Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.6

Das Logbuch geht weiter: Hexen und Jäger

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Am Montag gleich ein Paukenschlag: Deutschland ist im Presse- und Meinungsfreiheits-Ranking von Platz 11 auf Platz 13 abgerutscht. Wie konnte das passieren? Zunächst glaube ich, dass Presse und Medien sich selbst beschränken. Zu schnell ist man Corona-Leugner, Nazi, Sexist oder Rassist, wie der arme Friedhelm Funkel, der als Rentner noch einmal in die Arena klettert, um den 1. FC Köln vor dem Abstieg zu bewahren. Des Weiteren ist festzustellen, dass Medienmeinungen heute oft von Dissern und Hatern in Gang gesetzt werden. Schlägt die Welle hoch genug, freuen sich auch die Öffentlich-Rechtlichen und die Zeitungen. Warum nicht Sendezeiten und Spalten mit Content füllen, den man kostenlos bekommt? Da geht es nicht um konstruktive Kritik oder gar Ideen – die Urheber sind nur allzu oft feige Mitläufer (mit wem oder was auch immer), die im Netz dann nicht einmal mit eigenem Namen auftreten. Und wenn ich höre, dass ARD-Bundesligaberichterstatter ihre Kamera nicht einmal auf das Fan-Feuerwerk vor den Stadiontoren richten können, weil Ordner es Ihnen verbieten, fühle ich mich einmal mehr an 1933 erinnert. Dabei verstehe ich weder, warum die ARD sich das überhaupt verbieten lässt, noch, warum die Ordner so agieren. Die größte deutsche Fernsehanstalt lässt sich von Armbindenträgern (oder tragen die keine Armbinden mehr?) vorschreiben, was gefilmt werden darf und was nicht? Und fragt nicht mal nach, warum?

In den Bildungseinrichtungen nimmt der Wahnsinn auch weiter Fahrt auf: Wenn Schüler, die im Wechselunterricht-Szenario (s. a. Beitrag von letzter Woche) für den Präsenzunterricht eingeteilt sind, und stattdessen “nur” von zuhause aus – also hybrid - an der Konferenz teilnehmen, werden sie als “fehlend” vermerkt. Uiuiui, wohin soll das noch führen?

An dieser Stelle möchte ich eine Meldung von letzter Woche “upgraden”. Wir sind in punkto Abfallproduktion nicht nur Europa-, sondern Weltmeister. Gerade liegt so ein kleines Corona-Testpäckchen vor mir, und ich überschlage mal eben:
• Die Außenverpackung würde für ca. vier Zahnbürsten reichen.
• Die Lösungsmittelkanüle ist zu nicht einmal 10% mit Indikationsflüssigkeit gefüllt.
• Die Testkassette würde viermal in der sie umgebenden verschweißten Plastiktüte Platz finden.
• Das Entnahmestäbchen (vgl. Q-Tip) mit einer Länge, die selbst bei Pinocchio für die Entnahme von Gehirnmasse ausreichen würde, dürfte sechs bis acht Mal in die dafür verklebte Kunststofffolie passen.
• Die plastene Testkassette soll nach Gebrauch natürlich in einen weiteren Plastikbeutel gesteckt werden, der dem Päckchen beigelegt ist.
• Die ebenfalls enthaltenen Anwendungsvorgaben im DIN A3-Format sieht man bereits vor dem Öffnen außen auf dem Päckchen, anschaulich aufgereiht und selbsterklärend.
• Darüber hinaus hat jede Einrichtung einen Testbeauftragten, der das ganze Prozedere zu erklären und die Tests einzusammeln hat. (Wer würde auch schon auf die Idee kommen, sich bei Indikation “positiv” sofort krank zu melden und einen Arzt aufzusuchen?)

