Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 50

Das etwas andere Logbuch Tag 344 kündigt den Frühling an.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Winterjacke bleibt im Auto, denn da ist es kühler als draußen. Doch nicht nur das Wetter ist wieder einmal schneller als wir, auch die meisten unserer Nachbarländer. Eine gute Freundin meiner Liebsten ist froh, in Wien zu leben. Dort werde nach systemrelevantem Bedarf statt nach dem Alter der Stammwählerschaft geimpft und Tests gäbe es kostenlos an jeder Ecke, berichtet sie. Dass wir in D mit staatlich verordneten OP-Masken, die auch noch selbst bezahlt werden müssen, durch die Gegend laufen, hält sie für einen schlechten Scherz. FFP2-Masken würden in Österreich übrigens für 59 Cent angeboten, fügt sie hinzu. Das schafft bei uns nicht mal REWE. Im Impfranking hingegen liegen wir schon etwas dichter an der ehemaligen KuK-Monarchie – doch dummerweise nicht an Österreich, sondern an dem Land, das seit einigen Jahren wieder verstärkt monarchistische Bestrebungen an den Tag legt: Ungarn. Passt aber irgendwie auch wieder – zur Merkel-Monarchie. Wenn ein Bundesgesundheitsminister zurückgepfiffen wird wie ein Schuljunge, weil er den Bürgern Tests zugesagt hat, die dann nicht kommen, passt das peinlich gut ins Bild. Derweil kolportiert das Zentralorgan des kleinen Mannes Korruption im Bundestag. Ist eventuell doch die Käuflichkeit der Politiker Schuld an der hellblauen Maskerade? Während der Witz der Woche in Deutschland “Inzidenzwert 35” lautet, marschiert Australien gerade gen “0”. Inseln sind jetzt klar im Vorteil. Vielleicht kam Englands EU-Austritt ja doch zum rechten Zeitpunkt? Kommen wir zum Thema der Woche:

Politiker und Parteien”

Eine Demokratie, die sich nicht mehr erneuern kann ist eine Art von politischer Planwirtschaft. In der Corona-Politik sind nun schon mehrere frühere “sozialistische Bruderstaaten” unserer fünf nicht mehr ganz so neuen Bundesländer ohne Hilfe eines großen West-Bruders an uns vorbeigezogen. Können wir unser System nicht einfach anders nennen – zumindest bis zum Pandemie-Ende?”

Georg Conrad, 2021

Wer sagt eigentlich, dass Demokratie überhaupt die beste Staatsform ist – für eine Gesellschaft, deren kollektive Intelligenz stetig abzunehmen scheint? Deutschland galt, neben vielem anderen, einmal als ein Land der Denker. Doch wo wird hier noch gedacht? Zumindest laut und vernehmlich? Und was ist mit dem Handeln? Trotz auch seriöser Demo-Teilnahmen könnte man den Eindruck gewinnen, dass es neben den sogenannten “Querdenkern”, “Reichsbürgern” und der AFD keine erkennbare politisch motivierte Aktion mehr gibt. Alle machen mit, wenn Mutti Merkel was sagt. Braucht ein solches Volk überhaupt die sogenannte “Demokratie”, wenn es sie nicht benutzt? Leider sind wir Deutschen auch dafür bekannt, dass wir, wenn wir dann mal umschwenken, jegliches Augenmaß verlieren. Keine guten Zukunftsaussichten. Also schauen wir zurück, um zu verstehen, wie es soweit kommen konnte.

