Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 21

Das etwas andere Logbuch Tag 141 …… führt mich zum ersten Mal seit der Buchmesse wieder durch Leipzig.

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Diesmal zu Fuß, weil ich netten Besuch habe, der seine Wege gerne per Fahrrad oder eben zu Fuß macht. Und Leipzig ist die perfekte Stadt für Fußgänger: Es gibt ein sehr beschauliches und gleichwohl überschau- und durchquerbares Zentrum, in dem dem man sich höchstens in den Passagen verirren kann. Wenn man das Zentrum verlässt, den Ringe überquert, benötigt man nur Stadtplan und Kompass, um überall dorthin zu gelangen, wo man arbeiten, einkaufen, wohnen, essen, trinken, Sport treiben oder Kultur genießen kann. Corona hat die Stadt nicht verändert, stelle ich erleichtert fest. Der Aussspruch einer Leipziger Freundin, die Stadt habe kein Corona mehr, bestätigt sich – wenn auch alle Leute ihre Masken gut versteckt bei sich tragen, um sie in Momenten der Kontaktgefahr ansatzlos aufzusetzen. Die Schutzmaßnahmen gehen sehr leise von statten, stören kaum die gewohnt entspannte Kommunikation der Menschen, und Widerstand wie in Stuttgart und Berlin oder Bräsigkeiten wie in Hannover fallen so gut wie gar nicht auf.

Doch das ist nur meine Tageswahrnehmung, und auch nur an diesem sonnig warmen Montag. Denn der eckige Schwabe gönnt dem geschmeidigen Leipziger seinen Umgang mit dem Virus nicht und arbeitet im Untergrund schon an einem nächsten Coup: Von vielen als “Heilsbringer” missverstanden, hat der niemals lachende Sinsheimer Bodo Schiffmann seine Fallstricke für diese Woche schon gelegt: In Form von Attesten, die er jedem ausstellt, der keine Maske tragen will. Testgebiet ist diese Woche ein Leipziger Bio-Markt, in dem ein Bekannter von mir arbeitet. Zuerst hält dem nämlich ein maskenunwilliger Mann ein handsigniertes Attest von Schiffmann unter die Nase, etwas später eine Frau. Beide werden nicht wirklich bedient, beide scheinen auch nicht wirklich einkaufen zu wollen, sondern argumentieren, als wollten sie eigentlich etwas recherchieren. Denn zwischenzeitig beobachtet mein Bekannter, wie sich der Mann und die Frau vor dem Laden in einem großen Geländewagen mit nordfriesischem Kennzeichen unterhalten. So, als müssten sie ihre Aktion auswerten und protokollieren.

Wir kennen diese Taktik von Adolf Hitler, der mit seinen ersten Getreuen die Wein- und Bierkeller des Landes unsicher machte, um seine Thesen an der Basis zu testen, im besten Fall neue Anhänger zu finden und für alle Fälle schon mal spätere Oppositionelle auszumachen und vorzumerken. Natürlich soll diese geschichtliche Notiz nicht auf einen Vergleich zwischen dem Gröfaz und dem HNO-Arzt mit scheinheiligem Heiligenschein hinauslaufen, der mit seiner “Schwindelambulanz” ansatzlos von “Widerstand 2020” auf “Great Pretender” umschalten und auch auf der Neuköllner Widerstands-Demo viele neue Jünger in seinen Bann ziehen konnte.

Während Schiffmann seine Propaganda noch mit medizinischen Erkenntnissen verbrämt und zumindest phasenweise versucht seriös zu wirken, was ihn sendetauglich hält, kann man Naidoo zu den heißen Themen mittlerweile gar nicht mehr mit ungefiltertem O-Ton in den Medien finden. Seine Statements sind unzensiert und unverstümmelt nicht mehr zu sehen und hören. Dafür nutzen etliche Medien und Meinungsamateure seine Äußerungen für eigene Zwecke, zur Selbstdarstellung, oder um beispielsweise einen Frauenzerhacker anzuteasen. Rauswürfe und Auftrittsverbote sind die Folge für Naidoo, auch aufgrund des ihm nachgesagten Rassismus. Einen klärenden und relativierenden Disput mit und zu ihm kann ich nirgends finden. So ungeschickt und missverständlich der ehemalige deutsche Vorzeige-Sänger oft auch rüberkommt: Diese ganze Trittbrettfahrerei finde ich wesentlich eckliger, bigotter und heuchlerischer. Es setzen sich Leute vor ihre Handykamera, die die Welt nun gar nicht braucht, Inhalte spielen keine Rolle, sind oft nicht einmal auszumachen – welche ungeahnten Peinlichkeiten das Netz doch zutage fördert! Und wie sehr ich mir die Fernsehduelle der frühen Siebzigerjahre wünsche, in denen Weltanschauungen von Künstlern und Politikern in dichtem Zigarettenrauch aneinander aufgerieben wurden, bis der Sendeschluss uns ins Bett schickte.

Das Netz kennt keinen Sendeschluss mehr. Deshalb will ich raus – dahin, wo die Luft sauberer ist, kein Corona herrscht und Netzempfang Glückssache ist: nach Mecklenburg-Vorpommern. Markierungen sind am Strand der Ostseeküste nicht auszumachen, Masken sieht man nur in geschlossenen Räumen, Radio und Fernsehen gibt es in meiner Unterkunft auch nicht, denn ich schlafe in einem Zelt auf einem Baustellengrundstück. Die morgendlichen Brötchen gibt es durch die Hinterstube einer Hotel-Bäckerei, an deren Schiebfenster man von der Verkäuferin belustigt darauf hingeweisen wird, dass man hier keine Make tragen müsse.

So versuche ich die bisher heißesten Tage des Jahres, an denen sich die äußere Erwärmung mit der Corona-Überhitzung der Gemüter zu multiplizieren scheint, ohne Medieneinfluss zu überstehen. So oft es geht im garantiert virenfreien Wasser der Ostsee.

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