Doch nicht nur das Testen verursacht horrende Müllmengen. Wenn ich Samstagmorgen um 9:00 Uhr durch die Straßen meines Viertels gehe, sehe ich mehr Masken als Menschen. Viel mehr Masken. Auch völlig unbenutzt aussehende, teure FFP2-Filtertüten nebst Plastikbeuteln mit der verräterischen Aufschrift “Persönliche Schutzmaske” grinsen mir von Gehweg und Fahrbahn entgegen. Zum Glück sind die Straßen noch Allgemeingut und nicht “persönlich”– es wäre ja noch schöner, wenn wir auch die noch schützen müssten. Was ich daran überhaupt nicht verstehe: Fällt den Leuten mitten auf dem Heimweg ein, dass sie jetzt ganz schnell für den Rest der Strecke die Maske wechseln müssen, noch bevor sie am nächsten Mülleimer vorbeikommen? Nicht nachdenken, sage ich mir minutenlang. Sogar noch, als ich in der Drogerie an der Kasse stehe. Als ich mit der EC-Karte bezahlen will, fällt mir auf, dass der junge Kassierer dicke Gummihandschuhe trägt und mit Maske hinter seiner Schutzscheibe sitzt. Als ich ihn freundlich frage, ob er sich denn auch regelmäßig testen würde, kommt eine überraschende Antwort: “Ja, und geimpft bin ich auch schon”. Nun möchte ich doch noch etwas genauer wissen, warum er dann in voller Rüstung in seiner Corona-Schutzburg sitzt. “Wegen der Kollegen”, kommt als Antwort.
Beim Verlassen des Geschäftes bin ich mir sicher: Ein “nach Corona”, das wie “vor Corona” ist, wird es nicht geben. Weder individuell, noch allgemein. Und schon gar nicht in der Kombination aus beidem. “Individuell” darf man ja sowieso nicht mehr sein, weil man damit sofort ein “Querdenker” ist. Und “allgemein” beinhaltet auch den Glauben daran, dass ein Schmetterling meine Viren bis nach China tragen kann (oder wie ging diese Metapher noch mal?).

Seit Jahren werden wir nicht müde, die “Spaltung der Gesellschaft” (welche auch immer hier gemeint ist) der AFD zuzuschreiben. Mir jedoch scheint es mittlerweile die Pandemie zu sein, die diesen Job macht. Und zwar viel besser, als selbst die bösesten AFD-Buben es können. Diese Woche sind es keine Fußballer, sondern der Deutschen zweitliebste Kinder, die Volksschauspieler aus ARD und ZDF. Heike, Ulrike, Jan Josef, Ulrich, Richy und über 40 andere haben eine beißend ironische, um nicht zu sagen sarkastische Twitter-Satire und dem Hashtag “#allesdichtmachen” gestartet. Darin nehmen sie die Pandemie-Maßnahmen aufs Korn. Ihr Fehler: Sie sind Prominente. So dauert es keine drei Sendeeinheiten, bis sich die Medien überschlagen und eine Hexenjagd losbricht, wie es sie (zumindest gegen Schauspieler) seit Senator McCarthy nicht mehr gegeben haben dürfte. Nach und nach knicken die Beteiligten ein und distanzieren sich von – na wem wohl? Natürlich, von den “Querdenkern”, zumal das ja alles “Rechte” sind. Wenn sie jetzt sagen würden “Ich bin ein kommunistischer Jude, der seine schwarze Haushälterin missbraucht”, würden sie wahrscheinlich glimpflicher davonkommen. Sie sehen da keinen Zusammenhang, liebe Leser und Leserinnen? Dann schauen Sie sich gerne mal Dokus von den McCarthy-Prozessen an und ändern Sie die Vorzeichen.
Wenn die kompromisslosen Gegner dieser Satire wenigstens so konsequent wären, keinen Tatort aus Münster, Stuttgart und Ludwigshafen mehr zu gucken. Doch was sollen sie am Sonntagabend dann machen? Also lieber weiter Tatort gucken UND meckern, dissen, haten und sich freuen, dass man ein Feindbild hat. Hexenjagd in den eigenen vier Wänden ist ja nicht nur Corona-konform, sondern auch saubequem.

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