Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 3.30

Das Logbuch geht weiter: Meinungsfreiheit ist immer die Freiheit des Andersmeinenden

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Würde sich Rosa Luxemburg im heutigen Deutschland vor lauter Verzweiflung selbst in den Landwehrkanal stürzen? In dieser Zeit hat sich ein Phänomen etabliert, das beunruhigende Züge trägt: Meinungsfreiheit soll es angeblich zwar noch geben – doch noch größer ist die Freiheit, Menschen mit Meinungen zu diffamieren. Und das nicht nur angeblich.

Diesbezüglich fiel mir neulich ein treffliches Beispiel vor die Füße: In einer (nicht einheimischen) Talkshow äußerte sich ein politisch nicht ganz unumstrittener Herr zu den staatlichen Strukturen der Länder Afrikas. Nicht sehr differenziert – dazu fehlte auch die Zeit – sondern relativ allgemein. Über Europa äußert sich dieser Herr zumeist auch sehr allgemein, also erschien mir daran nichts ungewöhnlich oder gar diskriminierend. In der Runde ihm gegenüber saß eine Dame, deren grüne Bluse samt grünem Schal ihr eine krötenhafte Anmutung verlieh. Sie schien nur darauf zu warten, ihr Gift versprühen zu können. Und zack, die Bemerkung des umstrittenen Herren war ihr Stichwort. Seine Äußerung sei rassistisch, geiferte sie. Der Talkmaster ließ diesen Einwurf so stehen, der angegriffene Herr ebenso. Ruhig argumentierte er weiter und vermied es, auf den Angriff der Krötendame einzugehen.

Warum also wehrte sich der umstrittene Herr nicht, zumal er schon lange im Ruf eines Rassisten stand? Ich versuche mich in ihn hineinzuversetzen, doch es gelingt mir nicht. An seiner Stelle hätte ich die Dame gefragt, gegen welche „Rasse“ sich meine Äußerung denn gerichtet haben soll. Dann hätte sie ausweichen müssen – und sich damit dem Verdacht der Unwissenheit ausgesetzt. Oder sie hätte diverse Ethnien auflisten müssen, sich dadurch geoutet und sich durch ihre Interpretation selbst dem Verdacht des Rassismus ausgesetzt. Es folgt eine Liste der fünf beliebtesten Diffamierungen:

Der Rassist: begeht den Fehler, ethnische oder örtliche Unterscheidungen vorzunehmen.
Der Sexist: begeht den Fehler, geschlechtliche Unterscheidungen vorzunehmen.
Der Faschist: begeht den Fehler, keine linken Paradigmen zu bedienen.
Der Putin-Freund: begeht den Fehler, den Westen zu kritisieren.
Der Querdenker: begeht den Fehler, überhaupt zu denken.

Diese Liste ließe sich fortsetzen, doch zu viel Differenzierung ist gar nicht gewünscht. Gelegentlich nennt man den Querdenker schlechthin auch „Schwurbler“ oder „Corona-Leugner“, und natürlich ist es immer ein Mann. Gegendert wird hier nicht. Ebenso wie auf der Demo gegen den Ausbau des Schnellwegs neulich – hier sind es ausschließlich autoverrückte Männer, die verantwortlich für die Umsetzung umweltfeindlicher Baupläne sind. Komisch, gerade in der stärksten niedersächsischen Partei, die just wieder haushoch gewonnen hat, tummeln sich doch so viele Frauen. Trauen die sich nicht, gegen die verhängnisvolle Ignoranz der Männer anzustinken? Sexist, wer das auch nur zu denken wagt!

Interessant auf der besagten Demo ist auch, dass die Organisatorinnen (es reden in der Tat nur Frauen) uns Mitmarschierende auffordern, sexistische und rassistische Übergriffe auf der Demo sofort zu melden. Meine Güte, was für Leute gehen denn heutzutage für die Umwelt auf die Straße? Betont wird auch, dass man einige Befindlichkeiten anderer Menschen vielleicht nicht verstehe, sich aber trotzdem danach zu richten habe. Wie bitte? Die Demo war am vergangenen Montag – verstanden, was sie meinte, habe ich auch heute, eine Woche später, noch nicht.

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