Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 3.33

Das Logbuch geht weiter: Von der Konsole auf die Krim?

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… beinhaltet eine Schnapszahl, doch leider ist das dieswöchige Thema weniger humorig. Denn auf Kabel Eins gibt es eine beunruhigende neue Serie: „Unsere Bundeswehr: Missionen, Menschen, Emotionen“. Endlich dürfen wir mit unseren Soldat*innen wieder in den Krieg ziehen, zumindest medial. Dafür aber hautnah! Eigentlich tun wir das ja schon seit Jahren – aber sind Länder wie Afghanistan wirklich sexy, stimulieren sie unsere Kriegslust ausreichend? Und dann diese vielen afghanischen Mitverlierer, die wir mit nach Hause nehmen mussten, weil sie uns doch so toll geholfen hatten. Nee, so eine Pleite wollen wir nicht noch einmal. Wir wollen endlich wieder Europa beglücken, ganz klar! Denn hier kennen wir uns viel besser aus und die Alten auf unserem Kontinent dürften noch wissen, was es heißt, wenn die Deutschen kommen. Die respektlosen Taliban hat das ja nicht interessiert, aber nördlich des Mittelmeeres sind wir wieder wer – oder tun zumindest so. Die Russen sollen sich auf jeden Fall schon mal warm anziehen.

Kabel Eins verpackt das „Töten und getötet werden“ durchaus zeitgemäß und äußerst poppig. Hut ab. „DMAX“ mit seinem Männer-Muskeln-Motoren-Programm nimmt sich dagegen regelrecht hausbacken aus. Nach einem schick animierten Intro hören wir knackigen Ami-Rock, es gibt jede Menge Panzer-Action in ansprechenden grafischen Verfremdungen und zwischendurch kommen in gepflegten Mundarten – überwiegend süddeutschen – unsere strammen Jungs und Mädels zu Wort und schildern, wie sie ihre Familien auf Einsätze irgendwo im Ausland einstimmen. Wobei der Begriff „Ausland“ out ist, man spricht jetzt lieber vom „Gebiet der Nato“. Zu dem die Ukraine „gefühlt“ schon voll dazugehört. Vorbereiten tun sich die euphorisierten Geschichtsverächter in Oliv wie auf einen Contest an der Konsole. Die härtesten von ihnen sehen wir nur vermummt vor der Kamera – woran erinnert das bloß…? Unsere 100 Milliarden sind gut investiert, erfahren wir, zum Beispiel in 15 hochmoderne Kampfjets. Die machen sich besonders gut, wenn sie aus dem Cockpit eines anderen Jets gefilmt werden – dagegen wirkt jedes 4K-Computerspiel wie Tetris. Doch leider schützt auch Überschall nicht vor geistiger Unterbelichtung – so lautet die ebenso simple wie unlogische Philosophie dahinter sinngemäß: Wir verteidigen unsere Freiheit in Deutschland, indem wir im Ausland kämpfen.

Um die Stimmung noch weiter anzuheizen, werden wir Nichtsoldaten auch beim Bäcker (mittlerweile ein Klassiker dieses Blogs) in Angst und Schrecken versetzt. Dort sehe ich auch diese Woche wieder einen Panik-Titel: Wenn wir mangels Energie kommenden Winter im Dunkeln sitzen, dann lernen wir erst so richtig das Fürchten. Naja, im Dunkeln saßen die Menschen früher auch – aber hatten sie deshalb im Winter so viel Angst, dass sie gleich Krieg führen mussten?

Apropos „im Dunkeln“ – der Bundespräsident, unser Mann für die gefühligen Momente, hat sich etwas besonders Publikumswirksames ausgedacht: Obwohl er kein politisches Mandat für derartige außenpolitische Einsätze hat, muss er unbedingt jetzt einen Abenteuer-Ausflug in die Ukraine unternehmen. Auch dort sind die Medien hautnah dabei, um zu berichten, wie sich der Mann im Luftschutzbunker ängstigt. Ein Steinmeier zum Steinerweichen, da bleibt kein Journalistenauge trocken. Früher haben wir Deutschen Resteuropa das Fürchten gelehrt – heute lernen wir es dank des Oberlehrers aus Schloss Bellevue von anderen. Ist es das, was uns der Mann mit seiner absurden Mission mitteilen will? Oder ist seine Botschaft dieselbe, die uns seit Generationen mehr oder weniger verhohlen untergejubelt wird – nämlich die vom schrecklichen Iwan? Kriegstreiberei ist nicht mehr so, was wir sie aus dem Geschichtsunterricht kennen. Heute kann sie so subtil daherkommen, dass man sie fast nicht erkennt: als Predigt, als nerdiger Technik-Report, oder mit Dackelblick und Fragezeichen auf der Stirn.

Die Bundesrepublik Deutschland hat bei ihrer Gründung der Kriegführung auf fremdem Boden grundsätzlich und für alle Zukunft abgeschworen. Übrigens hieß der Putin damals noch Stalin und war noch einige Zacken schärfer unterwegs als der Ex-KGB-Mann, den wir heute so fürchten und verfluchen. Mein Resümee: Dieses Deutschland ist nicht mehr so richtig mein Land. Mein Land wäre politisch und militärisch neutral wie die Schweiz – allerdings mit weniger kapitalistischem Dreck am Stecken.

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