Vice - Der zweite Mann

Macht, Lügen und Frisuren Wenn das Hollywood-Kino zeigt, wie die Verstrickungen der politischen Kaste übel ausgehen, ist viel geschafft.

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Gestern Abend Kino: "Vice – Der zweite Mann".
Regie führt Adam McKay, der u.a. auch "The Big Short" gemacht hat. McKays Filme laufen für mich unter politische Aufklärung: inszenierte Dokumentationen über skandalöse Zustände im investigativen Stil – diesmal über den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney.
"Vice" hat den diesjährigen Oscar in der Kategorie ‚Bestes Make-up und beste Frisuren‘ gewonnen, was sich daraus erklärt, dass der an sich sehr attraktive Darsteller Christian Bale in seiner Rolle als Dick Cheney Step by Step bis zur Unkenntlichkeit zum dicken Spießer mit Glatze mutiert.
OT: Bales Stiefmutter ist die US-amerikanische Feministin Gloria Steinem, Bale selbst aktiver Umweltschützer und offensichtlich ein extrem politischer Künstler. Wie auch Brad Bitt, einer der Produzenten/Geldgeber des Films, und wie wahrscheinlich die meisten Mitwirkenden in diesem brandheißen Streifen.
Die Handlung: Dick Cheney, von seiner Gattin lebenslang gepuscht aus Dankbarkeit dafür, dass er sein Alkoholproblem in den Griff bekommen und eine Familie mit ihr gegründet hat, absolviert 1968 ein Praktikum im Kongress. Er verehrt den Republikaner Donald Rumsfeld, Rummy genannt, und wird dessen ergebender Handlanger.
Von Rumsfeld erfährt Cheney, dass Präsident Nixon und Außenminister Henry Kissinger gerade ein geheimes Gespräch über die Bombardierung Kambodschas führen. Auf seine Frage, für was sie „denn eigentlich stehen“, lacht Rummy sich nach einem Moment der Sprachlosigkeit schlapp und verschwindet in seinem Büro. Von nun an weiß Cheney, wie der Hase läuft. Kissinger wird später durch Rumsfeld und Cheney geschasst.
Cheney macht Karriere als Stabschef im Weißen Haus. Unter George Bush wird er Verteidigungsminister. Als Jahre später dessen Sohn George W. Busch Präsident wird, erhält Cheney als Vizepräsident uneingeschränkten Zugriff auf das Oval Office.
Von jetzt an kontrolliert er die Verwaltung, Militär-, Energie- und Außenpolitik und unterhält eigene Büros im Repräsentantenhaus, Petagon und beim CIA. Neben den Anschlägen am 11. September 2001 fallen in seine Regierungszeit u. a. Steuererleichterungen für Superreiche, geheime Treffen mit Energiekonzernen, die Kriege in Afghanistan und im Irak.
Wie er den Überfall Iraks vom Zaun bricht mithilfe von Lügen, z.B. über den Al-Qaida-Terroristen Abū Musʿab az-Zarqāwī , den bis dato niemand kennt, nur um einen Zusammenhang zwischen Afghanistan und Irak zu konstruieren, und damit diesem an sich unbedeutenden Krieger Gottes die Realisierung und das Erstarken seiner blutigen Machtfantasien erst ermöglicht, ist atemberaubend. Atemberaubend deprimierend. Auch die Anwendung von Foltermethoden in US-Gefängnissen durch die CIA geht auf Cheney zurück.
Interessant ist der Rahmen der Geschichte, die aus der Perspektive des Organspenders Kurt erzählt wird. Kurt stirbt bei einem Unfall und spendet Cheney sein Herz, denn dieser hat im Laufe seines Lebens einen Herzinfarkt nach dem anderen, die er alle unbeschadet übersteht.
Das Herz ist eine der verstörenden Bildmetaphern, mit denen McKay spielt: Ein originales Herzorgan schlägt und pumpt sich durch die Szenen, in denen es um Cheneys Gesundheitszustand, aber auch um militärische Operationen geht. Andere Szenen, die ihn als machtbesessenen Fighter zeigen, werden mit Bildern von jagenden und reißenden Leoparden untermalt. Das alles geschieht in einem rasenden Tempo, weshalb man/ich beim ersten Mal nicht alles versteht.
Man taumelt aus dem Kino und fühlt sich verarscht. Ins Wanken geraten das persönliche und gesellschaftliche Fundament durch das, was man da gerade durchlebt hat. Der Film hat es sich zur Aufgabe gemacht zu erklären, wie sich die demokratischen Grundregeln in den USA – und damit auch bei uns – in den vergangenen 50 Jahren aufgelöst haben.
Sind auch wir in Europa, ohne es zu realisieren, nur noch Schachfigürchen im Machtkampf der Leoparden des transatlantischen Bündnisses? Wenn Kriege aus persönlicher Machtgeilheit Einzelner geführt werden und es egal ist, was aus Hunderttausenden Vietnamesen, Irakern und amerikanischen Soldaten wird, darf sich das Demokratie nennen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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