Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 20

Das etwas andere Logbuch Tag 134 bringt wieder die Maus ins Haus.

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Natürlich in ein anderes als letzte Woche, das Setting ist diesmal die Gastronomie in der Seniorenresidenz meiner Mutter. Seit Jahren treffe ich mich hier im kleinen Café Lieblingsplatz mit ihr, heute überlasse ich der Maus das Reden: “Hallo Herr Ober, wir hätten das Essen heute gerne draußen auf der Terrasse.” (Der Ober teilt uns gebieterisch mit, dass wir hier gar nicht essen dürfen.) Warum nicht? Auf der Terrasse sind extra zwei Meter lange Tische aufgebaut, mit jeweils einem Stuhl an den Enden. (Der Ober baut sich noch wichtiger auf und entgegnet schnippisch “Weil Corona ist”). Doch wer sitzt denn da draußen auf der Terrasse? Genau, das ist der Direktor der Residenz. Den fragen wir jetzt mal: “Guten Tag, Herr Direktor, der Ober sagt, wir dürfen hier nicht essen.” (Der Direktor guckt ganz merkwürdig und sagt, wir mögen uns an einen freien Tisch setzen. Dann geht er in das Café hinein und spricht mit dem Ober.) Ach, seht mal, da kommt der Ober ja schon an unseren Tisch. Er hat eine Maske auf und fragt ganz freundlich, was er uns bringen kann. Ist der Ober gerade ein ganz anderer Mensch geworden? Er sieht doch genauso aus wie vor drei Minuten. Wir bestellen und essen, wie früher auch. Und wir müssen auch nicht unsere Namen und unsere Telefonnummern auf einen Zettel schreiben. Was haben wir heute gelernt?

Bei Corona macht die Regeln immer der Bestimmer. Und jetzt, liebe Kinder, müsst ihr lernen herauszufinden, wer der Bestimmer ist. Aber nicht nur im Café oder in der Wäscherei, sondern in jedem Haus, in das ihr geht. Und manchmnal sogar draußen.

Das findet ihr schwer? Ich auch, aber es hat ja auch niemand gesagt, dass das Leben immer so leicht ist wie in dieser Sendung.

Sendung verpasst? Da macht nichts, es kommt eine neue. Doch auch die wird so unverständlich sein, dass man sie lieber verpassen würde.

Ansonsten ist das Besondere an dieser zweiten “runden” Corona-Woche, dass es die erste Corona-Woche ist, in der ich Urlaub habe. Richtigen Urlaub, beantragt und genehmigt.

Wir nutzen die Zeit, neue Video- und Fotoaufnahmen zu machen, wieder in unseren heiß geliebten “verlorenen Gärten”, wo es noch so vieles zu entdecken gibt.

Ansonsten soll diese Woche alles privat bleiben – Urlaub heißt auch, nur das Wichtigste schreiben und telefonieren zu müssen. Einfach mal weg sein. Wo, muss nicht jeder wissen.

Erwähnenswert erscheint mir noch, dass die nun einsetzende, mehrtägig anhaltende Hochsommerhitze immer mehr Menschen hinaustreibt. Doch leider scheinen allzu viele nicht zu wissen, wo man hingehen könnte. So leer viele Badeseen sind, so dicht hängen gerade die jungen Menschen nun in Metropolen wie Berlin zusammen. Endlich verstehe ich den den Begriff Peergroup. Eine Existenz ohne sinnlos enges Aneinanderkletten gibt es für viel Menschen offensichtlich nicht, sie scheinen sich geradezu darüber zu definieren. “Ich klette, also bin ich”, die pure Umkehrung des lateinischen Leitsatzes “Cogito ergo sum”. Lieber eine Infektion riskieren, als einfach mal etwas auf Abstand bleiben. Gute Zeiten für Einzelgänger, für Menschen, die individuelle Interessen haben, denen sie jetzt zumeist ungestörter denn je nachgehen können als sonst. Und schlechte Zeiten für Menschen, die mit sich selbst nichts anzufangen wissen. Mal sehen, wie hoch die Ansteckungsrate am Ende der Sommerferien ist. Thilo Sarrazins Erhebungen scheinen sich leider zu bestätigen: Die Dummheit nimmt zu.

Doch es gibt ja auch noch die ganz Schlauen, die ihre Zusammenrottungen mit einer neuen Erkenntnis rechtfertigen: Corona gibt es gar nicht, das ist alles nur erfunden. Um unsere Freiheiten einzuschränken und so weiter... Doch bei aller Skepsis, die auch ich offiziellen Verlautbarungen gegenüber hege: Eng an eng mit den ewigen Demonstranten, die sich auf Berlins Straßen verbale Schlachten mit der Polizei liefern, möchte ich meinen Urlaub nun auch nicht verbringen.

Ein Freund hat es vor ein paar Wochen gut auf den Punkt gebracht: “Zum Glück bin ich nicht mehr in dem Alter, in dem man ständig mit anderen unterwegs sein muss, auf Konzerten, in Clubs und so weiter”.

Ich fänd's klasse, wenn der Widerstand gegen staatliche Maßnahmen und politisches “Hüh und Hott” sich nicht immer nur in Massenauftrieben unter bunten (oder schwarz-weiß-roten) Fahnen organisieren, sondern individuell agieren würde. So viele Polizisten, wie wir sind, kann man gar nicht auf uns ansetzen. Natürlich sind auch die Demos mit Sicherheitsabstand wichtig. Zu zeigen, dass wir uns den öffentlichen Raum nicht einfach wegnehmen lassen. Nur muss jetzt im öffentlichen Raum der öffentliche Schutzraum mitgedacht werden. Und dafür scheint vielen Menschen, die meinen, ihnen kann nichts passieren, das Abstraktionsvermögen zu fehlen.

Da, wo ich mit meinen (jeweils sehr wenigen Leuten) unterwegs bin, genieße ich alle Freiheiten, die ich mir nur wünschen kann. Zumal es sich um Räume handelt, die wenig bis gar keinen industriellen oder gewerblichen Konsum bereitstellen.

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