Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.25

Das Logbuch geht weiter: Drinnen und draußen

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Ein alter, gebrechlicher Herr trägt sein Kaffee- und Kuchentablett zitternd und in gebückter Körperhaltung zu einem Freisitz-Tisch vor einem Backwarengeschäft, vor dem ein lebensgroßes, figuratives Display steht, das den Bäckereikettenbetreiber in einem Motörhead-T-Shirt abbildet. Der Herr bleibt stehen, sichtlich überfordert, und es hat den Anschein, als könne er jede Sekunde hinfallen oder wenigstens das Tablett fallenlassen. Doch weder Lemmy, noch die Bedienung oder der junge Mann, der gerade bedient wird, erfassen die Situation. Lediglich die Aufmerksamkeit eines anderen Gastes, der unweit an einem Tisch sitzt, sorgt dafür, dass der alte Herr und sein Gedeck unbeschadet am Tisch angekommen. Eigentlich wollte der Herr im Innenbereich seine Kaffeezeit verbringen, doch er konnte den beiden Verkäuferinnen seinen Impfpass nicht vorlegen – er wusste nicht, dass man ihn jetzt stets als Indentifizierungsdokument bei sich tragen muss. Schon bei seinen Erklärungsversuchen und beim Bezahlen des hohen Preises für Kaffee und Kuchen hat er gezittert, doch die Damen vom Küchenbuffet blieben in Ausübung ihrer heimatstädtischen Pflichterfüllung unbeeindruckt. (Früher hieß es “vaterländisch”, doch heute entscheiden Bundesländer und Städte ja autark, wie sie mit Corona umgehen) Für den alten Herrn gilt ab sofort das, was früher, mit kleinen schwarzen Hundeillustrationen versehen, auf den goldfarbenen Schildern an der Eingangstür zu lesen stand: “Ich muss leider draußen bleiben!”

Mir widerfährt ähnliches, als ich eine Ausstellung besuchen möchte: Vertrauensvorschuss gibt es nicht, ich habe den Impfpass vergessen und darf nicht rein. Im Begleitheft zur Ausstellung sind Maske und eineinhalb Meter Abstand gefordert, und so wird es üblicherweise auch gehandhabt – manchmal kommt noch ein Kontaktdatenzettel oder die App aus der zweiten Etage (nachzuhören bei Suzanne Vega) hinzu. Doch das kann sich jeden Tag ändern. Logisch, vorhersehbar und zuverlässig ist eigentlich nur noch das Verhalten des Virus selbst – die Behörden reagieren weiterhin nur und der Bürger macht weiterhin brav mit bei dem, was aktuell wieder gefordert ist. Am absurdesten ist der Passus “Geimpfte oder Genesene”. Als könnte es Menschen, die es einmal erwischt hat, nicht nochmal treffen und könnten sie nicht weiterhin andere anstecken – genauso wie Geimpfte. Übrigens müssen beide Gruppen weiterhin Maske tragen und ihre Kontaktdaten hinterlassen. Hätte man jemandem diese Entwicklung vor zwei Jahren als Geschichte erzählt, wäre sie maximal als schlechte Science-Fiction durchgegangen. Jetzt leben wir mittendrin, in der schlechten Science-Fiction.

Am nächsten Morgen drängt sich das Zentralorgan für Aufklärung beim Brötchenholen einmal mehr mit einer spektakulären Titelseite auf. Der kleine Hinweis, dass unter den zu Rettenden aus Afghanistan angeblich der erste Kinderschänder importiert worden sei, geht fast unter gegenüber der Meldung des Wochenendes: “Angst um unser Auto”. Damit ist das Organ zweifellos im Nachrichten-Olymp angekommen. Wie man als Straftäter am besten einwandern kann, ist seit Jahren bekannt, dass Politiker lügen und betrügen, ist ein noch älterer Hut, und dass Naturkatastrophen auch uns betreffen können, haben wir spätestens vor ein paar Monaten gelernt. Aber das Auto? Die Implementierung des Käfers in das deutsche Volksgemüt, das nationale Aufrüsten durch SUVs ab 1990, der durch Corona unterstütze Caravaning-Trend und die vielen steuersubventionierten Dienstfahrzeuge sollen uns jetzt weggenommen werden? Das gleicht ja einem kollektiven Suizid! Ganz unten im Zeitungsständer steckt unauffällig eine kleine Broschüre der Bundesregierung, in der die Demokratie erklärt wird. Von Angela Merkel. Persönlich. Doch was sollen wir noch mit Demokratie und Meinungsfreiheit, wenn wir nicht mehr mit 200 über die Autobahn brettern können?

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