Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 3.21

Das Logbuch geht weiter: Unerträgliche Bilder

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Es gibt einen Nachrichtensprecher, der mir Unbehagen bereitet. Es ist ein etwas eckig wirkender Herr mit einem Kamerablick zum Steinerweichen – einer Mischung aus kindgerechter Nachdenklichkeit, Hundebetteln und impliziertem Moralappell. Mit diesem Mix kann er sehr gut Meinungen transportieren. Ob es seine eigenen sind, erschließt sich mir nicht. Darüber hinaus verstehe ich manchmal nicht, was er eigentlich damit bewirken will. Ein jüngeres Beispiel dafür: Die Hungersnot in Somalia. Angekündigt mit Aufmerksamkeit heischenden Worten wie “Die Bilder, die Sie jetzt sehen werden, sind schwer zu ertragen”, zeigt uns die Sendung junge Frauen mit ihren verhungernden Kindern auf dem Arm. Zu allem Überfluss wird das exemplarisch vorgeführte Beispiel des Schreckens einer ganz bestimmten Mutter mit dem Hinweis beschlossen, dass auch dieses Kind sterben wird. Danach: Ende. Nächstes Thema. Ich bleibe ratlos zurück und es beginnt zu rattern …

… auch am nächsten Tag, am übernächsten Tag, und eine Woche später. Wie bei den Sensationslust stillenden Kriegsfotografen stellt sich hier die gleiche Frage: Sollte nicht besser geholfen werden, statt gefilmt und fotografiert? Für sämtliche Frank Kappas dieser Welt kann zumindest eine Entschuldigung ins Feld geführt werden: Sie können den Menschen, die auf ihren Bildern sterben, nicht das Leben retten. Doch im Falle der Hungersnot mag man dem öffentlich rechtlichen Berichterstatter zurufen: “Verdammtes Arschloch, nun gib dem Baby doch wenigstens einen Teil deiner Tagesverpflegung … oder nimm es am besten mitsamt der Mutter mit in deine Reporterunterkunft, wo ganz sicher niemand verhungern muss. Dafür würde ich meine Fernsehsteuer lieber bezahlen als für dich!” Für mich ist und bleibt es eine Missachtung der Menschenwürde (und des “Rechtes am eigenen Bild” höchstwahrscheinlich auch), was dieser Kameramann da treibt, um für sich und den eckigen Nachrichtensprecher die Brötchen zu finanzieren.

Unter dem frischen Eindruck der Somalia-Reportage sehe ich noch ganz andere Bilder, die zumindest für mich genauso unerträglich sind, zumal sie direkt vor meiner Nase ablaufen. Und zwar im Discounter, wo zunehmend mehr überformatierte Menschen mit ebenso überdimensionierten wie vollgeräumten XXL-Wagen durch die Gänge walzen. Vielleicht sollte der eckige Herr mit dem moralisierenden Hundeblick diese Bilder in direkte 1:1-Relation zu denen der Hungernden setzen. Zwar würde auch das (zumindest unmittelbar) nichts an den globalen Missständen ändern, doch jedem Fernsehzuschauer plastisch vor Augen führen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Aber derartiges darf der politisch korrekte Fernsehansager natürlich nicht senden, denn das wäre ja nicht nur eine Verletzung des Rechtes am eigenen Bild, sondern Diskriminierung dazu.

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