Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.15

Das Logbuch geht weiter: Klappstuhl gegen Messer

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Diese Woche steht (fast) ganz im Zeichen der Regenbogenfahne – beziehungsweise des abgespeckten Sechserpacks, bestehend aus Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett. Nicht einmal die EM kommt an der markanten Farbpalette vorbei, sogar unser Torwart trägt neckischerweise eine Kapitänsbinde in besagten sechs Farben, die man üblicherweise auf dem Christopher Street Day sieht. Ursprünglich sollen es acht Farben gewesen sein. Die UEFA will das Farbspektakel nicht mitmachen und verbietet dem Münchener Stadion eine entsprechende Illumination. Man munkelt auch, dass der große Herr Orban in seiner Loge nicht verärgert werden soll. Dem kleinen Orban, Willi, der sich unten auf dem Platz quälen muss, will man keinen Gefallen tun – ein möglicher Sieg der Magyaren ist für Fußballdeutschland völlig indiskutabel. Alle kritisieren die UEFA. Die TAZ kritisiert den Fußball in seiner Gesamtheit. Der möge bitte bei sich selbst anfangen und schwule Spieler nicht diskriminieren, indem beispielsweise ihr Marktwert extrem gesenkt wird – oder schwule Spieler generell diskreditiert werden, wie es in traditionellen Männerdomänen ebenso Usus ist.

Eines übersieht die TAZ jedoch: Unser Torwart tritt mit seiner Binde gar nicht für Schwule ein, denn deren Farbe, das Rosa, fehlt auf seiner Binde. Auf meiner übrigens auch. Als Künstler-Hete habe ich mich jedoch schon vor längerem daran gewöhnt, dass meine Farbe, das Türkis, nicht mehr vorkommt. Passend zur allgemeinen soziopolitischen Entwicklung. Auch auf den Banden sieht man Werbungen mit Regenbogenverlauf. Zum Beispiel bei VW. Wirtschaftskrieger als Menschenrechtsverfechter? Da lobe ich mir doch die Quatar-Airlines, sie verzichten standesgemäß auf jegliche Diversitätsbekundungen.

Das Corona Virus übrigens erfreut sich seiner ganz eigenen Diversität. Die sogenannte “Delta-Variante” verbreitet sich nicht nur über den EM-Tourismus, sondern auch die unzähligen juvenilen Heißsporne in den Parks der Republik sind der Meinung, wieder aneinander kletten und “spreaden” zu dürfen, was das Zeug hält. Bis die Polizei eingreift. Dann fliegen Flaschen. Greift die Delta-Variante auch das Gehirn an? Müssen wir Deutsche uns wirklich alle selbst wieder einsperren, weil wir mittlerweile sogar zu dumm sind, mit einem Virus zu leben? Ich fürchte, ja. Nachdem ich am Mittwoch mit meiner eigenen Fußballrunde, erstmalig nach einer scheinbaren Ewigkeit, wieder gespielt habe – OP- gegen FFP2-Masken – gehen wir auf ein paar Bier in einen Public Viewing Area. Dort dauert es weniger als eine Halbzeit, bis ein betrunkener Spanier unbedingt auf Tuchfühlung mit mir gehen will. Ich will aber nicht, trotz Regenbogenmonat und Diversität. All meine Abwehrversuche sind vergebens. Über 45 Minuten lang. So muss ich ihn nach dem Abpfiff leider umhauen, um ihn endlich loszuwerden. Ich beschließe, nie wieder zum Massenfußballgucken zu gehen. Die Welt nach (oder mit) Corona ist eine andere. Manches kann ich leichten Herzens annehmen.

Anderes hingegen stimmt mich nicht nur nachdenklich, sondern bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen: Nach so vielen anderen (ungewollten) Diversifizierungen, die unsere Gesellschaft schon seit Jahren in unzählige Elementarteilchen zerlegt, kommen nun die indirekten Berufsverbote für Ungeimpfte. Unternehmen kündigen Verträge in der Probezeit, wenn die betreffenden Mitarbeiter sich nicht impfen lassen wollen, und selbst langjährige Top-Kräfte müssen sich einer Reihe zermürbender Personalgespräche aussetzen, sich erklären und rechtfertigen. Auf welchem Platz wird die voraussichtlich ständig zu erneuernde Impfung im Ranking der Sozialauswahl-Kriterien stehen? Unsere Bundesgesundheitsmaske begrüßt die neue “soziale Kontrolle” – wie immer übrigens ohne jegliche sicht- oder spürbare Empathie. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass diese Figur auch in jedem anderen deutschen System des 19., 20. oder 21. Jahrhunderts perfekt als Minister funktioniert hätte. In jedem Ressort.

Den Wochenabschluss am Sonntagabend bildet ein Handy-Video aus Würzburg, auf dem zwei Ausländer zu sehen sind. Einer ist mit einem sehr schweren Messer, der andere mit einem sehr leichten Klappstuhl bewaffnet. Der Ministerpräsident (übrigens als einziger vorbildlich mit Maske, wie im Nachrichtenbeitrag zu sehen) möchte dem mit dem Klappstuhl hinterher einen Verdienstorden verleihen, weil er sich mutig dem Blutrausch des Messerträgers entgegengestellt hat. Der hingegen möchte einfach nur hierbleiben dürfen. Die Person, die voyeuristisch das Video gemacht hat, ohne helfend einzugreifen, kommt wahrscheinlich ungestraft davon.

Ich habe Polizisten im hannoverschen Georgengarten und im Hamburger Stadtpark gesehen, im Nachrichtenspot aus Würzburg tauchen keine auf. Unsere Ordnungshüter haben alle Hände voll zu tun, deutsche Idioten vor sich selbst zu schützen – die Würzburger Innenstadt wurde diesmal von einem Asylantragsteller beschützt.

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