Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.12

Das Logbuch geht weiter: Locked-in and locked-out

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Die Oberpfeifen der Nation trällern das wahnwitzige Lied des Kinderimpfens, während Monarchin Merkel von ihrer eigenen Angstmacherei selbst derart zermürbt zu sein scheint, dass sie es in ihrem Dienstbus trotz Glasscheibe zwischen sich und dem täglich getesteten Fahrer kaum aushält. Vielleicht sollte sie sich eine U-Bahn-Linie reservieren lassen, diese als “Spreeforce One” kennzeichnen lassen und ab Hauptbahnhof durch die frische Luft spazieren.

Auch in meinem Bekanntenkreis zeigt sich nach der massiven Durchseuchung durch das Lockdown-Syndrom eine völlig neuartige Variante des Locked-in-Syndroms: Trotz nachweislich vorhandenen Verstandes und ausreichend entlarvender Informationen, die frei im Netz verfügbar sind, halten einige Leute an ihren irrationalen Ängsten fest. Und daran, dass der offizielle Umgang mit der Pandemie in Deutschland schon irgendwie richtig sei. Sie sind so gefangen in dem, was sie aus ihrer Obrigkeitshörigkeit zuzüglich ureigener Ängste machen, dass sie logisch erklärbare Zusammenhänge als Verschwörungstheorien verteufeln oder gar nicht erst wahrhaben wollen. Kollege Pete hat sich trotz seiner erst 48 Jahre mit Astra impfen lassen, was ihn für mehrere Tage außer Gefecht setzt. Am Ende der Sommerferien wird er doppelt geimpft sein und kann eventuell wieder in Fahrgemeinschaft mit mir zur Arbeit pendeln – wenn seine Lebenspartnerin es zulässt.

Längst ist eine Corona-Industrie entstanden, die sich über Gewinne freut, für die sich jeder anständige Mensch schämen würde. So haben insbesondere Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien ihre milliardenschweren Hilfspakete vorrangig für börsennotierte Unternehmen geschnürt, die nun munter Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten. Doch auch Hinz und Kunz müssen nicht leer ausgehen: Wer clever genug war, eine Teststation einzurichten, kassiert jetzt munter mit. Ohne die real vorgenommenen Tests nachweisen zu müssen, gibt es aus der deutschen Selbstbedienungskasse 18 Euro pro Testmeldung. Es ist also durchaus möglich, dass etliche Testpäckchen völlig unbenutzt an die westafrikanischen Küsten angeschwemmt werden. Wie groß diese Industrie mittlerweile geworden ist, wird vor allem an dem Müll sichtbar, den unter anderem ehrenamtlich arbeitende Ghanaer von ihren Stränden wegräumen. Sie bitten darum, dass wir waschbare Masken benutzen sollen.

Da höre ich doch gleich den zeternden Gernot Hassknecht: “Wie bitte? Die sollen mal lieber zusehen, dass es bei ihnen aussieht wie bei uns an der Nordsee, anstatt uns auch noch kluge Ratschläge zu geben. Soweit kommt's noch, dass wir uns um irgendetwas scheren, das in Afrika gesagt wird. Im Verballern von Ressourcen und Produzieren von Müll sind und bleiben wir Deutschen Weltmeister, basta. Die Gebiete da unten haben sie uns ja schon längst weggenommen, dafür bekommen sie jetzt eben unseren Müll! Und wenn sie alles blitzblank machen, legen wir auch noch ein paar Tiefkühlpizzen von Dr. Oetker oben drauf!”

