Advent, Advent, die Zeit wegrennt

Bücherkalender Amanda, Calvani, Goedzak, Kay.Kloetzer und Magda sammeln Surium

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Bis heute: DANKE!

Im Frühjahr 2001 stand ich auf der Leipziger Buchmesse am Stand des TASCHEN-Verlags und hielt ein Juwel in den Händen, das unerreichbar war wg. Geld, und ich strich über den weichgelben Einband, spürte in den Unterarmen das Gewicht, blätterte und entdeckte ein Karat nach dem nächsten. Oh, Sehnsucht! Besitzwunsch! Was für ein Glück, dieses Buch zu haben, es zur Hand nehmen zu können, wann immer... Ab dafür, nicht hier, nicht ich.

Im Herbst 2005 saß ich auf einer Wiese an einer weiß gedeckten Tafel, im Sonnenlichte mit kühlen Füßen, mit Familie und Freunden und feierte meinen Studienabschluss und Geburtstag. Blumen strahlten, Gesichter leuchteten. Als ich das großformatige Geschenk von P & S entgegennahm, spannten die Unterarme ob des Gewichts. Als ich das Geschenkpapier zur Seite schob und etwas Gelbes sah, meine Finger etwas Weiches fühlten, ich die eingeprägten Buchstaben nachzog – kamen die Tränen. Die Überraschung, das Glück, waren so groß, das ich nicht an mich halten konnte. Lachend in die teils erschrockenen, teils staunenden, teils (Mama) mitheulenden Gesichter redend, tat ich meine Freude tränend kund.

Das Pathos ist angemessen, weil Jugend einen Furor entwickeln kann, der nicht anders als pathetisch sich äußern sollte, und weil manches, das man so sehr möchte, eben nicht vergessen wird, weil an der nächsten Ecke ein andrer steht. Den Film sah ich als 12-, 13-, 14-, usw. Jährige, immer immer wieder, und was das Buch hier macht, auf 381 Seiten, ist filmverehrend, -bejubelnd, -liebend. Ich verrate nichts als den Titel, weil ich niemandem, der mitschwingt, etwas vorwegnehmen möchte.

Billy Wilder's SOME LIKE IT HOT, TASCHEN 2001, by Allison Castle (Paris) & Dan Auiler (Los Angeles)

Amanda

Wunder gibt es immer wieder

Neulich sprach ich mit einer Freundin über Erinnerungen. Ihr Vater starb, als sie noch sehr klein war, und sie sagte, sie könne sich an manche Gegebenheiten glasklar erinnern, bei anderen wiederum sei sie sich nicht sicher, ob sie nicht doch mehr auf Erzählungen Dritter denn auf eigenen Erlebnissen beruhen würden. Ich wusste sofort, was sie meinte, so geht es mir nicht nur mit realen Geschehnissen, sondern auch mit Erinnerungen an Bücher, die ich als Kind und Jugendliche gelesen habe. Besonders quälend sind die Bilder aus Büchern, deren restliche Handlung, Titel und Autoren ich vergessen habe. Wie das einer jungen Frau, die in eine neue Mietwohnung zieht. Ihr Nachbar, ein älterer Herr, einsam und redselig, sucht ihre Nähe. Sie begegnet ihm mit freundlicher Höflichkeit, zeigt darüber hinaus jedoch kein Interesse und so erwürgt er sie eines Tages. Mit letzter körperlicher Kraft, aber dem überschäumenden Zorn der Zurückweisung. Oder das Fenster, das ich immer mit dem Fenster des Hauses meiner Tante assoziiere, aus dem ein Säugling in den Tod stürzt. Viele Jahre später fand ich dieses Motiv wieder – in Zeruya Shalevs Mann und Frau, aber da war das gespenstische Fenster vor meinem geistigen Auge schon ein anderes geworden. Dann wieder sehe ich eine Anstalt, in der Menschen gegen ihren Willen festgehalten und unter Drogen gesetzt werden, damit sie kreative Bilder malen. Absurd.