1945 hatte Deutschland den Bogen überspannt, mehr Vernichtung ging nicht. Also wurde das Land geteilt. Denn ganz auslöschen wollte man es nun auch nicht, dazu bot es zu viel nutzbares Potenzial. Gerade für die Amerikaner und Russen, die uns nach dem Krieg umerzogen haben. Im Westen durften wir sogar wieder ein demokratisch angelegtes Grundgesetz etablieren (das des Ostens habe ich leider nie gelesen). Aus damaliger Sicht völlig nachvollziehbar ist dabei der Verzicht auf Direktabstimmungen. Zwischenzeitig schien Deutschland eine gesellschaftliche und politische Balance gefunden zu haben, Direktabstimmungen hätten spannend werden können. Jetzt, da das selbstständige Denken in private Wohnstuben zurückgedrängt wird, könnten Direktabstimmungen Ergebnisse bringen, da sich nicht mehr mit unseren herrschaftlich gewollten politischen Paradigmen vertragen. In Zahlen liest sich das so: Von den 72 Jahren, die unsere Republik besteht, hat 52 Jahre die CDU mit ihren verschiedenen Anhängseln regiert. Davon wiederum entfallen alleine 32 Jahre auf Herrn Kohl (der es als einziger Kanzler geschafft hat, zeitumspannend sogar mehr als vier Legislaturperioden an der Macht zu bleiben) und sein “Mädchen” Frau Merkel. Also 44,44-Periode Prozent der Zeit, die dieses Land überhaupt erst existiert. Viele Erbmonarchien der Weltgeschichte wären stolz auf so eine Bilanz (gewesen). Wenn man jetzt noch hinzunimmt, dass sowohl Kohl als auch Merkel noch länger hätten regieren können, wenn das zulässig wäre, kann man das Funktionieren der demokratischen Grundidee durchaus anzweifeln. Denn es fehlt ihr an Erneuerungspotenzial. Interessant sind auch die “Ausreißer”, die wenigen Jahre, in denen überhaupt andere Parteien die Chance bekamen, zu regieren: Herr Frahm, besser bekannt als Willy Brandt, konnte nur an die Macht gelangen, weil in den 1960er Jahren die Jungen und Intellektuellen Europas auf den Putz gehauen haben. Dass nach Brandt, dem man einen Ostspion untergejubelt hatte, nicht wieder die CDU ans Ruder gelangte, lag vornehmlich daran, dass man Herrn Schmidt als extrem integren, seriösen und klugen Mann mit nur einem Fehler wahrnahm. Nämlich dem, dass er kein CDU-Mitglied war. So konnten die Unionsanhänger zwar weiterhin über die “Roten” (siehe auch in den Fernseharchiven unter “Ekel Alfred” nach) herziehen, sich weitestgehend jedoch zumindest mit der Personalie Schmidt arrangieren. Tragischerweise war der als Kanzler in seinen moralischen Vorstellungen derart stringent, dass er die eigene Koalition aushebelte und die Tür für ein Misstrauensvotum öffnete. Durch politische Überläufer wurde ihm die Regierungsgrundlage entzogen, er selbst nahm es mit staatsmännischer Größe hin. Er hatte keinen Ostspion im Schlafzimmer, keine Gesetze gebrochen und nicht den Steuerzahler betrogen. Auch über “Ehrenwörter” zu illegalen Parteispenden ist nichts bekannt. Man konnte ihm lediglich vorwerfen, dass er vertrauliche Akten zum Abarbeiten mit in seinen Dienstsitz mitnahm. Ich mochte Schmidt damals nicht besonders, doch rückblickend wird immer deutlicher: Die Bundesrepublik hat bis heute nie wieder einen Staatsmann - oder eine Staatsfrau - von ähnlichem Format an ihrer Spitze gehabt. Bei Schmidt hatte man stets das Gefühl, dass er Verantwortung, Pflichtbewusstsein und Weitsicht über aktuelle Modeerscheinungen und persönliche Befindlichkeiten stellt.

Kennen jüngere Mitbürger diese Eigenschaften aus unserer Politik überhaupt noch? Oder entspricht es überhaupt noch dem, was man von Politikern erwartet? Immerhin wünschten sich vor einigen Jahren nicht wenige “Nachgeborene” den seinerzeit mittlerweile Neunzigjährigen als Kanzler zurück.

Der zweite Machtwechsel geht auf die nächste Revolte zurück, zehn Jahre nach der ersten: Nicht nur junge, sondern auch ältere unangepasste Menschen wehren sich gegen die Rüstungs- und Atompolitik, propagieren gleichzeitig nachhaltigere Ernährung und weisen auf die Umweltzerstörung hin. Ihr Weg durch die Instanzen hat nach zehn Jahren Erfolg, man gelangt mit den Herren Fischer und Schilly, ursprünglich angetreten auf der Seite von Anarchie und Terrorismus, an die Macht. Eine wahrhaft erstaunliche Metamorphose.

Vielleicht hätte diese Riege sogar oben bleiben können, wäre Herr Schröder im Kanzlerduell gegen die unscheinbar aussehende Frau “von drüben” nicht so überheblich gewesen, und hätten die grünen “Realos” nicht so viele ihrer Ideale verraten. So wurde der Weg frei für Herren Kohls “Mädchen”. Zum ersten Mal eine Kanzlerin, und dazu noch eine aus dem frisch umfrisierten Osten (dass sie selbst nicht frisch frisiert war, machte sie für viele nur umso glaubwürdiger).