Vor allem sollte endlich Schluss sein mit diesen Verschwörungstheorien, nach denen Bill Gates etwas mit all dem zu tun hat, was gerade abläuft. Es ist doch völlig in Ordnung, dass mein nationaler Impfausweis entwertet wird und ich einen neuen von der WHO bekomme, wenn ich reisen will. Es wäre ja noch schöner, wenn jeder mit irgendeiner X-beliebigen gelben Pappe um die Welt jetten könnte. Auf die Frage, ob ich meine Stempel in den alten Pass, in dem auch meine anderen Impfungen erfasst sind, bekommen könne, kommt ein klares “Ja, aber wir dürfen nur einen Pass abstempeln. Und zum Reisen brauchen Sie den von der WHO.” Jetzt endlich bin ich also ein Weltbürger, ein WHO-Weltbürger, der auch wieder reisen darf, wenn er will. Subventioniert von Bill Gates. Danke Bill! Vielleicht werde ich mir doch noch ein vollautomatisches Haus zulegen, dass ich gar nicht mehr verlassen möchte. Natürlich mit einem klitzekleinen Kernkraftwerk im Keller.

Die negative Erfahrung von letzter Woche (AC 2.11), als man meine Mutter nicht ins Möbelgeschäft hineinlassen wollte, erscheint diese Woche in ganz neuem Licht: Anstatt die Impfbestätigungen in ihren Impfpass zu stempeln, hat man den doppelten Empfang des Serums ja auf einem selbstgebastelten Blatt Papier bestätigt. Die Heimleitung verspricht ihr, die beiden Stempel in ihren Impfpass zu übertragen – gefolgt von der Bitte, dieses “Privileg” bloß nicht im Hause publik zu machen. Sonst könnten ja auch andere Senioren auf die Idee kommen, einen gültigen Impfpass einzufordern und es auf Malle noch ein letztes Mal so richtig krachen zu lassen. Anstatt ihren Schutz lediglich dafür zu nutzen, voll maskiert durchs Haus zum Mittagessen zu rollern. Ins heiminterne Chopin-Konzert trauen sich die meisten schon jetzt nicht mehr.

Erstaunlich ist auch die Absage einer meiner Studentinnen für unsere Präsenzvorlesung: Sie habe neulich einen positiven Schnelltest bekommen, obwohl sie nach ärztlichem PCR-Test negativ sei. Nun will sie sich lieber gar nicht mehr testen lassen, um nicht mit einem weiteren postiv ausfallenden Fake-Test in Quarantäne gehen zu müssen, wo sie doch gerade an ihrem Gesellenstück arbeite.

Auch ohne derartige Ereignisse wird unser mittlerweile gut trainiertes Lockdown-light-Verhalten immer verwirrender. Während man plötzlich wieder ungetestet einkaufen und auf den Freisitzen der Lokalitäten in der Altstadt zusammenkletten darf, agieren die Verkäufer und Kunden an den vier Ständen auf dem fast menschenleeren Marktkirchenplatz, nur zehn Meter weiter gelegen, weiterhin mit Sicherheitsabstand und Maskenpflicht. Weiß noch irgendjemand, wann und wo man die Filtertüte vors Gesicht flanschen muss? In meinem Studienzentrum auf jeden Fall – was sofort dazu führt, dass mich die unsere Tests prüfende Bürokraft inmitten meiner dreiköpfigen Studentengruppe nicht mehr als Dozent ausmachen kann. Ich nutze die Verwirrung, um ihr auf dem Smartphone einen vor zwei Wochen abfotografierten Testbescheid aus dem Heim meiner Mutter zu zeigen, auf dem man aufgrund der starken Verkleinerung zwar die Uhrzeit, nicht aber das Datum erkennen kann.

Im besagten Heim selbst laufe ich noch am selben Tage herum wie Falschgeld. Keine Temperaturmessung und kein Hinterlegen meiner Kontaktdaten mit Datenschutzerklärung mehr, und auch die Teststation ist abgebaut. Den Test, der mir nur wenige Stunden zuvor Einlass zu meiner eigenen Vorlesung in einem nahezu menschenleeren Gebäude gewährte, ist hier nicht mehr gefordert. Ich bin verunsichert und traue mich kaum, mir durch all die herumstromernden Senioren hindurch den Weg zum Appartement meiner Mutter zu bahnen. Um dort mit ihr meinen 62sten Geburtstag vorzufeiern. Man weiß ja nicht, was in den kommenden zwei Jahren alles so dazwischenkommen kann.

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