Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 3.31

Das Logbuch geht weiter: Fahrer mit Hut 2.0

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Wenn ich etwas über das Autofahren und die Autofahrer gelernt habe, dann von meinem alten Herrn. Als Sohn eines Landarztes lernte er das Fahren bereits im zartesten Jugendalter. Ich glaube, er wollte Rennfahrer werden – oder Schauspieler. Zeitlebens geblieben ist neben seinem Talent als charmanter Redner und eleganten Interpretationen beliebter Weihnachtslieder am Piano unter anderem seine Souveränität im Fahren. In vielen Verkehrssituationen wusste er bereits vorher, was in wenigen Sekunden passieren wird. „Gleich gehen bei dem da vorne die Bremslichter an“, pflegte er beispielsweise zu sagen, wenn irgendein Idiot mit 200 km/h die linke Fahrspur malträtierte. Und genauso kam es, konnte man doch auch von der rechten Spur aus gut überblicken, dass die Überholspur keine 200 Meter voraus von vielen als Dauerfahrspur missverstanden wurde. So, wie es auch heute noch ist – deutsche Autofahrer neigen leider zu einer gesteigerten Beratungs- und Erkenntnisrenitenz, gepaart mit einem für normal sozialisierte Menschen nicht nachvollziehbaren „ICH-habe-Recht“-Syndrom. Für „ICH-habe-Recht“ scheint die linke Spur übrigens nicht nur gebaut zu sein, sondern sie wird augenscheinlich auch wesentlich öfter überholt – im baulichen Sinne gesprochen.

Ebenfalls gewarnt hat mein Vater vor dem „Fahrer mit Hut“, dessen Kopfbedeckung sich beim Fahren nicht auf der nach ihr benannten Ablage befindet, sondern auf seinem Kopf. Dieser Typus wird zwar extrem selten auf der Überholspur gesichtet, zeichnet sich jedoch durch andere Defizite aus: einerseits durch seine pomadige Lahmarschigkeit im Agieren und Reagieren, andererseits durch eine stoische Ignoranz, mit der er andere behindert, wenn er vor ihnen fährt. Heutzutage tragen ja wieder mehr Männer etwas auf dem Kopf – lächerliche Bacardi-Hütchen oder prollige Basecaps beispielsweise – doch diese Fahrer meine ich nicht, denen könnte man eigene Kapitel widmen. Sondern ich meine die mit den klassischen Herrenhüten, die sie auch in der Kirche oder auf dem Sonntagsspaziergang tragen. In der gleichen Rubrik ist seit gut zwei Jahren der „Fahrer mit Maske“ unterwegs und scheint den Fahrer mit Hut langsam abzulösen. Immer, wenn ich ihn sehe, schaue ich, wer da wohl auf dem Beifahrersitz mitfährt. Oftmals ist da niemand – der Fahrer mit Maske fährt auch dann noch „oben mit“, wenn er mutterseelenallein in seiner Blechdose sitzt. Es fällt auf, dass seine frühere Unflexibilität aus der Zeit, als er vermutlich noch Fahrer mit Hut war, im Zuge einer fortschreitenden Desozialisierung sukzessive einer unverholen demonstrierten Militanz weicht. Diesem „Fahrer mit Hut 2.0“ begegne ich heute gleich dreimal, innerhalb von zwei Minuten, in ein und derselben Person.

Zuerst auf unserem Einkaufszentrumsparkplatz, dessen Aufteilung zwischen Geh- und Fahrbereichen äußerst unglücklich angelegt ist. Hier hupt er zunächst eine vierköpfige Migrantenfamilie beiseite, weil er ganz, ganz schnell vom Parkplatz herunterfahren muss. Dennoch benötigt er für die nächsten 80 Meter genauso lange wie ich zu Fuß. Als ich 20 Meter vor einer roten Autoampel die Fahrbahn per pedes überqueren will, hat er es sehr eilig, an die rote Ampel heranzufahren und lässt mich im Unterschied zu den anderen Autofahrern nicht die Fahrbahn passieren. Das dritte Zusammentreffen schlussendlich könnte tödlich für mich enden: Hinter besagter Ampel biegt der Fahrer mit Maske auf eine dreispurige Ringstraße ein, die ich bereits zur Hälfte überquert habe, bevor für ihn überhaupt Grün ist. Auf diesen Schnellweg wiederum, der nicht mit Berliner Pisten vergleich bar ist, sondern auf dem man üblicherweise hannöversch gemäßigt anfährt, gibt er nicht nur Gas, sondern zieht auch sofort auf die von mir gerade überquerte Spur herüber, obwohl er bequem an mir vorbeifahren könnte.

Irrationale Ängste im Duett mit realen Aggressionen – die Maske hat schon längst nichts mehr mit Schutz, Vorsicht oder gar Vernunft zu tun: sie ist – zumindest die FFP2 in weiß – zu einer Insignie des Rechthabens geworden. Bald werde ich der Stadt vollends überdrüssig sein und aufs Land zu den guten alten Fahrern mit Hut ziehen.

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