Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.4

Das Logbuch geht weiter: April, April – jeder, wie er will

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Der kleine Nachbarsjunge aus dem Erdgeschoss beispielsweise darf in der Wohnung am Ostermontag vormittags inlinern. Ebenso wie zuvor am Ostersonntag, bereits früh morgens. Das monotone Bollern lässt darauf schließen, dass er auf zwei mal zwei Metern erste Gehversuche unternimmt. Der Garten ist menschenleer, auch keines der anderen in unserem Karree wohnenden Kinder ist zu sehen. Dafür gibt es ein paar Tropfen Regen, fünf Minuten lang. Danach scheint wieder die Sonne, 20 Minuten lang. Es folgen Graupel, dann Sonnenschein, gefolgt von Schneeböen. Der Himmel ist streckenweise himmelblau, dennoch ist es recht kalt. Nachdem ich mich über das Gerumpel beschwert habe, herrscht bis nachmittags Ruhe. Dann sehe ich den Kleinen mit seinen blauen Inlinern auf dem Plattenweg, der durch unsere Hofgärten führt. Er kommt fast vier Meter weit, dann rettet er sich auf den weichen Rasen und stützt sich an einem Gartenstuhl ab. Einem Holzgartenstuhl, der trotz dieses launischen Aprilwetters draußen bleibt. Im Gegensatz zu dem Jungen, der bereits nach wenigen Minuten wieder aus dem Garten verschwunden ist. Wen wundert es da, dass Möbel heute nicht mehr lange halten, während Kinder gar nichts mehr aushalten? Mal sehen, wie lange der Junge Freude an seinen Inlinern hat – das Trampolin jedenfalls, dessen Anschaffung ich von Anfang an als überflüssig kritisierte, wird schon lange nicht mehr benutzt. Über all das legt sich noch einmal in diesem Jahr das weiße Mäntelchen des Schweigens und der Osterdienstag empfängt uns wie ein Januartag mit weißen Ästen vor blaugrauem Himmel. Wie gut, dass der kleine Igel im Garten noch schläft. Hoffen wir zumindest, nachdem er neulich unsanft von der Harke gestört und sogleich wieder sorgsam zugedeckt wurde. Wieder höre ich das vertraute Rumpeln aus der Wohnung im Erdgeschoss, offensichtlich hat der Junge weder Legosteine noch einen Malkasten.

In Stuttgart haben sie sich erneut gegen die Staatsmacht aufgelehnt, und nun soll es Konsequenzen geben. Für wen auch immer. Schuldige finden sich schnell und ohne langes Suchen. Wieso ist Stuttgart mittlerweile eigentlich renitenter als Berlin? Auch Virologinnen melden sich zu Wort, die den Politikern jegliche Absicht zielgerichteten Handelns absprechen. Es ginge nicht um Problemlösungen, mehren sich die kritischen Stimmen, sondern darum, keine Verantwortung für irgendetwas übernehmen zu wollen.

Das würde vieles erklären: Man eiert einfach noch ein halbes Jahr herum und lässt dann den Wähler entscheiden, wer als nächstes den Schwarzen Peter bekommt.

Diese Woche habe ich einen wiederkehrenden Traum: Um die Erde herum gibt es unzählige kleine Noppenplaneten, die für uns Menschen unsichtbar sind. Sie screenen alles, was hier unten passiert, und sobald ihnen ein Mensch mit Machtbefugnissen zu intelligent oder selbstständig vorkommt, wird er von den Noppen eingesaugt. Auf die Erde zurückgesetzt wird lediglich ein Klon dieses Menschen. Erkennen tut man die Klone daran, dass sie etwas wirr denken, gelegentliche Sprachaussetzer haben und insgesamt unkoordiniert agieren. Nur die sogenannten “Seher”, in Stuttgart nennen sie sich “Querseher”, können diese Noppenplaneten sehen, die bisweilen so dicht an uns herankommen wie das Raumschiff aus “Independance Day”. Dann führe eine der Riesennoppen noch weiter aus, behaupten die Seher, und docken direkt irgendwo an. Zum Beispiel an das Kanzleramt, denn dort müssen ganz unauffällig mehrere Menschen in Sekundenbruchteilen ausgetauscht werden. Besonders raffiniert sind die sogenannten “Tests”, die über die Klone in Umlauf gebracht werden. Es gibt in (oder auf?) den Planeten übrigens einen Hit, der dort in letzter Zeit besonders gerne gesungen wird. Der Text soll von einem Talent stammen, das sie angeblich aus einem Tele5-Fernsehstudio herausgesaugt haben. Er beginnt so:

Ein Stab schiebt sich von Ohr zu Ohr,

dort wo ich den Verstand verlor

Getestet wird von früh bis spät,

bis tief in mir das Gefühl entsteht,

das Ganze mache wirklich Sinn

In Wirklichkeit bin ich schon hin,

hab nicht gemerkt, wie raffiniert

die Klonerei jetzt funktioniert

...

Die Planeten sind sich alle sehr ähnlich, aber nicht komplett identisch. Einer soll “B.1.1.7” heißen und noch viel fieser als die anderen sein. Andere lauern etwas weiter entfernt und warten, bis die näher schwebenden ihren Job verrichtet haben. Doch was haben die Noppenplaneten vor? Jedes Mal, wenn mir einer der Seher die Antwort geben will, wird er gefesselt und geknebelt von Polizisten abgeführt – und ich werde unsanft von ihren Knüppeln geweckt. Wenn ich richtig wach geworden bin, stellt sich die Situation anders dar: Ich sitze in (oder auf?) einem der Noppenplaneten und schaue herab auf das Theater, die ich nur zu träumen glaubte.

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