Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 26

Das etwas andere Logbuch Tag 176 läutet das “Bergfest” ein.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das kalendarische Corona-Jahr hat diese Woche Halbzeit. Ob nach der Halbzeit ein neuer Gipfel erreicht werden wird, bleibt abzuwarten. Doch so extrem wie im Frühjahr sollte es zumindest in Deutschland nicht mehr werden. Hoffen wir.

Dafür verschärfen sich andere Krisen, und zu allem Überfluss gibt es eine besonders “unheilige Hochzeit”: Corona und die Migration treffen auf einer Insel zusammen, die eigentlich mit gleichgeschlechtlicher Liebe verbunden wird. Auf Lesbos. “Moria” bedeutet “heitere Geschwätzigkeit”, doch davon sind wir dieser Tage weit entfernt. Irgendwie mutet es schon fast wie eine geplante Inszenierung an, wenn an dem einen Tag über 10 000 Stühle vor dem Reichstag (für den aufgrund der jüngsten Ereignisse ja eigentlich eine erweiterte Bannmeile im Gespräch ist) aufgebaut werden, und am nächsten Tag das Flüchtlingslager, dem diese Stühle gewidmet sind, in Flammen aufgeht. Die Idee mit den Stühlen kenne ich aus Leipzig, wo für die vertriebenen und ermordeten Juden ein Sitzareal an der Stelle aufgebaut ist, an der früher ihre Synagoge stand. Ein Mahnmal für Unrecht und Vertreibung. Ob das gleiche Symbol nun für Flüchtlinge, die noch gar nicht im Lande sind, auch funktioniert, wäre zu hinterfragen. Insbesondere auf einem Platz, der ja eigentlich menschenleer bleiben sollte. Müssten die Stühle nicht eigentlich in den Herkunftsländern aufgebaut werden?

Das Szenario von Moria ist erschreckend, verlieren doch dort ungefähr 13.000 Menschen ihre letzte Habe und der griechische Staat tut nichts weiter, als unter Berufung auf Corona weitere Zäune um das Lager und die nun die verbliebene Asche zu errichten.

Die rein künstlerisch betrachtet sicherlich aufsehenerregendste Installation nach der Christo-Verhüllung kann mannigfaltig interpretiert werden. Soll es ein Platzhalter für Menschen sein, die die Bundesregierung klagend um Einlass bitten? Oder sollen die Stühle potenzielle zukünftige, zugewanderte und eingebürgerte Wähler symbolisieren? Und kann man die Stühle auch als Platzhalter für 13.000 bereits in Deutschland lebende Menschen ansehen, von denen jede/r einen Wunsch an die Regierung richten darf? Wie dem auch sei – die Idee mit der ehemaligen Synagoge erscheint mir inhaltlich schlüssiger. Übrigens sind es dort in Leipzig viel weniger Stühle als vor dem Reichstag.

Der EU wird klägliches Scheitern vorgeworfen, und Deutschland die moralische Verpflichtung zur weiteren Flüchtlingsaufnahme zugeteilt. Doch wer ist wirklich schuld an diesen katastrophalen Zuständen? Differenzierend möchte ich anfügen: Für welche Flüchtlinge aus welchen Ländern aufgrund welcher Entwicklungen tragen wir die Verantwortung? Wissen wir das überhaupt?

Als erstes fällt mir dazu Saul Luciano Lliuya aus Huaraz in Peru ein, der die Hauptursachen für den rasanten Klimawandel bei einigen Großkonzernen und ihren Emissionen sieht. Als Bauer in den Anden ist er direkt betroffen von Gletscherschmelze und Erosionen, die seine Existenzgrundlage bedrohen. Konkret klagt er seit Jahren in Deutschland gegen den RWE-Konzern. Genau - das sind die, die auch den Hambacher Forst abholzen wollen. Nutznießer von RWE sind dummerweise auch wir alle, die wir gerne den lieben, langen und helllichten Tag über die Raumbeleuchtung eingeschaltet lassen oder der Meinung sind, wir müssten in unserer Wohnung auch im Januar bei 24° Celsius mit nacktem Oberkörper herumsitzen. Schuld sind wir auch an den Staublungen der „Creuseurs“, die das immer wichtigere Kobalt abbauen, weil wir unsere Elektroautos und Handys ja ganz, ganz schnell und immer wieder aufladen müssen. Schuld sind die Lebens- und Genussmittelkonzerne, die ihr Geschäft mit dem wirtschaftlich äußerst ungleichen Handel von Grundnahrungsmitteln und ressourcenverschwendenden Endprodukten machen. Und der Vatikan müsste alle unterernährten und aidskranken Kinder aus den afrikanischen Regionen aufnehmen, in denen er die Verteilung von Verhütungsmitteln unterbindet.

Um hier nicht weiter ins Detail zu gehen, was den Wochenbericht deutlich sprengen würde: Zumindest mitschuldig sind wir alle, die wir von Überproduktion, Übertechnologisierung und überflüssigem Konsum profitieren – und dabei der Meinung sind, dass uns das alles zustehe. Als kleine “Self-Convenience”, weil wir uns doch so wahnsinnig totarbeiten in unseren Handelsorganisationen, Service-Centers, Verwaltungen und Medienbetrieben.

Ist diese Woche wirklich Bergfest? Ein halbes Jahr Corona, und viele Länder melden neue Infektionsrekordmarken. 26 Wochen mit (fast) nur einem Thema – abgesehen davon, dass sich im Windschatten der Pandemie auch das Regierungsmodell “Diktatur” immer weiter auszubreiten scheint. Nach 26 Wochen gibt es (wie bereits von einigen Paul-Vogt-Lesern vermutet) noch keinen Impfstoff, dafür lassen sich unsere Senioren mit herkömmlichen Grippe-Impfstoffen behandeln. Na, das ist doch wenigstens etwas – es wäre ja furchtbar, an einer profanen Grippe zu sterben und gar nicht zu merken, dass man eigentlich Corona hat. Ein Achtungserfolg, immerhin: Nach nur 26 Wochen hat sich das Maskentragen durchgesetzt und, zumindest soweit ich in meinem näheren Umfeld beobachten kann, wird auch ganz ordentlich durchgehalte. Wir Deutschen sind also doch noch auf Linie zu kriegen, wenigstens bei solchen Maßnahmen. Wie beruhigend!

Weniger Linie dagegen weisen aktuelle “Bild”-Informationen aus der Bundeswehr auf. Dort überlegen sie nun, wie die weibliche Form von “Hauptmann” lauten soll. “Majorin” ist ja ganz nett, erinnert aber an einen Song von Joe Cocker und kommt wohl aus der Heilsarmee. “Hauptfrau” mag man nicht so sehr, wir haben ja schließlich keine muslimische oder mormonische Armee. Was also tun? Und vor allem: Wann? Wenn schon unklar ist, wie man Frauen nennt, wie soll es dann erst weitergehen mit dem sich rasant drehenden Gender-Karussell? Denn wahrscheinlich lauern in den Startlöchern schon einige “D”s, die auch gerne unser Vatermutterdrittland verteidigen würden. Doch garantiert fehlt auch für diese eine Benennung der Offiziersränge. Und wer in der Bundeswehr oder darüber ist schon einfallsreich genug, Abhilfe zu schaffen?

Sie könnten ja mal einen Offiziersrangbenennungfindungswettbewerb veranstalten – wenigsten an einigen Stellen sollten kreative Bürger an der Identitätsfindung Deutschlands mitwirken dürfen. In vorauseilendem Gehorsam schlage ich einfach schon mal “Majoraise” und “Hauptlein” vor.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden