht bekannt, ein Todesermittlungsverfahren nicht anhängig … Man höre und staune … bundesdeutsche Justiz wie in einem Rumpelstaat.)

Das ist für mich das Erschreckende, nein: Deprimierende, dass die Hinweise dieses umfangreichen Justizskandals einfach übergangen werden und zur Tagesordnung übergegangen wird. Hier wird fast im Wortsinn über Leichen gegangen. Die Vertuschung der unrühmlichen Rolle des Verfassungsschutzes und der Thüringer Polizeibehörde im NSU-Drama scheint wichtiger als die juristische Wahrheit. Auf dem gesamten Prozess einschließlich dem Urteil - ganz egal, wie es ausfällt - liegt damit der Schleier der Unglaubwürdigkeit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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