Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 19

Das etwas andere Logbuch Tag 127 ist ein Primzahltag.

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Was ja nicht heißt, dass heute irgendwelche Zahlungen vorgenommen werden, sondern dass dieser Tag nur zwei Teilungsoptionen hat. Meiner teilt sich heute in den Vormittag, den ich nutze, die Wohnung für meine neue Mitbewohnerin auf Vordermann zu bringen, und den Nachmittag, den ich in Walsrode verbringe.
Langsam habe ich mich ein zweites Mal an unser kleines Büro in der Vogelparkstadt gewöhnt und wieder in die Abläufe eingearbeitet. Die Welt der Erwachsenen ist schon ein merkwürdiges Spiel, muss ich einmal mehr feststellen. Zum Beispiel erfahre ich, dass eine Aufgabe, die bereits vor Corona gestellt wurde, gar nicht primär der Erledigung diente, sondern ein Test war. Ein Test, wie gut wir als Team funktionieren. Das hätte man auch leichter haben können, denn wir sind zu viert an unserem Standort. Warum haben wir nicht einfach Doppelkopf gespielt? Oder Mensch ärgere dich nicht?
Die gestellte Aufgabe hingegen könnte schon längst fertig sein, wenn lediglich eine/r dafür verantwortlich gewesen wäre. Eine/r, die/der nicht so schnell in Kurzarbeit geschickt worden wäre.
Wie würde man diese Dinge Kindern erklären? Am besten gar nicht, man kann ihnen ja noch nicht mal Corona erklären. Zum Beispiel lese ich etwas über einen „neuen Alltag“, eine „neue Normalität“, oder dass es wieder „realen Unterricht“ an Bildungseinrichtungen geben soll. Man könnte diese Worthülsen auch einfach weglassen, aber der zivilisierte Mensch definiert sich über Worte – gesprochen, geschrieben, gehört und gelesen.

Also bediene ich mich der Maus, die den Kindern die Welt so gut erklärt, dass auch Erwachsene sie verstehen können. Heute begeben wir uns mit der Maus in eine Wäscherei:
„In der Wäscherei gibt es einen großen Waschraum, in dem Betten und Kleider gewaschen werden. Und es gibt ganz lange Stangen, auf denen die ganze Wäsche hängt, bis die Besitzer sie nach der Wäsche wieder abholen. Vor den Stangen ist ein langer Tisch, der dafür sorgt, dass die Besitzer sich ihre Wäsche nicht einfach nehmen können ohne zu bezahlen. Auf dem Tisch ist eine lange Glasscheibe. Hinter der Scheibe steht eine Frau, die nicht lächelt. Obwohl sie lächeln sollte, denn ich bringe ihr meine Wäsche. Und sie verdient Geld damit, dass sie die wäscht. Verdient deine Mutti auch Geld damit, dass sie deine Wäsche wäscht?
Siehst du, deshalb sollte die Frau lächeln. Und eigentlich sollte die Frau eine Schutzmaske im Gesicht tragen. Denn jetzt müssen alle eine Maske tragen, die sich in Häusern treffen und nicht zu einer Familie gehören. Ich sehe sie schon durch die Glasscheibe der Tür, als ich komme, und sonst sehe ich niemanden in der Wäscherei. Ich lächele sie an, weil ich eine nette Maus bin, doch sie lächelt nicht zurück. Jetzt betrete ich die Wäscherei und die Frau guckt plötzlich noch unfreundlicher. Warum guckt sie unfreundlich? Sie sagt es mir: „Hier drinnen nur mit Maske!“. Doch warum muss sie keine Maske tragen? „Weil ich das als Bedienung nicht muss!“ Aha, so ist das also. Doch warum muss ich dann eine Maske tragen? Diesmal antwortet sie nicht. Wisst ihr, warum?
Da ist ja eine Glasscheibe zwischen uns. Und die beschützt mich vor den Viren, die die unfreundliche Frau beim Sprechen ausspuckt. Ihre Viren können fast zwei Meter weit fliegen, besonders wenn sie laut spricht. Sind meine Viren noch gefährlicher? Können meine Viren sogar durch die Glasscheibe fliegen, die zwischen der Frau und mir steht?
Die Lösung ist ganz einfach: Die Glasscheibe ist auf der Seite, auf der die Frau steht, ganz hart. Auf meiner Seite ist die Scheibe weich und die Viren können da durchfliegen. Deshalb muss ich meine Maske tragen. Damit die Frau geschützt ist, auch wenn sie unfreundlich ist. Denn ich bin immer freundlich.

Irgendwann, viel später, wird das Kind natürlich merken, dass die Maus es beschissen hat. Aber das wird dann auch nicht grausamer sein als die vielen anderen Wahrheiten, die das Kind später lernen wird. Zumindest jetzt wird es wirken. Das Kind wird seine Maske tragen.

Am Ende dieser Woche sind wir eingeladen von einem lieben Freund, der 50 wird. Zunächst feiern wir draußen in einem netten Café. Leider können wir hier nicht bleiben. Danach geht es in eine richtige Stampe, und das bei strahlendem Sonnenschein. In dieser Kneipe ist es sehr dunkel und noch so richtig verraucht, wie früher. Nach einer Stunde sind die hartgesottenen Gäste am viel zu kleinen Tisch betrunken. Auch hier ist auf dem Tresen eine Glasscheibe. Doch was nützt die, wenn die Wirtin ständig ohne Maske an den Tisch kommt, um Getränke nachzuliefern? Hier in dieser Welt, die immer gleich bleiben
wird, ist Corona so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen ist. Man kann dem Ganzen einen gewissen Charme nicht absprechen, eine gewisse Romantik – doch sind Charme und Romantik angebracht? Zum Glück können wir uns einen Tisch und zwei Bänke vor die Tür auf den Gehsteig positionieren. Glück auch, dass bei dieser Party keine Kinder anwesend sind. Denn denen hätte auch die schlaueste Maus der Welt nicht erklären können, wie das alles hier funktioniert.

So, liebe Kinder, die nächste Sendung mit der Maus gibt es nächste Woche.

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