Einmal verwandt ich unter dem Eindruck eines nächtlichen Traumes einige Zeit und Bemühungen darauf, das Buch über den älteren Herren, der seine Nachbarin ermordet, wiederzufinden. Ich fragte in der Stadtbibliothek nach, aus der ich damals meine Bücher auslieh, googelte was das Zeug hielt, flehte eine befreundete Buchhändlerin an - natürlich erfolglos. Noch immer bin ich verwundert darüber, dass das Buch, das einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hat, mir so präsent ist, sich nicht materialisiert in die Gegenwart holen lässt. Ich will die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben, denn Wunder gibt es immer wieder.

Calvani

Immer, überall, ohne Ideen ganz sicher innovativ sein

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, als auf der ganzen Welt alle Häuser nur das Parterre hatten und nichts darüber außer einem Dach, da setzte sich ein Mensch aus unerfindlichen Gründen in den Kopf, ein Haus mit zwei übereinander befindlichen Etagen zu bauen. Die Konstruktionsarbeiten waren schon fast abgeschlossen und der Baubeginn rückte heran, da tauchte unverhofft ein gravierendes Problem auf, das geeignet schien, das ganze Projekt zum Scheitern zu bringen. Wie sollten die Bewohner und Besucher dieses Hauses von der unteren in die obere Etage gelangen?! Und wie, wenn sie morgens zur Arbeit gingen, von der oberen in die untere? Es wurde stehenden Fußes ein Erfinder damit beauftragt, etwas zu erfinden, mit dessen Hilfe also die Bewohner und Besucher dieses Hauses von der unteren in die obere Etage gelangen konnten. Nach zwei Wochen präsentierte der Erfinder diejenigen seiner Ideen, die er nicht verworfen hatte. Erste Möglichkeit: ein Käfig, in den man sich stellt, und der dann nach oben gezogen oder hinab gelassen wird; zweite: ein steiler gestufter Weg, auf dem die Leute Stufe für Stufe hinauf- oder herabsteigen konnten; dritte: zwei gestufte Förderbänder, die, je in entgegengesetzter Richtung laufend, die auf den Stufen stehenden Leute auf- oder abwärts trugen. (Zu den verworfenen Ideen gehörte z.B. eine um das Haus aufzuschüttende Serpentine. Aber der Erfinder wusste, dass dem Bauherrn sehr viel an einer schicken Fassade lag, die aber auf diese Weise verdeckt werden würde.) Nachdem der Erfinder nun seine Ideen gründlich erläutert hatte, sagte der Bauherr, alles sehr schön, aber welche Variante sollen wir nun bauen. Dies zu entscheiden, obliege dem Bauherrn, meinte der Erfinder, jede Variante böte Vor- und Nachteile. Der steile Weg koste keine Energie, würde aber Platz brauchen und für die Benutzer körperlich sehr anstrengend sein, die Förderbänder bräuchten auch viel Platz und würden Energie benötigen, wären aber bequemer. Der Käfig sei am platzsparendsten, sehr bequem dazu, aber energieaufwendig und technisch kompliziert. Der Bauherr, der ein Mensch war, der gern große Projekte anschob, sich aber sehr ungern mit Detailfragen beschäftigte, befahl dem Erfinder und dem Bauingenieur, gefälligst die beste Lösung zu bauen und verabschiedete sich zum Golfspielen mit einem wichtigen Politiker. Nun, das Haus wurde fast termingerecht fertig gestellt. Es erregte die Bewunderung aller Menschen, die es besuchten und bewohnten. In den ersten Jahren war es besonders der letzlich eingebaute steile Weg, auf dem man nach oben gelangte, um dann kurzatmig am Fenster stehend, die Aussicht zu genießen, der die Leute in das Haus lockte. Man erfand für ihn das Wort Treppe. Viele Menschen stolperten auf ihr, es zerriss Kleidung, Champagner wurde verschüttet, (...) Wie aber kamen der Erfinder und der leitende Bauingenieur zu der Entscheidung gegen das Förderband und den Käfig? Da sie großen Respekt vor den Launen des Bauherrn hatten, machten sie sich ihre Entscheidung nicht leicht. Sie misstrauten ihrer Intuition und leiteten sie ganz systematisch her. Zunächst einmal wurden sie sich darüber klar, dass eine jede Lösung nur ein Kompromiss zwischen ihren Vor- und Nachteilen, sozusagen ein ungelöster, wenn auch austarierter, also in einem Gleichgewicht befindlicher Widerspruch sein würde. (...)

Dies war ein Auszug aus dem Buch: ГенрихСауловичАльтшуллер: TRIZ – ARIZ – WIZ. Die unerkannte Poesie der technischen Intuition, Verlag der Technik, Dresden 2009 – Original: Москва, 1959

Wie lautet der erste Satz des Buches?

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, als auf der ganzen Welt alle Häuser nur das Parterre hatten und nichts darüber außer einem Dach, da setzte sich ein Mensch aus unerfindlichen Gründen in den Kopf, ein Haus mit zwei übereinander befindlichen Etagen zu bauen.

Wer oder was wärest Du gern in diesem Buch?

Гудзак

Wen könnte das Buch begeistern?

Alle Technik-Nerds, aber hallo!

Goedzak

Unikat

Mein wertvollstes Buch ist ein Unikat. Genau genommen sind es zwei Bücher und also zwei Unikate. Es sind Erinnerungsalben, wie sie von etlichen Verlage angeboten werden, in denen Eltern oder Großeltern oder Liebste ihr Leben erzählen – entlang an Fragen nach Kindheit, Alltag, Freizeit, Ausbildung, erster Liebe, Ehe, auch nach politischen Ereignissen. Sie können Bilder malen oder Fotos einkleben. Zwei Jahre haben meine Großeltern daran gearbeitet. Ja, Arbeit war es schon, aber es hat ihnen auch großen Spaß gemacht, sich gemeinsam zu erinnern. Und für mich ist es ein Schatz. Zwei Schätze.

Kay.Kloetzer

Weihnachtstingeleien

Es begab sich aber zu jener Zeit, da ich hin und wieder ein wenig kulturell „tingelte“, dass die gemütlichen Adventsfeiern mit entsprechenden Texten und Musik zu bestücken waren.

Meist hatte ich da unter anderem zwei Sachen im Angebot:

Die eine besinnlich und die andere grimmig.

1. Eine wunderschöne Kurzgeschichte von O.Henry. "Das Geschenk der Weisen"

Dieser O. Henry war berühmt für seine überraschenden Schlusswendungen - genannt der O.Henry- Twist.

Das Geschenk der Weisen geht wie folgt: Ein junges Paar - Della und Jim - hat wenig Geld, aber liebt sich heiß und innig. Sie will ihm zu Weihnachten eine edle Kette für seine schöne Uhr schenken. Dafür verkauft sie ihr langwallendes, prächtiges Haar.

Der Heiligabend kommt ran, ihr Liebster Jim erscheint und bleibt wie erstarrt stehen. Als sie erschrocken nachfragt, meint er, wenn sie sein Geschenk erblickt, wird sie verstehen, warum er die Fassung verlor. Er hat ihr wunderbare Schildpattkämme für ihr Haar gekauft, das nun durch kurze Löckchen ersetzt ist und dafür seine Uhr verkauft, für die sie die kostbare Kette erwarb. Beide weinen, aber vor Glück über die Liebe des anderen und es wird ein schöner Abend.

2. Und für den grimmigen Teil gibt’s Erich Kästner mit

Morgen Kinder wird’s nichts geben oder : Weihnachten für Hartz IV-Empfänger

Morgen, Kinder, wird's nichts geben!

Nur wer hat, kriegt noch geschenkt

Mutter schenkte euch das Leben.

Das genügt, wenn man's bedenkt.

Einmal kommt auch eure Zeit.

Morgen ist's noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.

Reiche haben Armut gern.

Gänsebraten macht Beschwerden.

Puppen sind nicht mehr modern.

Morgen kommt der Weihnachtsmann.

Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bisschen durch die Straßen!

Dort gibt's Weihnachtsfest genug.

Christentum, vom Turm geblasen,

macht die kleinsten Kinder klug.

Kopf gut schütteln vor Gebrauch!

Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen –

Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!

Reißt die Bretter von den Stirnen,

denn im Ofen fehlt's an Holz!

Stille Nacht und heil'ge Nacht –

Weint, wenn's geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird's nichts geben!

Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!

Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!

Gott ist nicht allein dran schuld.

Gottes Güte recht so weit ...

Ach, du liebe Weihnachtszeit!

Magda

Wo ist nur die Zeit geblieben?

Amanda, Calvani, Goedzak, H.Hesse, Kay.kloetzer, Magda und Mcmac verneigen und verabschieden sich mit einem Sammelsurium ausstehender Beiträge.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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