Die Essenz meines voranstehenden Exkurses ist schnell zusammengefasst: Unsere von vielen als alternativlos angesehene Form der Demokratie ist innerlich erstarrt und äußerlich zu einem Etikett abgeflacht. Viele merken es nicht, wollen es nicht wahrhaben, oder sind zu fantasielos, sich eine andere Demokratie vorzustellen. Doch brauchen Menschen ohne Fantasie überhaupt Demokratie? Sich nur um seine eigenen Interessen zu kümmern, das kriegt doch jeder irgendwie hin – egal, an welcher Stelle im Getriebe jedweder politischen Couleur. Auch ohne Demokratie. Schwierig wird es erst, wenn auch der Rechtsstaat wegfällt. So tendiere ich dazu, nicht die Demokratie, sondern den Rechtsstaat als höchstes gesellschaftliches Gut anzusehen. Dennoch trage ich gerne meins dazu bei, die Demokratie zu retten.

Was stimmt eigentlich nicht mit Politikern? Ganz einfach: Sie sind zumeist in Parteien und werden durch diese Parteien überhaupt erst in die Lage versetzt, eine politische Laufbahn einschlagen zu können. Sie werden nicht aus altruistischem Interesse oder gar dem Wunsch nach Gerechtigkeit Politiker, sondern ausschließlich der persönlichen Karriere wegen – zumindest die, die dann irgendwann mal oben ankommen. Offensichtlich erscheint das vielen leichter, als sich in seriösen Professionen zu behaupten. Leichter, als womöglich Risiken in Kauf nehmen zu müssen und wirklich für andere Menschen verantwortlich zu sein – zum Beispiel als Unternehmer oder Wissenschaftler. Oder durch ihre Fähigkeiten überzeugen zu müssen, so wie Künstler und Sportler.

Die meisten Menschen rangieren in ihrer eigenen Werteskala an erster Stelle. Das ist wissenschaftlich gestützt, man bezeichnet es als “nur allzu menschlich”. Maßgeblich befeuert wird diese Konditionierung durch die Konsumwirtschaft, durch vorgeblich lebensnotwendige Güter, Medien und Werbung. Marken machen mittlerweile nicht nur Märkte, sondern auch Menschen. Last but not least gibt es das Statusstreben. Wenn also bei Politikern, die ja keine Übermenschen sind, das Ego ganz oben steht und auf der zweiten Stufe die Partei folgt, dann kann das Allgemeinwohl der Bürger nicht mehr allzu weit oben rangieren. Und wenn es in der Politik nicht mehr richtig klappt, gibt es komfortable Möglichkeiten, in der Wirtschaft unterzukommen. Wozu ebnet man deren Lobby denn sonst jahrelang den Weg? Schließlich ist es bequemer, gleich oben einzusteigen, anstatt sich mühevoll hochzuarbeiten.

Irgendwo im Grundgesetz steht, dass alle Macht vom Volke auszugehen habe und die Parteien der politischen Willensbildung dienen sollen. Heute mutet dieser Paragraf an wie ein Treppenwitz der Geschichte. Alle Macht geht von derzeit nur noch einer Partei aus, in der die Hochschläfer sich offensichtlich erlauben können, was sie wollen. Ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, ohne die Zeche zahlen zu müssen und ohne gefeuert zu werden. Zumindest solange sie der Königin nicht widersprechen. Es gibt noch eine zweite Partei, aber die kann (oder will?) sich nicht mehr wehren. Nicht einmal, wenn sie gegen ihren Willen in eine “große” Koalition gezwungen wird. Lieber Vasallenpartei, als Opposition – dieses Credo scheint sich bei der SPD mittlerweile durchgesetzt zu haben. Zum Glück müssen das die Herren Schmidt, Brandt und Wehner nicht mehr erleben.

Die Bundesbürger machen es mit, geben brav ihre Stimme ab und erkaufen sich damit lediglich das Recht, meckern zu dürfen. “Wenn du nicht wählen gehst, kriegt die AFD deine Stimme”, lautet das beliebteste aller unlogischen Argumente, die zur Verteidigung unserer ausgehöhlten Demokratie und erstarrten politischen Willensbildung gerne bemüht werden. Leute, die diesen Spruch ins Feld führen, haben zumeist nicht einmal genügend Fantasie, um sich vorzustellen, dass der Ermahnte vielleicht sogar freiwillig die AFD wählen würde, wenn er den Gang zur Urne anträte.

Apropos Urnen: Man sollte sie ausschließlich für die Asche Verblichener verwenden, und nicht für die Bestattung der demokratischen Grundidee missbrauchen. Denn wenn wirklich einmal eine nicht vom Königshaus geduldete Partei ungemütlich viele Stimmen erhält, wird gleich der Geheimdienst auf sie angesetzt.

Albert Einstein bemerkte einmal, dass, wenn man immer die gleiche Partei wähle, man nicht erwarten dürfe, dass sich etwas ändere. Auch solch einfache Erkenntnisse können also dem Genie entspringen – im Volke ankommen tun sie trotz ihrer Einfachheit nicht.

So wird vermutlich alles bleiben, wie es ist. Bis höhere Mächte uns zwingen zu reagieren.

Auch dann sind nicht wir es, die die Verantwortung zu tragen haben. Also ist unser System auch eine Möglichkeit, permanente Ohnmacht weiter zu leben, zu pflegen und zu kultivieren.

Ein Bekannter äußerte bereits vor längerem einen interessanten Ansatz: Jede Partei, die ihre in den Statuten festgelegten Ziele erreicht hat, sollte aufgelöst werden. Eine Partei wäre also keine festgefügte Institution, sondern lediglich eine temporäre Organisation, die dazu dient, etwas zu entwickeln. Ihre Gründung müsste unbürokratisch möglich sein, Geld dürfte sie grundsätzlich nicht annehmen. Lediglich die Mitglieder, die als Abgeordnete im Parlament sitzen, haben einen Verdienst. Eine Parlamentsmitgliedschaft muss zeitlich begrenzt sein. Eine nach Honorarordnung geregelte Ausschüttung an die ehrenamtlichen Mitglieder erfolgt erst dann, wenn ein Ziel der Partei umgesetzt werden kann, beziehungsweise Eingang in die Gesetzgebung findet. Auch der Bundestag dürfte nicht zu einhundert Prozent aus Parteien bestehen, es sollte eine 50/50-Balance aus Parteimitgliedern und parteilosen Mitgliedern geben. Insgesamt sollten im Parlament mehr Fachleute mit nachgewiesenen Kompetenzen und einschlägiger Berufserfahrung sitzen – je mehr Berufsgruppen, desto besser. Wissenschaftler und Wirtschafter, Dienstleister und öffentlich Bedienstete, Künstler und Sportler, Erzieher, Lehrer und Professoren, und … und … und. Wir brauchen engagierte Abgeordnete, die nur mit nachgewiesenen Referenzen und entsprechendem Leumund einen Sitz bekommen. Kanzler ebenso wie Minister sollten von allen Parlamentsmitgliedern gewählt werden. Generell sollte es für den Eintritt in den Bundestag ein Mindestalter geben sowie eine nachgewiesene Berufsmindesterfahrung in Jahren. Verwaltungsbeamte steuern und begleiten alle erforderlichen Prozesse. Darüber hinaus gibt es Fachräte, die zu wichtigen Entscheidungen zusammenkommen. Beispiel: Im Januar 2020 hätte ein Gesundheitsrat aus Medizinern gebildet müssen, der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfungen erarbeitet, die das Parlament absegnet. Es sollte eine zentrale Kartei geben, in der alle Bürger erfasst sind, die grundsätzlich oder anlassbezogen bereit sind, als Parlamentsmitglied (bei möglicher Unterbesetzung) oder in einem Fachrat aktiv zu werden. Der Bundesrat könnte aufgelöst und Ministerien verschlankt werden. Medial müsste es einen Kanal geben, über den alle Debatten live übertragen werden.

Bis ins Detail durchzeichnen kann und will ich an dieser Stelle nicht – dafür werde ich erstens nicht bezahlt, und zweitens dürfte das vergebliche Liebesmüh sein.

Manch einer mag nun denken, “Was für ein Spinner, der Abée!” Herr Schmidt würde mir vielleicht raten, zum Arzt zu gehen. Na und? Wer von außen auf den Zustand unserer “Demokratie” schaut, wird auch kaum glauben können, dass die aktuell Monarchie ähnlichen Zustände auf einem Grundgesetz basieren, dass irgendwo in meinem Bücherregal mittlerweile sogar auf arabisch herumsteht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden